Was, hier soll über Mobilität diskutiert werden, aber nicht über die Treibstoffverkäufe, die so schwer auf der Luxemburger CO2-Bilanz lasten?, wundert sich ein Teilnehmer des Workshops „Mobilität“ am Dienstag. Zu sieben Workshops haben das Umwelt- und das Energieministerium Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen – wie es seit Jahren üblich ist, die forces vives de la nation zu konsultieren, wenn ein Klimaschutz-Aktionsplan aufgestellt werden muss.
Dieses Jahr ist es wieder mal so weit, aber diesmal hat der Plan es besonders in sich. In dem vorigen steht, wie bis 2020 das Treibhausgasaufkommen des Landes um 20 Prozent gegenüber 2005 gesenkt werden soll. Der neue Plan muss den Weg für eine Senkung um 50 bis 55 Prozent bis Ende 2030 beschreiben. So weit will bisher kein anderer EU-Staat gehen. Vor sieben Jahren musste Luxemburg sich noch freikaufen, weil es seine Verpflichtungen aus dem 1998 unterzeichneten Kyoto-Protokoll nicht einhielt. Nun soll es zum Vorbild bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 werden, zum „Klima-Land“, wie der grüne Energieminister Claude Turmes sich auf der Pressekonferenz vor Beginn der Workshops ausgedrückt hat. Die nächsten zehn Jahre würden dafür entscheidend, denn das internationale Wissenschaftlerpanel IPCC schätzte im November, nur zwölf Jahre blieben noch, um irreversible Veränderungen an der Erde abzuwenden. Vor Turmes hat Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne) erklärt, wie recht die Schüler hätten, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen.
Doch obwohl schon in den Koalitionsverhandlungen abgemacht wurde, das Einsparziel von 40 Prozent, das bis dahin galt, zu verschärfen, und obwohl der Regierungsrat Anfang Februar dem Entwurf für den Nationalen Energie- und Klimaplan zugestimmt hat, sind politisch noch längst nicht alle Messen gelesen. Dieschbourgs Beschwörung: „Wir brauchen jeden, es geht um einen gesellschaftlichen Wandel, es geht um unsere Zukunft!“, kann der Konkurrenz Unbehagen bereiten. Was, wenn das dazu führt, dass die Grünen nach den Zugewinnen bei den letzten Wahlen 2023 noch weiter gestärkt werden? Oder schon am Sonntag bei den Europawahlen?
Man sah das vergangene Woche in der Aktuellen Stunde im Parlament, wo erst déi Lénk und dann die CSV die Grünen attackierten und ihnen vorhielten, in der Regierung für den Klimaschutz nicht genug zu tun: Politischer Kredit, falls es hierzulande tatsächlich zu konsequenterem Klimaschutz kommt, soll nicht den Grünen alleine überlassen werden, weil sie dieses Anliegen am glaubwürdigsten zu repräsentieren verstehen. Aber nicht nur die Oppositionsparteien, auch die Koalitionspartner sind offenbar auf der Suche, wofür sie stehen wollen angesichts der „Zukunftsfrage“. DP-Finanzminister Pierre Gramegna zum Beispiel, der zur Eröffnung und zum Abschluss der Klima-Workshops ebenfalls anwesend ist, erzählt der Presse, zum nächsten Weltklimagipfel werde er die Umweltministerin begleiten. Doch als die sich über den mit an die 200 Workshop-Teilnehmern und Presseleuten gut gefüllten Saal unterm Dach der Abtei Neumünster mit einem „dat ass flott!“ begeistert, entgegnet der neben ihr stehende Gramegna kühl, „jo, ’t ass ee flotte Sall“. Und seinen eigenen politischen Erklärungen stellt er die launige Bemerkung voran, „Sie denken ja vielleicht nicht ständig über die Umwelt und übers Energiesparen nach“.
