Kaum hat Nora Back vor ihrem Journalistenbesuch Platz genommen, wird sie von einem Hustenanfall gepackt. „Furchtbar“, keucht sie, „mitten im Sommer bin ich krank!“ Vielleicht liege das an der Anspannung der letzten Monate um die Kollektivverträge im Klinik- und im Pflegewesen und den elftägigen Pflegeheimstreik, den sie angeführt hatte. Sie spekuliert: „Steht der Körper unter Adrenalin, ist ihm nicht erlaubt, krank zu werden. Zieht das Adrenalin sich zurück, schlägt die Krankheit zu.“ Körper und Geist hängen halt irgendwie zusammen, und Nora Back weiß wahrscheinlich, wovon sie spricht: Für Biologie und Medizin hat sie sich immer interessiert, und Psychologin ist sie.
Vor zweieinhalb Wochen wählte der Nationalvorstand des OGBL sie zur Generalsekretärin. Der Posten ist in den Statuten der Gewerkschaft nicht ausdrücklich vorgesehen und dient traditionell zur Vorbereitung aufs Präsidentenamt: Jean-Claude Reding war Generalsekretär von John Castegnaro, ehe er ihm nachfolgte, André Roeltgen war Redings Generalsekretär, bevor er Präsident wurde. So sei das auch bei ihr „gedacht“, erzählte Nora Back ohne zu zögern eine Woche nach ihrer Wahl dem Radio 100,7. Nach der christlichen Transportgewerkschaft Syprolux mit ihrer Präsidentin Mylène Bianchi stünde dann auch an der Spitze der größten Gewerkschaft des Landes eine Frau.
Das hält Nora Back selber zwar für einen „Scoop“, will es aber nicht überbewerten. Es sei Ausdruck der „Offenheit“ des OGBL, dessen Mitglieder etwa fifty-fifty Männer und Frauen seien, unter den Mitarbeitern seien die Frauen sogar „leicht in der Überzahl“. Außerdem ist sie seit 2009 Zentralsekretärin des mitgliederstarken Syndikats Gesundheits- und Sozialwesen, das unter ihr nahezu jedes Jahr mindestens einmal durch eine Protestkundgebung mit vielen Teilnehmern auf sich aufmerksam macht. Und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das Syndikat mit Nora Back eine besonders medienwirksame Sprecherin für die Interessen seiner Mitglieder hat: Die 39-Jährige macht nicht den Eindruck einer Funktionärin, sondern versteht es, die Sache, um die es geht, zu vertreten als sei es ihre ganz persönliche. Diese Appelle an die Emotionen mögen nicht immer Empathie beim Gegenüber wecken, aber zumindest Interesse. Back ist „authentisch“, um das schon ziemlich abgegriffene Attribut zu benutzen: Sie lacht, gestikuliert, insistiert und redet gern. Manchmal redet sie zu viel und erzeugt ein Klassenkampfpathos. Aber nur manchmal.
So gesehen, ist Nora Back eine interessante Wahl als Anwärterin auf den Spitzenposten beim OGBL, der sich in seiner Führung verjüngen und sich für die Herausforderungen all dessen wappnen will, was der Optimist Jeremy Rifkin eine „nachhaltige“ Zukunftsvision für Luxemburg genannt hat. Nach John Castegnaro, dem Arbeiterführer, der bald nach seinem Abschluss in der Léierbud der Arbed in den Gewerkschaftsapparat eintrat, wäre Nora Back nach Jean-Claude Reding und André Roeltgen die dritte Intellektuelle als OGBL-Vorsitzende, doch kaum eine so distanzierte wie der Lehrer Reding, vielleicht aber auch weniger aggressiv als der aktuelle Präsident Roeltgen. „Ich kann gut mit Menschen!“, sagt Nora Back über sich selbst. Um gleich nachzuschieben, „in Verhandlungen kann ich aber auch ganz ernst und hart werden“. Kontrahenten aus Kollektivvertragsverhandlungen beschreiben sie als eine, die sage, was sie haben will, und sich dann schwer davon abbringen lasse. Darauf angesprochen, legt Nora Back ihre Stirn in Falten, ehe sie einräumt, „kann sein, dass ich manchmal stur rüberkomme“.
Schon in jungen Jahren in linken Gruppen politisiert wurde sie nicht; das unterscheidet sie von Jean-Claude Reding und André Roeltgen. Reding war in den Siebzigerjahren im Kommunistischen Bund Luxemburg aktiv, ehe er sich Anfang der Achtziger mit ein paar Gefährten der Gréng Alternativ Partei (GAP) anschloss und bis in ihre Führung aufstieg, ehe er sie 1985 wieder verließ.
