Man kann es durchaus als Fortschritt werten: Seit wenigen Wochen sind die Entscheidungen der mit dem Pressegesetz von 2004 eingeführten Commission des plaintes des Presserates, online und für jedermann zugänglich. Bei der Kommission können Privatpersonen, die sich beispielsweie durch Medienberichte geschädigt fühlen, Beschwerde einreichen, ohne sofort einen kostspieligen Prozess anzetteln zu müssen. Vergangenen Sommer hatte die Vollversammlung des Presserates beschlossen, die Ergebnisse zu veröffentlichen, sowohl die bisherigen als auch die kommenden. Seither gibt es etwas mehr Transparenz, was die Arbeiten der Kommission betrifft. Bislang wurde kaum etwas bekannt, weil die Hausordnung ihre Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet. So konnte durchaus der Eindruck entstehen, dass die Medien zwar gerne die Fehler anderer anprangern, ihre eigenen aber lieber verheimlichen. Ohnehin geben die veröffentlichten Dokumente nicht nur Anlasse zur Freude, sondern werfen auch prinzipielle Fragen über die Satzung der Beschwerdekommission auf.
Über 27 Beschwerden hat die Commission des plaintes bisher befunden. Davon betreffen zehn die verschiedenen Publikationen des Verlagshauses Editpress, acht die verschiedenen Saint-Paul-Zeitungen, sechs die Titel des Verlegers Jean Nicolas, eine RTL-Radio und ebenfalls eine das Magazin Revue. Die Ursachen sind vielfältig. Sie reichen von der Nichtveröffentlichung zugesandter offener Briefe, über die Verletzung der Privatsphäre, außerhalb des Kontextes verwendeter Archivbilder, bis hin zur Rufschädigung. Doch nicht immer ist vollständig nachvollziehbar, was genau Auslöser für die Beschwerde war. Denn die kritisierten Bilder, Artikel oder Radio-Beiträge werden den gefällten Entscheidungen bei der Veröffentlichung auf der Webseite des Presserats nicht beigefügt. Ihr eigenes Urteil über die strittigen Pressebeiträge können sich Interessierte demnach nicht bilden.
Dabei scheint es sich nicht um eine besondere Vorsichtsmaßnahme des Presserates in seiner damaligen Zusammensetzung – vergangenen Montag konstituierte sich ein neuer Presserat – zu handeln. Denn anders als beispielsweise in Großbritannien, wo die gesamte Verteilungskette einer verleumderischen Falschinformation von den Betroffenen haftbar gemacht werden kann – vom Journalisten, über den Verleger, über andere Medien, welche die Falschinformation übernehmen, bis hin zum Zeitungshändler am Kiosk – und wo bei der Weiterveröffentlichung eventueller Falschinformationen durchaus Vorsicht geboten ist, ist das in Luxemburg nicht der Fall. Laut Luxemburger Pressegesetz wird die Verantwortung für Gesetzesverstöße in den Medien nur dann weitergereicht, wenn der ursprüngliche Autor nicht bekannt ist. Der Presserat würde demnach mit einer Veröffentlichung der umstrittenen Artikel – um solche geht es bisher in den meisten Fällen – nicht riskieren, sich zusätzlich zum Autor strafbar zu machen.
Dabei ist grundsätzlich fragwürdig, worauf sich der Presserat in seiner Entscheidung, die Untersuchungsergebnisse zu veröffentlichen, stützt. Wahrscheinlich auf die Maxime, was nicht ausdrücklich verboten ist, sei grundsätzlich erlaubt. Denn das Gesetz vom 8. Juni 2004 über die Meinungsfreiheit in den Medien gibt dem Presserat den Auftrag, eine solche Beschwerdekommission zu gründen. Verleger und Journalisten müssen durch jeweils zwei Vertreter in dem fünfköpfigen Gremium vertreten sein, die unter dem Vorsitz einer neutralen Person mit juristischer Ausbildung arbeiten. Das Gesetz schreibt außerdem vor, dass der Presserat selbst die Modalitäten über die Zulässigkeit von Beschwerden bestimmt und die Hausordnung, sprich die Arbeitsweise, aufstellt. Eine Vorgabe, welcher der Presserat nachkam. Doch weder im Gesetz, noch im besagten Règlement d’ordre intérieur der Kommission findet sich eine Bestimmung, die klären würde, ob die Veröffentlichung zulässig ist oder nicht. Und zumindest die „Kläger“, die ihre Beschwerde vor Juli 2009 einreichten, konnten nicht davon ausgehen, dass ihre Einwände irgendwann, ihre Namen und Adressen inklusive, im Netz auftauchen würden. In dieser Situation befinden sich 25 der 27 Kläger.