Hat es damit zu tun, dass im Workshop „Mobilität“ nicht über die Spritverkäufe gesprochen werden soll? Obwohl sie 2017 – so weit reichen die gesicherten Zahlen – 64 Prozent insgesamt 8,74 Millionen Tonnen schweren Luxemburger CO2-Emissionen ausmachten und zwei Drittel der Spritverkäufe an Nichtansässige gingen. Bei dem Reduktionsziel, das die Regierung nun vorsieht, dürften 2030 in der Emissionsbilanz insgesamt nicht mehr als 4,6 bis 5,1 Millionen Tonnen CO2 stehen. Die muss der Energie- und Klimaplan bis Ende dieses Jahres zwischen den Sektoren „Transport“, „Gebäude“, „Landwirtschaft“ und „Wirtschaft“ aufteilen. Keine leichte Sache, denn die 64 Prozent „Transport“ von 2017 entsprachen 5,59 Millionen Tonnen CO2 – mehr als Luxemburg 2030 insgesamt ausweisen dürfte. Pikant ist, dass 2017 die Spritverkäufe an Nichtansässige 3,49 Millionen CO2-Tonnen ausmachten. Wären sie nicht gewesen, sähe die Bilanz von 2017 nicht nur viel besser aus. Sie wäre sogar so gut, dass in ihr bereits damals 50,4 Prozent weniger CO2 gestanden hätten als 2005 und Luxemburg mit 13 Jahren Vorsprung so „vorbildlich“ gewesen wäre, wie es bis Ende des nächsten Jahrzehnts werden soll.
Neu ist das nicht. Schon LSAP-Umweltminister Lucien Lux wusste vor zehn Jahren: „Der Tanktourismus hängt uns an wie ein nasser Schwamm.“ Die Frage ist nur, ob Luxemburg schon ein „Klima-Land“ wäre, wenn es seine Tankstellen-Nische dichtmacht. Ein „ultra-energieeffizientes“ Land, das der Energieminister sich wünscht: In keinem anderen OECD-Staat wüchsen Wirtschaft und Einwohnerzahl derart wie in Luxemburg, „nicht mal in Mexiko“. Da sei Ultra-Effizienz ein Muss.
Damit ist die Frage nach Einsparstrategien und Effizienztechnologien gestellt und der Klimaschutz zur Chance für Innovationen und Hightech erklärt. Und es ist gar nicht verkehrt, im Workshop „Mobilität“ den Tanktourismus beiseite und stattdessen Ideen sammeln zu lassen. Über den Ausbau der Elektromobilität etwa oder einen öffentlichen Transport, dessen Infrastruktur weiter reichen würde, als bisher geplant ist, auch grenzüberschreitend. Über ein landesweites „Parkraum-Management“ oder über digitalisierte Angebote, die über Optionen, von A nach B zu gelangen, nicht nur besser informieren als heute, sondern auch erlauben würden, sie direkt zu ordern.
In den anderen Workshops zerbricht man sich ebenfalls die Köpfe über Sachthemen und Innovationen: über energiesparende Wohnformen im Workshop „Habitat“ zum Beispiel, über die Solarstrom-Offensive und die Stromversorgung der Zukunft im Workshop „Energie“, und im Workshop „Industrie“ über den Einsatz von Effizienztechnologien und ob und wie Firmen geholfen werden kann, den finanziellen Aufwand dafür zu tragen. Einen Workshop „Finanzen und Steuern“ gibt es auch.
Der ist der politisch interessanteste, aber er führt nicht weit. Was schon an der Dramaturgie liegt, die von der Regierung vorgegeben wurde: Die Themenliste dieses Workshops ist besonders voll. Zunächst soll über die „gouvernance“ der neuen Klimapolitik gesprochen werden, ob dazu eine ständige Bürgerbeteiligung gehört, ob neue Gremien nötig sind, und so fort. Anschließend geht es um „grüne Finanzen“. Womit die Mobilisierung privaten Kapitals für den Klimaschutz gemeint ist und wie die Luxemburger Finanzindustrie viel mehr „grüne Produkte“ auflegen könnte. Im einfachsten Fall grüne Sparbücher, deren Einlagen garantiert in nachhaltige Projekte investiert würden. Fragen, die so interessant sind, dass sich über sie lange diskutieren lässt – so lange, dass für das dritte Thema, die Steuern, nicht mehr viel Zeit bleibt. Als am Spätnachmittag die wichtigsten Ideen aus den Workshops zusammengefasst werden, wird über die Steuerfrage kaum mehr zurückbehalten als ein prinzipielles Ja zu CO2-Steuern. Über die Tankstellen-Nische und die Niedrigakzisen-Politik wird nicht mehr ausgesagt, als im Koalitionsvertrag steht. Der Tanktourismus wurde am Ende nicht nur beiseite gelassen, um besser über Innovationen nachdenken zu können, sondern ganz vergessen.
