d'Lëtzebuerger Land vom 21.06.2013
Dass die Luxemburger Regierung am 10. April ankündigte, ab 2015 zum automatischen Informationsaustausch über Zinseinkünfte von EU-Bürgern überzugehen, hatte Finanzminister Luc Frieden (CSV) auch damit begründet, dass man aus der Schmuddelecke heraus müsste, um bei anderen Debatten als gleichberechtigter Partner mitdiskutieren zu können. Eine dieser Debatten ist die, die aktuell unter dem Stichwort „Beps“ die Schlagzeilen dominiert. Beps ist das Akronym für Base erosion and profit shifting. Damit gemeint ist die Praxis multinationaler Konzerne, über aufwändige Firmenstrukturen und das Verschieben von Einnahmen und Kosten, dafür zu sorgen, dass die Bemessungsgrundlage immer kleiner wird und ihre Gewinne dort besteuert werden, wo der Körperschaftssteuersatz am niedrigsten ist. Nach der Debatte ums Bankgeheimnis und kleine wie große und Steuerflüchtige ist Beps das neue Topthema auf der internationalen Steueragenda. Prominente Fälle sind etwa der Online-Händler Amazon, der in Frankreich und Großbritannien im Kreuzfeuer steht, wo Politiker und Öffentlichkeit der Meinung sind, der Konzern, dessen Europa-Zentrale in Clausen ist, zahle im Verhältnis zur Geschäftsaktivität in ihren Ländern dort nicht genug Steuern. Oder Apple. Die Konzernverantwortlichen mussten vor US-Parlamentariern zugeben, dass die Gewinne aus dem Europa-Geschäft, das Hauptquartier liegt in Irland, dort mit einem realen Körperschaftssteuersatz von zwei Prozent versteuert werden. Neben Irland steht auch Luxemburg wieder im Kreuzfeuer der Kritik, und dass mit harten Bandagen gekämpft wird, zeigt auch das misslungene Interview Luc Friedens in der Financial Times, die ihn den automatischen Informationsaustausch für Firmen ankündigen ließ. Die Debatte wird derzeit auf so vielen Ebenen geführt, dass sogar ausgewiesene Experten riskieren, sich ohne Blick auf die Notizen zu verheddern. G8, G20, OECD, EU: Überall wird darüber geredet, wie multinationale Konzerne adäquat besteuert werden können. Denn während die – Globalisierung sei dank – ihre Geschäfte rund um den Erdball machen, ist die Besteuerung immer noch Sache der Nationalstaaten und damit auf das jeweilige Hoheitsgebiet beschränkt. Die Unterschiede zwischen den nationalen Steuergesetzgebungen nutzen die Konzerne, um ihre Steuerrechnung auf ein Minimum zu senken. Dabei geht es bei Weitem nicht nur um den von Gerichtsbarkeit zu Gerichtsbarkeit unterschiedlichen Körperschaftssteuersatz. Unter dem Titel „hybrid mismatches“ wird diskutiert, wie Konzerne Kredite und Zinsen abrechnen können, beziehungsweise, wie kreditähnliche Arrangements zwischen Konzerneinheiten steuerlich zu behandeln sind. Im Fokus stehen auch seit Längerem die Transferpreise. Damit sind die Preise gemeint, zu denen Filialen einer Gesellschaft sich gegenseitig Waren und Dienstleistungen verkaufen. Im Prinzip soll dabei ein Marktpreis veranschlagt werden, so als würde nicht unter Schwestergesellschaften, sondern mit Drittparteien gehandelt. Was aber, wenn ein solcher Marktpreis nicht zur Verfügung steht? Dann gibt es reichlich Spielraum, den die Firmen nutzen und der von Steuerverwaltung zu Steuerverwaltung unterschiedlich groß ist. Strittig ist auch immer wieder das so genannte Schachtelprivileg, demzufolge Beteiligungserträge steuerfrei an die jeweilgen Muttergesellschaften weitergegeben werden können. Dabei geht es weniger ums Prinzip selbst, sondern vielmehr darum, wie viel „Substanz“ die Firmen haben müssen, damit das Privileg angewandt werden darf. Laut OECD-Normen und EU-Rechtssprechung reicht ein Briefkasten schon lange nicht mehr aus. Auch bei den mitunter recht spektakulären Anhörungen von Firmenbossen in den amerikanischen und britischen Parlamenten – Auszüge davon konnte das Fernsehpublikum kürzlich in der Sendung Cash Investigation auf France 2 sehen, hat sich herausgestellt, dass die Steuerarrangements eigentlich nicht illegal sind. Ein Umstand, der die Debatte sehr viel komplexer macht als die ums Bankgeheimnis, der