Roeltgen wiederum gehörte Ende der Siebzigerjahre zu den Schülern, Studenten und Lehrlingen, die im Escher Jugendhaus ein und aus gingen, eine Selbstverwaltung für das Haus forderten und an Wochenenden Alternativ-Partys organisierten, die mehrere Hundert junge Leute anziehen konnten. Manche Aktivisten von damals zog es später in die Parteipolitik und sie wurden Bürgermeisterin wie Vera Spautz, Minister wie Dan Kersch oder Parteipräsident wie Christian Kmiotek. André Roeltgen trat nie einer Partei bei.
Verglichen damit, verlief Nora Backs Politisierung unspektakulärer und gewissermaßen über die Familie. „Mein Großvater war Schmelzarbeiter, und jeder bei uns daheim war im LAV beziehungsweise später im OGBL.“ Politik war in der Familie immer ein Thema, „meine Eltern hielten darauf, dass ihre Kinder Zeitung lasen, sich informierten“.
Nach dem Abitur weiß sie zunächst nicht recht was sie will, interessiert sich für Biologie und Medizin, aber auch für Psychologie. Und für den Journalismus. Fast hätte sie in Brüssel Journalistik studiert, entscheidet sich aber für Psychologie und spezialisiert sich nach drei Jahren in Arbeitspsychologie. „Das Klinische oder Therapeutische hat mich weniger interessiert, viel mehr der Mensch in der Arbeitswelt.“ Für ihren Master geht sie in eine Abteilung Bien-être au travail der Fortis-Bank. Nach dem Studienabschluss wird sie dort angestellt und kann sich vorstellen, in Brüssel Wurzeln zu schlagen, „weil das eine tolle Stadt ist“. Doch dann sucht der Chef einer jungen Luxemburger Firma an der Brüsseler Uni nach einem Arbeitspsychologen, der Luxemburgisch spricht. Ihr früherer Master-Mentor erzählt Nora Back davon, und sie meint, ihr Job bei der Bank sei vielleicht so sicher nicht. „So manche meiner Ex-Studienkollegen hatten keinen und jobbten in Pizzerien.“ So kommt sie zur Firma Quest in Bonneweg. Was sie spannend findet, denn der Betrieb ist jung und „eine Garagen-Firma, in der wir alles selber machten“. Marktforschung und Marketing ist am Ende aber nicht ihre „Welt“. Sie steigt bei Quest aus und sucht den Wiedereinstieg in die Arbeitspsychologie. Unter ihren vielen Bewerbungen ist auch eine beim OGBL. Eines Tages ruft Jean-Claude Reding sie an: John Castegnaro wolle mit ihr sprechen. Als sie am 1. November 2004 beim OGBL anfängt, ist sie 25. Im Grunde hätte es auch ein anderer Betrieb sein können.
Mit diesem Werdegang ist Nora Back typisch für die junge Generation von OGBL-Funktionären, die als Fachleute zur Gewerkschaft gekommen sind, um anschließend ihren Aufstieg im Apparat anzutreten. Nora Back wird 2004 Stellvertertrerin Pit Schreiners, dem damaligen Zentralsekretär des Syndikats Gesundheits- und Sozialwesen, das dieser von André Roeltgen übernommen hatte. Fünf Jahre managen Back und Schreiner es gemeinsam.
„Unser Syndikat ist nicht unbedingt das kampferprobteste“, findet Nora Back, „aber wir hatten viele harte Auseinandersetzungen zu schlagen.“ Sie bekomme manchmal gesagt, „eure Leute sind leicht zu mobilisieren“, aber so leicht sei das nicht. Blickt man auf die letzten Jahre zurück, gelang es aber gerade diesem Syndikat, mit der Mobilisierung seiner Basis entweder zu drohen, oder sie wahrzumachen und damit der nächsten Drohung mehr Substanz zu verleihen.
Und falls es zutrifft, dass der OGBL stark ist, solange er es nicht nötig hat, seine Stärke unter Beweis zu stellen, dann hat ihm das Syndikat Gesundheit und Sozialwesen spätestens seit Februar 2017 strategisch wesentlich genützt: Damals drohte das Syndikat das Bettemburger Sodexo-Pflegeheim zu bestreiken. Dessen Direktion wollte mit einem Sozialplan Mitarbeiter mit dem alten Klinik-Statut, das vorteilhafter ist als der Kollektivvertrag für das Pflegewesen, zum Übertritt in Letzteren zwingen. Als die Regierung zusagte, die Konvention mit Sodexo neu zu verhandeln, lenkte das Unternehmen ein, in der Erwartung von mehr Geld vom Staat. Nora Back blies den Streik in letzter Minute ab und konnte dennoch einen Erfolg verbuchen. Im Juni war er noch größer: Elf Tage Pflegeheimstreik, und am Ende machten Regierung, OGBL und Pflegedienstleisterverband Copas ab, auf welchem Weg der Verbleib von über 600 in der Branche Beschäftigten im Klinik-Kollektivvertrag finanziert werden kann. Und wie ihnen dabei bis zur Pensionierung die aufgewerteten Karrieren garantiert werden können, die sich aus der Übernahme des reformierten Staatsbeamtenstatuts in den parastaatlichen Klinik- beziehungsweise Pflegesektor ergeben.
