„Wir können nicht die Weltlösung kennen“, sagt der junge Mann. „Das ist Sache der Politik, die müsste den Rahmen vorgeben.“ Reden kann Moritz Ruhstaller trotzdem gut, auch wenn er die Weltlösung nicht kennt. Er ist einer der Organisatoren des Schüler-Klimastreiks, der heute stattfindet, in Luxemburg wie in ungefähr 40 anderen Ländern weltweit.
16 und 18 Jahre alt sind die vier, die sich mit dem Land getroffen haben. Sekundarschüler, die in ihren Lyzeen für die Bewegung Youth for Climate Luxembourg werben und den Kontakt zur Schuldirektion halten. Auf Landesebene koordinieren sie die Aktion, die heute um 10 Uhr auf dem Glacis-Platz in der Hauptstadt beginnen soll. Kimo Leners (18) zum Beispiel hat mit den CFL diskutiert, wie sich innerhalb weniger Stunden tausende Schüler nach Luxemburg-Stadt transportieren lassen können, ohne dass der Verkehr zusammenbricht. Zehn- bis fünfzehntausend könnten es werden, meint Kimo Leners und hofft das natürlich: je mehr, desto besser.
Schüler- und Studentendemonstrationen sind in Luxemburg selten. Umso bemerkenswerter ist, dass sich in ziemlich kurzer Zeit eine offenbar gut organisierte Initiative entwickelt hat. „Wir sind richtig grass-roots“, erklärt Moritz Ruhstaller sichtlich stolz. Begonnen habe alles erst Anfang Februar, dazwischen fielen die Ferien. Angeregt hätten die Bewegung „zunächst drei Leute“, darunter Joana Coimbra (16). Sie sagt: „Greta hat gezeigt, dass du auch als junger Mensch etwas tun kannst. Sie hat das der Politik gezeigt.“
Greta Thunberg ist die 16-Jährige aus Stockholm, die seit ihrem Auftritt beim Weltklimagipfel in Katowice Ende letzten Jahres zur Ikone und zum Vorbild des weltweiten Schüler-Klimawiderstands geworden ist. Seit September bestreikt sie freitags ihren Schulunterricht, setzt sich vor das schwedische Parlamentsgebäude und verlangt Handeln gegen die Erderwärmung. Die Idee zum weltweiten Schülerstreik am heutigen Freitag kommt von ihr, vorgetragen im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Die Luxemburger Schüler haben jemand gebraucht, der das Eis für sie brach. In London, Paris oder Brüssel waren Zehntausende Jugendliche schon im Januar auf die Straßen geströmt. „Als klar war, der 15. März wird ein globaler Tag, begannen wir unsere Plattform hier aufzubauen“, sagt Kimo Leners. Wie anderswo in der Welt auch geschah das vor allem über die sozialen Netzwerke. Auf Instagram erlangte Youth for Climate Luxembourg innerhalb von drei Wochen 2 000 Followers, auf Facebook sind es nun mehr als 5 000.
Umweltthemen scheinen es zu sein, die Jugendliche heutzutage auf die Straße bringen, und das Katastrophenszenario eines vielleicht bald schon unumkehrbar veränderten Planeten trifft einen Nerv: „Wenn wir keine Zukunft haben, wozu sollen wir dann in die Schule gehen?“, entgegnet Joana Coimbra auf die Frage, ob wer streikt, sich nicht auch selber schade. „Wir werden es ja sein, die wahrscheinlich erleben werden, dass es viel wärmer wird, Menschen krank werden und viele sterben. Wenn wir jetzt nichts tun, werden wir eine Zukunft haben, die nicht okay ist.“ Und die Generation danach werde es noch härter treffen.
Teenager-Angst? Nicht nach dem letzten Bericht des internationalen Wissenschaftler-Panels IPCC, der im Oktober zum Schluss kam, es blieben voraussichtlich nur zwölf Jahre, um zu verhindern, dass der Planet als System sich irreversibel verändere. Den Befunden von 13 US-Regierungsverwaltungen zufolge ebenfalls nicht. Sie hatten im November ungeachtet aller Äußerungen und der Umwelt-Deregulierungspolitik ihres Präsidenten die „zerstörerischen Auswirkungen“ des Klimawandels auf Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft ab Mitte bis Ende des Jahrhunderts beschrieben.
