Er wünsche sich keinen ungeordneten Brexit, sagte Xavier Bettel diese Woche. Das sei in niemandens Interesse, weder Europas noch der Briten: „Ich glaube, ein Brexit ohne vorherige Einigung wäre schlecht für jeden.“ Für einen Moment ließ der besorgte Ton des Staatsministers das Taktieren um den Brexit-Kuchen vergessen, von dem Luxemburgs Regierung hofft, ein großes Stück abzubekommen: Wenn mit dem EU-Austritt britische Banken den Finanzpass und also den ungehinderten Zugang zum Finanzmarkt der EU verlören, könnten diese nach Luxemburg abwandern.
Mittlerweile wird ein anderes Szenario immer wahrscheinlicher: dass ein geordneter „softer“ Brexit nicht kommen wird. Zwar hatte Theresa May ihr Brexit-Weißbuch vergangene Woche vom Kabinett absegnen lassen, doch danach ging es Schlag auf Schlag: Der Mann, der den EU-Austritt mit Brüssel verhandeln sollte und mitverantwortlich für das Weißbuch zeichnete, Brexit-Minister David Davis, trat zurück. Weniger als zwölf Stunden später folgte Außenminister Boris Johnson. Aus beider Rücktrittsschreiben wird deutlich: Der 102-seitige Plan der Premierministerin, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, wonach die Insel eng an den europäischen Binnenmarkt gebunden bleiben und ein gemeinsames „Regelbuch“ die Übernahme von EU-Produktstandards garantieren soll, schmeckt den Brexit-Hardlinern in ihrer Partei nicht. Die Rücktritte überraschen indes nicht: Von Anfang an war Brexit ein Machtkampf zwischen kategorischen EU-Gegnern bei den Tories und EU-Befürwortern. Als der damalige britische Premierminister David Cameron das Referendum versprochen hatte, hatte er es in der Hoffnung getan, sich von dem lähmenden Dauerzwist befreien zu können – wie heute die Welt weiß: vergebens. Denn der interne Machtkampf geht weiter, er spitzt sich sogar zu, nachdem Mitte der Woche zwei weitere Tories ihren Rücktritt erklärten.
Seitdem gucken die andere EU-Mitgliedstaaten, auch Luxemburg, zunehmend entgeistert nach London. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte diese Woche demonstrativ, May den Rücken zu stärken, doch die Soli-Geste ging im Wirbel um Johnsons Rücktrittserklärung unter. Viel spricht dafür, dass ein harter Brexit nicht nur die Briten kosten wird, sondern die Wirtschaft Kontinentaleuropas stärker in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, als bisher gedacht. Ende Juni hatte die Europäische Bankenaufsicht gewarnt, die Banken seien nicht genügend auf das Szenario eines harten Brexits vorbereitet. Laut Weißbuch sollen an die Stelle des Finanzpasses neue, noch zu verhandelnde Zugangsegeln für finanzielle Dienstleistungen treten, die „preserve the mutal benefits of integrated markets and protect financial stability“. Der Geschäftsführer von Luxembourg for Finance, Nicolas Mackel, warnte ebenfalls am Donnerstag, der Brexit drohe zur lose-lose-Situation zu werden. In der Zwischenzeit mehren sich die Gerüchte, die Brexit-Gegner könnten zum letzten großen Schlag gegen May ausholen – und genügend Stimmen sammeln für ein Misstrauensvotum. Sollte das passieren, müssten die Hardliner liefern, nur ist bis dato kein Plan für einen harten Brexit bekannt. Dann würde Großbritannien am 29. März, wenn die gesetzte Frist abläuft, ohne Übergangszeit aus der EU herausfallen. US-Präsident Donald Trump, auf dem Sprung nach London, schüttete Öl aufs Feuer, als er den Slogan der Hardliner „Brexit is Brexit“ aufgriff und seinerseits meinte, er glaube nicht, Mays Zukunftsvision sei, wofür „die Leute gestimmt“ hätten.
Keine Rolle spielt in dem Irrsinn indes, dass es berechtigte Zweifel daran gibt, ob das Brexit-Votum überhaupt auf faire Weise zustande gekommen ist: Die britische Wahlaufsicht war am 4. Juli zum Schluss gekommen, dass die Brexit-Befürworter 2016 bei ihrer Kampagne für den EU-Austritt gegen Kostenvorgaben verstoßen haben. An „Vote Leave“ waren Brexit-Hardliner wie Boris Johnson beteiligt.