Brexit-Verhandlungen

Aktenleere Hände

d'Lëtzebuerger Land vom 21.07.2017

Anfang der Woche ging es ans Eingemachte. Die Brexit-Verhandlungen der britischen Regierung mit der Europäischen Union starteten in die zweite Runde. Und wenn auch London mit aktenleeren Händen nach Brüssel reiste, sind die Briten mit ihren Forderungen an die EU sehr deutlich – etwa, wenn es um den künftigen Status und Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien geht.

Diese sollen deutlich eingeschränkt und nicht automatisch lebenslang garantiert werden. EU-Bürger, die nach dem Brexit ins Vereinigte Königreich umziehen möchten, sollen sich dann einzeln, in einem bürokratischen Verfahren um ein gesichertes Aufenthaltsrecht bewerben müssen. Dabei werden, so die Vorschläge Londons, die Hürden für den Familiennachzug sowie für die Anerkennung von Studien- und Berufsabschlüssen sehr hoch gesetzt. Vor allem aber möchte das Vereinigte Königreich durchsetzen, dass die künftigen EU-Ausländer in Großbritannien ihre Rechte nicht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einklagen können. Nur diejenigen Bürgerinnen und Bürger der EU, die vor dem Brexit nach Großbritannien gekommen sind, dürfen die von Brüssel geforderten, bislang geltenden Rechte behalten. Entscheidend für die weitere Gewährung der Privilegien ist dabei der Stichtag, während London auf ein möglichst frühes Datum drängt, möchte Brüssel am Datum des tatsächlichen Austritts aus der Union festhalten.

Doch dies ist nur ein Streitpunkt bei den Brexit-Verhandlungen. Harte Verhandlungen wird es auch um den genauen Fahrplan geben, die Rechnung für den Austritt und künftige EU-Außengrenzen in Nordirland und Gibraltar. Beim Fahrplan geht es um handfeste wirtschaftliche Interessen: Die britische Premierministerin Theresa May möchte von Beginn an auch über ein Freihandelsabkommen und einen Zollvertrag zwischen der EU und Großbritannien für die Zeit nach dem Austritt verhandeln, damit der Handel ungestört bleibt. Doch Brüssel will zunächst die Scheidungsmodalitäten geklärt wissen, bevor die künftige Zusammenarbeit diskutiert und verhandelt wird. Dazu gehört auch die Austrittsrechnung. Als Mitglied der EU ist Großbritannien finanzielle Verpflichtungen eingegangen, etwa bei der Finanzierung von Strukturprojekten und Agrarsubventionen, den britischen Anteil am Flüchtlingsdeal mit der Türkei, das Hilfsprogramm für die Ukraine oder Pensionsansprüche für EU-Beamte. Noch ist unklar, wie hoch diese Rechnung ausfallen wird – die EU-Kommission beziffert diese auf 60 bis 100 Milliarden Euro. Doch der britische Brexit-Minister David Davis stellte Anfang der Woche klar, dass man der EU zum Abschied keinen „üppigen Scheck“ ausstellen werde.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage, wie die Grenze zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied Irland künftig ausgestaltet wird. Der derzeit geltende Status der offenen Grenze ist ein wichtiges Symbol im nordirischen Friedensprozess und Ausgleich. Nach dem Brexit wäre die Grenze eine EU-Außengrenze und müsste entsprechend überwacht werden, Zollkontrollen wären wieder fällig. Die Grenze werde „so reibungslos wie möglich“ eingeführt werden, erklärte die britische Regierung in ihrem Weißbuch zum Brexit. Mit der irischen Regierung würden „praktische Lösungen“ angestrebt, etwa eine mögliche Übergangslösung von mehreren Jahren, bis eine neue Lösung gefunden werde. Langfristige Übergangslösungen sind so ganz nach dem britischen Gusto. Man möchte die EU verlassen, aber im Binnenmarkt verbleiben. Gibraltar macht es da einfacher, ob des Streits zwischen Madrid und London um die Halbinsel im Mittelmeer.

Unklar ist auch die innenpolitische Diskussion um den Brexit – befördert vor allem durch die nordirische DUP, von der sich May im Parlament unterstützen lässt. Die Gespräche Mays mit der radikalkonservativen Partei sind noch immer nicht abgeschlossen und auch hier können sich noch Forderungen zum EU-Ausstieg ergeben. Bis dahin will die Premierministerin weiterhin an ihrem Plan eines „harten Brexit“ festhalten. Doch es ist mehr als fraglich, ob sie dafür eine Mehrheit finden wird.

Für die EU macht dies Großbritannien zu einem schwierigen, wenn nicht sogar unberechenbaren Verhandlungspartner. Brüssel hat sich sehr genau und gründlich vorbereitet. Wie bei solchen Verhandlungen üblich, hat sie vorvergangene Woche ein Positionspapier nach London geschickt. Reaktionen darauf gab es keine. Damit beginnt für die Europäische Union das Fischen im Trüben. Man kennt die Maximalforderungen der Briten, kann aber deren Verhandlungsbereitschaft nicht einschätzen.

Zudem schwebt über den Gesprächen das Damoklesschwert, dass die Regierung in London jederzeit stürzen könnte. Der größte Fehler Theresa Mays war es, zuerst das Austrittsverfahren offiziell einzuleiten und dann – aus irgendeiner Laune und ein wenig Selbstüberschätzung heraus – Neuwahlen abhalten zu lassen. Nun bleiben noch weniger als zwei Jahre für die aufwändigen, umfassenden und auch schwierigen Verhandlungen. Bis März 2019 muss der Austritt vollzogen sein, so schreibt es Artikel 50 des EU-Vertrags vor. Hin und wieder drängt sich der Eindruck auf, als spiele London auf Zeit, um am Ende das Bestmögliche für das Vereinigte Königreich herausholen zu können.

Martin Theobald
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