Nicht blind, aber zu langsam zu sein, werfen die vier Aktivisten auch der Luxemburger Politik vor. „Hier geht alles zu langsam, man hätte schon vor zehn Jahren handeln müssen“, glaubt Kimo Leners. „Wenn man endlich anfängt, ist es schon zu spät. Das ist bei allem so, in der Klimapolitik, in der Schulpolitik, überall.“
Die vier zumindest, aber vielleicht auch ihre Altersgenossen, verbinden mit dem Klimastreik auch ein Aufbegehren gegen die Regeln der Erwachsenenwelt. Gegen die Realpolitik, gegen eine gesellschaftliche Auffassung von Jugend als einem Zustand, der schnell überwunden werden müsse. Politiker hätten Jugendlichen „noch nie richtig zugehört“, findet Giovanna Pinot (18). „Es ist immer so, man sagt: Die Erwachsenen sind wir, wir entscheiden über eure Zukunft. Wir wollen, dass uns zugehört wird, genau das.“ Der Schülerstreik habe deshalb „zwei Aspekte“.
Das Verhältnis der vier zur Politik ist in erster Linie emotional. Ob sie politisiert sind? – Die Frage verstehen sie nicht, betonen gleich: „Wir sind politisch neutral.“ Sie denken offenbar nicht in Machtkategorien, und dass in der Politik Deals und Kompromisse geschlossen werden, ist ihnen suspekt. Dass die Grünen seit fünf Jahren mitregieren, ändert für sie nicht viel: „Die machen bestimmt nicht alles richtig“, sagt Moritz Ruhstaller. „Klimapolitisch haben sie irgendwie schon den richtigen Riecher, aber sie werden auch zurückgehalten. Ich merke nicht, dass wirklich etwas ans Laufen kommt.“ Er habe sich nach dem Klimagipfel in Paris 2015 zu engagieren begonnen. „Ich bin nicht wegen Greta aufgewacht. Ich sehe, dass die Probleme noch immer da sind, obwohl sich in Paris so viele Staaten geeinigt haben. Und nun scheint es, dass die Ziele von Paris noch nicht einmal die richtigen sind.“
Gegenüber solchen Positionen klingen Versuche, die Klimabewegung der Schüler politisch zu vereinnahmen, ziemlich hohl. Nicht nur die beiden grünen Minister Carole Dieschbourg und Claude Turmes behaupteten vor zwei Wochen, auch von der Schülerinitiative geleitet zu sein, als sie die ersten Ansätze zum Klima- und Energieplan der Regierung vorstellten. Franz Fayot, der neue LSAP-Präsident, beginnt für seine Partei die Klimapolitik zu entdecken. DP-Bildungsminister Claude Meisch schrieb vor zwei Wochen, als er den Lyzeumsdirektionen genehmigte, die Schüler für die Teilnahme am Streik freizustellen, wie sehr er ihr bürgerschaftliches Engagement schätze und dass sie „der Realität des Klimawandels ins Auge blickten“. Seine Parteikollegin Anne Brasseur, die als Ministerin vor 15 Jahren meinte, die Schulen verlören an Autorität und müssten „back to the roots“ marschieren, legte den Schülern in einer begeisterten „Carte blanche“ im RTL Radio ans Herz: „Gëtt Iech net!“
Das nicht zu tun, versprechen die vier auch. „Die Regierung oder ein paar Minister müssten nach dem Streik zumindest sagen: Wir haben verstanden!“, meint Moritz Ruhstaller. „Ohne um den heißen Brei herumzureden, müssten sie sagen, wie sie dafür sorgen wollen, dass Luxemburg das 1,5-Grad-Ziel einhält.“ Das sei aber nur der Anfang. Die Schülerbewegung werde nach dem Streik sicherlich noch wachsen. „Wir werden immer was machen, Projekte, Diskussionen“, sagt Joana Coimbra, „Youth for Climate wurde nicht nur wegen diesem Freitag gegründet. Es gibt immer Themen, zum Beispiel, dass man den Transport verbessert oder weniger Plastik nutzt.“ Aber eigentlich müsse, wenn nur noch so wenig Zeit bleibt, sich etwas radikal ändern. Nur was?