Doch, sagt Nora Back, dass nach dem von ihr durchgezogenen Streik der OGBL erhielt, was er wollte, habe „eine Rolle gespielt“ bei ihrer Nominierung zur Generalsekretärin durch das zehnköpfige Exekutivbüro, die Machtzentrale der Gewerkschaft. Dass der Streik nur „Show“ gewesen sei, um sich gut zu positionieren im Rennen um die Roeltgen-Nachfolge, bestreitet sie energisch. „Das hat der LCGB behauptet.“ Auch habe es keinen Konkurrenzkampf im Exekutivbüro gegeben, aus dem laut OGBL-Statuten der Präsident kommen muss. Neben Nora Back sind dort nur Jean-Luc De Matteis, Zentralsekretär des Syndikats Bau, Bauhandwerk und Metallkonstruktion, und Frédéric Krier, der Vertreter des Syndikats Erziehung und Wissenschaft, jünger. Die personelle Auswahl zur gewollten Verjüngung an der Spitze hatte somit von vornherein Grenzen.
Dass ihr Syndikat Kämpfe im geschützten Sektor schlägt, bei denen es nicht um Geld privater Patrons geht, sondern um die öffentliche Kranken- und Pflegekasse, beziehungsweise um das Geld der Leute, die für ihre Unterbringung in Alten- und Pflegeheimen zahlen, hört Nora Back nicht so gern. Auch weil sich damit die Frage verbindet, ob in Luxemburg „Klassenkampf“ nur noch im geschützten Sektor möglich ist. Zumal, wenn ein gutwilliger LSAP-Sozialminister bereitsteht, um den informellen Vermittler im Konflikt zu geben und überdies bei seinen Kabinettskollegen zu sondieren, was sich mit Geld aus den öffentlichen Kassen machen lassen könnte – immerhin eine in Luxemburg bewährte Methode zur Konfliktlösung. Nora Back betont, aus Kliniken und Pflegebetrieben „sitzen uns Vollblut-Ökonomen und Vollblut-Juristen gegenüber“. Sie sind „für uns wie das Patronat in jedem anderen Betrieb“.
Das Problem für den OGBL ist freilich, dass es in der Arbeitswelt künftig viel weniger Schutz geben könnte, falls der technologische Fortschritt, zunehmende Vernetzung und Computerisierung die Arbeitsverhältnisse prekärer machen und Scheinselbstständigkeit und befristete Anstellung häufiger. Der OGBL sei schon heute die Gewerkschaft, die gegen prekäre Verhältnisse eintritt und sich zum Beispiel auch für Putzfrauen einsetzt, insistiert Nora Back. Doch den Sprung aus dem Syndikat für den geschützten Sektor an die Spitze der Gewerkschaft, die für alle da sein will, muss sie selber noch vollziehen. Dass sie erst nach den Sozialwahlen im Frühjahr 2019 das Generalsekretärinnenamt antritt, erleichtert sie. „Die Monate werde ich brauchen, um in den Sattel zu kommen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, alles easy!“ Und als Präsidentin scheint sie sich noch nicht zu sehen: Beim Nationalkongress im Dezember 2019 werde André Roeltgen ein weiteres Mal kandidieren, theoretisch könnte er nach der Wiederwahl bis Ende 2024 Präsident bleiben. Von dem ungeschriebenen Gesetz, kein OGBL-Präsident sollte älter sein als 60 – Roeltgen erreicht dieses Alter nächstes Jahr – will Nora Back nichts wissen: „Das hatte John Castegnaro in die Welt gesetzt. Wenn ich André Roeltgen wäre, würde ich sagen, so ein Gesetz gibt es nicht!“
Dass eine angehende Gewerkschaftsführerin kein Problem hat, gegenüber der Presse von Selbstzweifeln zu erzählen, ist bemerkenswert aufrichtig. Es zeigt aber auch, dass Nora Back noch die politischen Reflexe fehlen, die über das Ressort hinausreichen, das sie seit 14 Jahren gewohnt ist. Was die Führung der Gewerkschaft angeht, die heute der Präsident überragt, möchte sie die „partizipativer“ gestalten. „Auch wenn André Roeltgen mir gesagt hat, das geht nicht“, zum Beispiel weil die Politik einen einzigen Ansprechpartner im OGBL brauche. „Ich möchte das trotzdem ändern“, bekräftigt sie, denn für die Gewerkschaft würden „immer mehr junge und hochkompetente Leute“ arbeiten. Eine „richtig coole Clique“, auf die Nora Back sich später stützen will. Für den stark zentralistisch funktionierenden OGBL wäre das am Ende die größere Veränderung als allein der Umstand, eine Frau an der Spitze zu haben.