Unverständlich ist all das nicht. Die Zeit drängt zwar, weil alle EU-Staaten ihre Klimapläne bis Ende des Jahres nach Brüssel schicken müssen. Sie drängt aber nicht so sehr, dass noch vor den Europawahlen intensiver über Steuern diskutiert werden müsste. Auch wartet die Regierung noch auf eine Studie, die zeigen soll, wie Luxemburg sich zum „Klima-Land“ machen lassen könnte, welchen volkswirtschaftlichen Nutzen das hätte und was es kosten würde. Eine Furcht, durch neue Steuern eine Art Gilets jaunes-Bewegung auszulösen, gibt es unter den Koalitionspartnern auch: Die sozialen Ungleichheiten nehmen schließlich zu. Deshalb will die Regierung nach den üblichen Verdächtigen aus der Zivilgesellschaft diese Woche im Herbst per Online-Konsultation auch unter der breiten Öffentlichkeit sondieren, wie ausgeprägt die Klimasorgen sind und ob bestimmte Steuern „nachgefragt“ werden. Ein paar Hinweise stehen im Koalitionsprogramm: Änderungen an der Kilometerpauschale etwa oder eine Verkürzung der Frist, bis zu der für Renovierungen an Häusern ein kleinerer Mehrwertsteuersatz gilt. Wenn der Finanzminister im Oktober den Haushaltsentwurf für 2020 vorlegt, soll der auch eine Steuerreform-Komponente enthalten. Klimasteuern, um sie so zu nennen, sollen durch Erleichterungen an anderer Stelle ausgeglichen werden.
Doch solche Entscheidungen werden vor dem Hintergrund unterschiedlicher Einstellungen der Koalitionspartner zu „Ökosteuern“ getroffen, und verschärft wird das Ganze dadurch, dass das Klimaproblem wichtig genug geworden ist, um die Parteien vor die Frage zu stellen, welchen Part zu dessen Lösung sie zu spielen gedenken. Selbst wenn es nur darum geht, nicht allen Kredit den Grünen zu überlassen. Die versprechen in ihren Wahlprogrammen schon seit 20 Jahren einen „ökofiskalen Umbau“. Während die LSAP das seit ihrem eigenen Ökotaxen-Debakel von 1998 sehr reserviert sieht und dafür steht, Niedrigverdiener nicht durch neue indirekte Steuern zu belasten. Die DP wiederum winkt am liebsten mit Anreizen. Als wäre sogar die Rettung der Menschheit in Partylaune zu haben.
Dabei ist eine Frage die: Lassen sich die diversen Innovationsideen und die Vorschläge für verbindlichere CO2-Reduktionen, die bisher auf dem Tisch liegen, überhaupt so klar in ihren Auswirkungen beziffern, dass Luxemburg damit seinem hochgesteckten Ziel auch nur nahe kommt? Oder führt am Ende kein Weg daran vorbei, die Tankstellen-Nische kurzfristig zu schließen, damit die CO2-Bilanz besser aussieht? Wer dem Energieminister zuhört, der das Hohelied auf die Elektromobilität singt, kann meinen, die Regierung hoffe, dass sich das Problem von selber erledigt, weil die Autoindustrie durch die neuen, strengen CO2-Vorschriften der EU gezwungen wird, mehr und vor allem preiswertere Elektroautos auf den Markt zu bringen. Das Problem ist nur, dass dann der Staatskasse Tankeinnahmen entgingen, denn Stromsteuern für Autos einzuführen, wird eher die EU entscheiden als die Mitgliedsländer für sich. So dass die Regierung es sich nicht so einfach leisten kann, die LKW-Dieselnische zu schließen, die nicht so schnell elektrifiziert wird, sich aber besonders stark in der CO2-Bilanz bemerkbar macht.
Es sei denn, die Regierung wäre sicher, dass die Staatskasse den Einnahmenausfall wegstecken könnte. Oder sie erklärte die Party offiziell für beendet und legte ein Sparpaket auf. Zu solchen Überlegungen zogen die Workshops am Dienstag kein Fazit. Ein Wunder ist das nicht: Eine Regierung, die über so etwas mit der Zivilgesellschaft diskutieren ließe, sähe schwach aus. Vielleicht aber hofft sie auch, sich Klima-Innovationen möglichst lange von Tanktouristen mitbezahlen lassen zu können. Wie das bisher so geht.