Für die vier muss Klimaschutz etwas mit Verzicht zu tun haben. „Wir sind so privilegiert hier!“, findet Giovanna Pinot. Die Verantwortung liege bei den entwickelten Ländern. „Entwicklungsländern muss erlaubt sein, sich unökologischer verhalten zu können. Sind auch wir unökologisch, verdoppelt sich das Problem.“ Um bei sich selber anzufangen, wird Joana Coimbra Veganerin. Moritz Ruhstaller will „weniger Fleisch essen, Veganer sein, ist schwierig“. Der Welthandel müsse „fair“ sein. Luxemburg sollte „seinen Dreck nicht ins Ausland abschieben und so viel Strom importieren, sich nicht immer wieder freikaufen“, findet Kimo Leners. „Hier geht es zu viel um Business und Wachstum.“ Das führe nicht in „eine Zukunft, die man genießen kann“.
Welche sie sich stattdessen vorstellen könnten, wissen die vier nicht genau. Die herrschenden Verhältnisse kennen sie gut genug, um eine „grünere Gesellschaft“, die Arbeitsplätze schaffen würde durch massive Wärmeisolierung alter Häuser, Konservierung von Naturflächen und Biolandwirtschaft für „ziemlich utopisch“ zu halten: „Das würde vielen kein Geld bringen, in der heutigen Gesellschaft zählt ja nur, was Gewinn bringt“, sagt Giovanna Pinot. „Entweder müsste so ein Leben lukrativ sein, oder es müsste ein riesiger sozialer Wandel geschehen, etwas in den Köpfen der Menschen, damit gesehen wird, dass sowas wichtiger ist als der eigene Gewinn.“ Ob das wünschenswert wäre? – Irgendwie schon. „Wenn wir jetzt nichts machen, werden wir bald nichts mehr haben. Entweder wir ändern was am Lifestyle, oder es ist bald nicht mehr möglich“, meint Joana Coimbra.
Privilegiert, wie die vier sich selber nennen, finden sie, „wer die Möglichkeit hat, die Veränderungen zu tragen, sollte das mit jenen teilen, denen das nicht so leicht fällt“, meint Giovanna Pinot. „Jemand hat mal geschrieben, die Armen dächten ans Ende des Monats, die Reichen ans Ende der Welt. Zweifellos gibt es Leute, die auch an die Erde denken und sich wünschen, dass sie allen erhalten bleibt, die sich das aber nicht so richtig leisten können. Die vielleicht in den Supermarkt gehen und sich etwas aus Südamerika kaufen, weil es billiger ist als das Produkt von nebenan.“
Ob Klimaschutz also auch heißen müsste, Gewinne stärker umzuverteilen und Steuern anders zu erheben, ist vielleicht eine Erwachsenenfrage. Aber dass es „einfacher sein sollte, Produkte zu kaufen, die ökologisch sind und dem Planeten nicht schaden“, findet Giovanna Pinot, und „wenn der Staat sich einsetzen würde, dass eine ökologische Lebensweise günstiger ist oder genauso viel kostet wie eine nicht so ökologische, dann würde das schon einen Unterschied machen“. Zum Teilen, mit den Menschen daheim und mit der ganzen Welt, sind die vier offenbar bereit. Und „gerecht“ wäre gewesen, meint Kimo Leners, hätte das Referendum vor vier Jahren Ja zum aktiven Wahlrecht ab 16 gesagt. Was die vier Schülerstreik-Koordinatoren sich vorstellen, ist gar nicht wenig – auch wenn sie die Weltlösung nicht kennen.