aber manche Politiker mit leeren Haushaltskassen nicht davon abhält, immer noch vereinfachend auf Steueroasen zu verweisen. Doch weil die Technik der Konzerne darauf beruht, die Unterschiede zwischen den Steuergesetzgebungen zu nutzen, ist es nicht ganz so einfach, mit dem Finger auf einzelne Staaten zu zeigen. Vor allem, weil auch multinationale Konzerne mit staatlicher Beteiligung auf diese Techniken zurückgreifen. Als Beispiele dafür gerieten die französischen Konzerne GDF Suez oder Thales Anfang des Jahres ins Rampenlicht, die niederländische Stiftungen nutzen. Ein Beispiel, das zeigt, wie viel Heuchelei auch in dieser Steuerdebatte mitschwingt. Als weiteres Exempel ließe sich Großbritannien heranziehen, das sich gerne auf die Seite derjenigen stellt, die unmoralische Steuerarrangements unmöglich machen wollen, dessen Überseeterritorien aber oft Teil besagter Strukturen sind. Beim G-8-Gipfel in Nordirland diese Woche verabschiedeten de großen Wirtschaftsmächte eine Deklaration, nach der die Regierungen pauschal aufgefordert werden, Steuerinformationen auszutauschen, um transparenter zu machen, wer am Ende der Gewinnkette steht. Im Vorfeld hatte Gastgeber David Cameron versucht, ein wenig vor der eigenen Tür zu kehren und die Überseegebiete zur Unterzeichnung eines Informationsaustauschsabkommen bewegt. Schnell hagelte es Kritik, weil auch dieses Abkommen Schlupflöcher biete – vor allem in Bezug auf die britische Trust-Gesellschaften. Das alles immer relativ ist, zeigt dieser Satz aus der offiziellen Mitteilung zur Einigung mit den Überseegebieten: „There’s nothing wrong with sensible tax planning...“ Dabei reicht es auf dem Gebiet der Firmenbesteuerung ohnehin nicht aus, nur den Informationsaustausch zwischen Steuerverwaltungen zu verbessern. Anders als bei privaten Steuerflüchtigen bildet der eventuelle Informationsmangel nur ein Teil des Problems. Es ist vielmehr der Rechtrahmen selbst, der geändert werden müsste. Genau das sagte Eric Schmidt, CEO des Internetriesen Google, ebenfalls im Kreuzfeuer der britischen Kritik. Wenn die Briten mehr Steuern einnehmen wollten, müssten sie ihre Steuergesetze reparieren. Das sei Aufgabe der Regierung, nicht von Google. Dass die Briten die Steuerdebatte so hoch auf die G-8-Agenda gesetzt haben, zeigt dennoch, wie wichtig das Thema inzwischen geworden ist. Und wie sich internationale Institutionen um die Oberhoheit auf dem Gebiet streiten. Ende 2012 veröffentlichte die EU-Kommission einen Aktionsplan gegen Steuerhinterziehung und -umgehung, dem sie zwei Empfehlung anhängte. Die EU-Staaten sollten besser zusammenarbeiten, um Drittstaaten zu identifizieren, die gewisse Mindeststandards in Steuersachen nicht erfüllen, und schwarze Listen aufstellen. Sowie die „aggressive Steuerplanung“ bekämpfen. Dabei geht es beispielsweise darum, Doppelbesteuerungsabkommen daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht nur die doppelte Besteuerung von Einkommen verhindern, sondern vielmehr die Besteuerung komplett wegfällt – worauf auch die OECD hinweist, die das Modell für solche Doppelbesteuerungsabkommen ausgearbeitet hat. Seither hat die Kommission öffentliche Befragungen zur Einführung eines EU-Steuerzahlerkodex’ und einer einheitlichen Steuernummer lanciert. Sie plant auch, die Mutter-Tochter-Richtlinie zu überarbeiten – die Vorschläge stehen noch aus –, die Hybrid-Problematik anzugehen und im Rahmen des Verhaltenskodex’ für die Unternehmensbesteuerung die Transferpreise zu diskutieren, für die es OECD-Standards gibt. Weil in der EU direkte Steuern Sache der Mitgliedstaaten ist, ist der Kodex nicht rechtlich bindend. Dennoch gilt, was hier entschieden wird. Als Luxemburg vor Jahren den Steuerrahmen für geistiges Eigentum überarbeitete, wurde das Gesetz so lange nicht in Kraft gesetzt, bis die Arbeitsgruppe des Verhaltenskodex’ geklärt hatte, dass es sich dabei nicht um eine Maßnahme für schädlichen Steuerwettbewerb handelte. Vielleicht wird die Entwicklung auf Kodex-Ebene dazu führen, dass sich