Die Regierungsbildung in Italien ist gescheitert. Dies läge, so konstatiert die internationale Presse, an den Persönlichkeitsstrukturen der Protagonisten in Rom. Ob nun Luigi Di Maio von MoVimento5stelle – der sogenannten Fünf-Sterne-Bewegung – oder Matteo Slavini, Chef der rechtspopulistischen Lega Nord, ob Matteo Renzi, Ex-Chef der sozialdemokratischen Partito Democratico oder Silvio Berlusconi, Vorsitzender der Forza Italia. Sie alle wollen – obwohl niemand die Wahl von Anfang März für seine Partei entscheiden konnte – Italien regieren, auf dass einer der jeweils drei anderen Herren die dazu notwendige Mehrheit beschaffe. Sie sehen sich als die einzig wahren und legitimen Regierungschefs und möchten sich persönlich und nur sich selbst im Amt sehen. Die Genese Italiens spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Nun lässt Staatspräsident Sergio Mattarella neuwählen.
Das wünscht sich so mancher Kontinentaleuropäer auch für das Vereinigte Königreich. Es würde nochmals abstimmen darüber, ob das Land nun die Europäische Union verlässt oder nicht. Wunschdenken auf dem Festland. Doch dazu wird es nicht kommen. Großbritannien wird Ende März nächsten Jahres die EU Lebewohl sagen, nur mit welchem Ziel und in welches Konstrukt, das steht noch nicht fest. Vorschläge, wie es nach dem 29. März 2019 weitergehen soll, gibt es in London viele. Doch die stoßen in Brüssel auf wenig Gegenliebe.
So auch vergangene Woche. Michel Barnier, Chef-Unterhändler der EU, hatte den Vorschlag, den die britische Premierministerin Theresa May ihrem Kabinett präsentierte, schon im Vorfeld als unbrauchbar deklassiert. May ließ sich nicht beirren und kassierte eine Klatsche. Denn ihr blieb keine andere Wahl. Es war ihr einziger Plan. In diesen Tagen. Für die Zukunft. Genau dies ist ihr Debakel. Sie hat keinen Plan B, eigentlich noch nicht mal einen Plan A, sondern klammert sich an einen Plan Z. Z wie „Zollpartnerschaft“. Er sah vor, dass die Briten nach dem Austritt aus der Staatengemeinschaft für die EU Importzölle einsammeln und diese an Brüssel weiterleiten möchten. Ihre Ministerriege lehnte diesen Plan umgehend ab. Die Süddeutsche Zeitung zitierte Wortfetzen aus der Kabinettsitzung: „Desaster“ und „kretinös“ sind demnach gefallen. Westminster fordert von May einen Vertrag auszuhandeln, der das Vereinigte Königreich deutlich besser stellt. Alle Vorschläge, mit denen Grenzanlagen in Irland vermieden werden können, sind jetzt zur Überarbeitung an die Fachleute zurückverwiesen worden.
Ende April hatte Theresa May die nächste Schlappe kassiert: Mit 348 zu 225 Stimmen forderten die Lords die konservative Regierung auf, alles dafür zu tun, dass das Land nach dem Austritt aus der EU zumindest in der europäischen Zollunion bleibt. Auch zahlreiche konservative Lords stimmten mit der Labour-Opposition und damit gegen die eigene Premierministerin, die seit Monaten darauf beharrt, dass das Land sowohl aus dem europäischen Binnenmarkt als auch aus der Zollunion austritt.
Damit liegt sowohl die Strategie Mays als auch die von Oppositionsführer Jeremy Corbyn in Scherben. Theresa May sitzt in der Zwickmühle, gefangen in einem Grabenkampf zwischen denjenigen, die in der EU verbleiben wollen, und solchen, die für den härtest möglichen Brexit kämpfen. Schlimm ist dabei, dass die Lager sich nicht eindeutig politischen Parteien zuordnen lassen, sondern die Front mittenmang verläuft. Da ist zum Beispiel Mays Parteifreund und Widersacher Dominic Grieves, der die Premierministerin vor sich hertreibt. Er wirbt für die Zollunion und damit eine enge Anlehnung an die EU, was May kategorisch ablehnt. Die Premierministerin muss beide Seiten bedienen, denn die jeweils andere droht mit dem Sturz der Regierung und nimmt die Premierministerin dann als Geisel für Forderungen an Brüssel. Ihre ausweglose Situation wurde zuletzt noch dadurch verstärkt, dass die britische Innenministerin wegen eines – von May mitverursachten – Skandals in der Einwanderungspolitik zurücktreten musste und ihr Nachfolger das fein austarierte Gleichgewicht im Kabinett erschütterte. Sajid Javid war zwar ursprünglich gegen den Brexit, hat aber in der entscheidenden Kabinettssitzung gegen die Zollpartnerschaft und also gegen May votiert – und somit die harten Brexit-Fans gestärkt. Die Einzigen, die derzeit Hoffnung schöpfen, sind die absoluten Brexit-Hasser. Sie hoffen, dass der Ausstieg am Ende an Unversöhnlichkeit oder Inkompetenz im eigenen Land scheitert.
Sie schüren die Hoffnung, der Brexit könne zum Brino werden: „Brexit in name only“, also „Brexit nur dem Namen nach“. Dies bedeutet, dass eigentlich alles beim Alten bliebe, Zollunion und Binnenmarkt, nur eben andere Namen und Vertragswerke bekämen, damit die liebe Seele Ruhe hätte. Das Vereinigte Königreich tritt dann am kommenden 29. März formal aus der Union aus, um in einen status-quo-ähnlichen Übergang zu gleiten, aus dem ab dem Winter 2020 ein Partner der EU würde. Mitgliedschaft in der Zollunion inklusive, vielleicht auch im Binnenmarkt, Verbleib in den EU-Agenturen und Programmen, Fortzahlung der Beiträge für gemeinsame Projekt, weitreichende Rechte für Bürgerinnen und Bürger der Union.
In der Politik wächst die Zustimmung für diesen Weg. Immerhin einen Zeitplan gibt es: Im Oktober will die Regierung ein Austrittsgesetz, ein Gesetz für die Übergangsperiode und eine politische Erklärung für die Zeit danach vorlegen.
Die Britinnen und Briten hingegen staunen einmal mehr darüber, dass ihre Regierung noch immer konzeptionslos und zerstritten in den Brexit stolpert. Die Probleme sind bekannt, eine Lösung ist nicht in Sicht: ein tief gespaltenes Land, in dem sich Gegner und Befürworter des EU-Ausstiegs immer noch die Waage halten; eine gespaltene Regierung, die zwischen hartem Brexit und am liebsten gar keinem Brexit laviert; ein gespaltenes Parlament, das sich lange ohnmächtig fühlte und nur langsam zu alter Stärke findet; eine Opposition, die nicht weiß, ob sie für oder gegen den Brexit ist. Und eine Premierministerin, die zwar gern und oft sagt, was sie nicht will, aber entweder nicht weiß oder nicht durchsetzen kann, was sie will.