Luxemburg eine eigene Transferpreis-Gesetzgebung gibt, denn dass es eine solche derzeit nur in embryonaler Fassung gibt, in Form eines Rundschreibens der Steuerverwaltung, sei nicht immer von Vorteil, meinen Steuerexperten. Schon allein deshalb, weil es in Verhandlungen mit anderen Steuerverwaltungen keine Grundlage gibt, auf die sich berufen werden kann, um die behördlichen Entscheidungen in Luxemburg zu rechtfertigen. Die OECD hat ihrerseits Anfang 2013 einen „Beps“-Bericht vorgelegt, und die Mitgliedstaaten – darunter Luxemburg – haben im Mai eine Erklärung unterzeichnet, in der sie geloben, Lösungen zu finden und gleiche Regeln für alle aufzustellen. Noch diesen Sommer soll die OECD den G-20-Staaten einen Aktionsplan vorlegen, über den beim Herbst-Gipfel in St. Petersburg beraten werden soll. Viele Beobachter fiebern dem Gipfel entgegen, hoffen, dass er nach dem Beispiel des Londoner Gipfels vom Frühling 2009 greifbare Fortschritte bringen wird. Damals war Luxemburg auf die graue Liste der Steueroasen geraten und hatte umgehend den OECD-Standard für Nichtdoppelbesteuerungsabkommen akzeptieren müssen. Doch ob es auch diesmal Listen geben wird und ob konkrete Maßnahmen folgen oder eher lose Empfehlungen, bleibt abzuwarten und hängt letztendlich davon ab, wie entschlossen die großen Länder sind, beispielsweise die USA mit ihrer internen Sonderzone Delaware. Für Luxemburg wird es auf allen Ebenen, ob EU oder OECD, darum gehen, abzusichern, dass das Prinzip des Hauptquartiers bestehen bleibt. Solche Europa-Hauptquartiere versucht die Regierung seit Jahren verstärkt in Luxemburg anzusiedeln und konnte besonders im Internet-Bereich Erfolge verbuchen. Im Kern wird es also darum gehen, zu verhindern, dass Gesellschaften nur „Substanz“ auf Basis der Mitarbeiterzahlen oder der Verkäufe im jeweiligen Land anerkannt wird – für Luc Frieden eine „groteske“ Vorstellung. Als Beispiel gilt immer wieder Amazon. Die Absatzmärkte liegen außerhalb des Großherzogtums –; schon allein wegen der niedrigen Einwohnerzahl – die Verteilungszentren auch. Doch organisiert und zentralisiert wird das Ganze in Luxemburg, was mehr als 400 Mitarbeiter beschäftigt. Ist das genug Substanz, damit die Steuern in Luxemburg bezahlt werden dürfen oder nicht? Trotz der Schelte im Ausland ist Amazon für Luxemburg ein sehr positives Beispiel, weil dortdeutlich mehr Substanz vorzuweisen ist als bei den vielen Finanzbeteiligungsgesellschaften (Soparfi), im Volksmund Briefkastengesellschaften genannt. Dabei müssen auch sie mittlerweile ein Mindestmaß an Firmensubstanz aufweisen, das zumindest ein Büro und Firmenverantwortliche voraussetzt. Davon gibt es, schätzt der Verband der Trust- und Unternehmensdienstleistungsfirmen Limsa, in Luxemburg über 40 000. Sie leisten über die neue Mindestabgabe ihren Beitrag zum Staatshaushalt. Die gesamte Branche, die zu einem Pfeiler des Finanzplatzes geworden ist, über den nur wenig geredet wird, beschäftigt der Limsa zufolge mindestens 2 400 Mitarbeiter in 330 Firmen. Dazu gehören Buchhalter, Anwälte, Versicherungsangestellte. 2011 betrug der direkte Beitrag zum Steueraufkommen insgesamt 630 Millionen Euro. Eine Summe, auf die man im Finanzministerium ungern verzichten würde. Um sich für die Verhandlungen zu rüsten, hat man dort schon mal vorsorglich einen Frage-/Antwortenbogen vorbereitet. Darin warnt Luxemburg davor, die Steuerdebatte dafür zu missbrauchen, die vier Freiheiten des europäischen Binnenmarktes außer Kraft zu setzen, und plädiert für eine „effiziente“ und „gerechte“ Firmenbesteuerung. Um dies zu erreichen, sei es wichtig, ein ausgewogenes System zu finden, dessen Kriterien die internationale Dimension der Geschäftsaktivitäten und des Wettbewerbsrespektierten. „Nous bénéficions tous de sociétiés multinationales et d’un monde globalisé et nous avons besoin d’investissements transfrontaliers.“ Welche Schlachten sich mit diesen Argumenten gewinnen lassen, bleibt abzuwarten.
Michèle Sinner
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