Joseph Lorent, der am Montag sein drittes Mandat als Vorsitzender des Presserates antrat, sagt: „Dadurch, dass die Entscheidungen nun veröffentlicht sind, werden die Leute indirekt darauf aufmerksam gemacht, dass eine Beschwerde die Bekanntmachung zur Folge hat.“ Ob das künftige Kläger, die von den Medien geschädigt wurden und zu Recht eine Beschwerde einreichen könnten, abschreckt? Wies ist es mit dem Quellenschutz, wenn jemand beklagt, er sei falsch zitiert worden, habe die strittigen Aussagen nicht gemacht, und es stellt sich während der Kommissionsanhörung heraus, dass er oder sie unter der Bedingung, nicht namentlich genannt zu werden, gesprochen hat? Wird den Klägern eine größere Transparenz auferlegt als den Kommissionsmitgliedern? Denn wie abgestimmt wurde, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich – wie auch, wenn die Mitglieder laut Hausordnung dem Secret du déliberé unterliegen. Sie müssen sich also nicht outen.
Erst dann aber würde es richtig interessant und die Beschwerdekommission wirklich transparent. Denn die Vorgaben des Gesetzes hatten zur Folge, dass seit Bestehen der Kommission jeweils die Verlagshäuser Saint Paul und Editpress dort vertreten waren. Und auf Seite der Journalisten, Abgesandte der von ihnen dominierten Gewerkschaften. So waren oftmals – das geht aus den Unterlagen hervor – die Chefredakteure als Kommissionsmitglieder an Anhörungen und Entscheidungen beteiligt, die ihre eigenen Angestellten betrafen. Oder auch sie selbst.
Danièle Fonck, Direktorin von Le Jeudi und Chefredaktuerin Tageblatt, war laut den vom Presserat veröffentlichten und an die Parteien verschickten Dokumenten zugegen, als eine Beschwerde gegen einen von ihr veröffentlichten Leitartikel besprochen wurde (die Beschwerde wurde abgelehnt). Und – wiederum laut Unterlagen – als mehrere zusammenhängende Klagen wegen der Verletzung der Privatsphäre auf der Tagesordnung standen, denen von der Kommission stattgegeben wurde. Das Tageblatt hatte Anfang Juli 2006 die komplette Empfänger-Liste einer der Zeitung zugespielten E-Mail veröffentlicht. In der E-mail erging der Aufruf, als Zeichen des Protests Abonnements von Editpress-Zeitungen zu kündigen. Auslöser der Proteste war ursprünglich ein von Fonck verfasster Kommentar über die Legalität und Opportunität der Beflaggung von Häuserfassaden mit ausländischen Fahnen während der Endspiele der Fußball-Weltmeisterschaft gewesen. Mit der Veröffentlichung der E-Mail wollte die Chefredaktion belegen, so argumentierte Editpress vor der Kommission, dass es sich bei dem Kündigungsaufruf um eine von der Konkurrenz orchestrierte Kampagne handelte, weil auch die Namen einiger Saint-Paul-Journalisten in den angezeigten Adressen auftauchten. Ein Fehlschluss, wie die Kommission festhielt. Danièle Fonck bekräftigt ihrerseits: „Selbstverständlich habe ich die Sitzung verlassen.“ Sowohl den Anhörungen, als auch der Urteilsfindung sei sie ferngeblieben, sei daran unbeteiligt gewesen. Die vom Vorsitzenden verfassten und den Kommissionsmitgliedern bestätigten Angaben in den Unterlagen sind ihrer Aussage zufolge demnach falsch.
Davon unabhängig legt das Beispiel vor allem einen Missstand offen: Weder das Gesetz noch die interne Ordnung regeln den Interessenkonflikt der Kommissionsmitglieder. Wie haben sich die Kommissionsmitglieder zu verhalten, wenn ein solcher vorliegt? Dürfen Chefredakteure über potenzielle Fehltritte ihrer eigenen Beschäftigten entscheiden? Oder die Vertreter der Journalisten über die Redaktionskollegen, die möglicherweise ihre Vorgesetzten sind? Auch das hat es den Unterlagen zufolge gegeben. Oder kann, wenn es hochkommt, der Beklagte zum Richter werden? Oder müssen/sollen sie die Sitzung verlassen. Sowohl Danièle Fonck, scheidende Presseratsvorsitzende, wie auch Joseph Lorent verweisen für alle weiteren Nachfragen an Georges Kill, seit dem Bestehen der Kommission deren Vorsitzender und ehemaliger Vorsitzender des Verwaltungsgerichts. Er verweist aufs Gesetz und das Règlement interne: „Wenn die Betroffenen den Saal nicht von sich aus verlassen, gibt es für mich keine Handhabe, sie rauszuschicken.“ Er kann niemanden zwingen.
Seine Möglichkeiten sind auch rein numerisch begrenzt. Es gibt für die Kommissionsmitglieder keine Stellvertreter. Beklagen, wie in einem Fall, Redaktionsmitglieder aus einem großen Verlagshaus Berufskollegen von der Hauptkonkurrenz, auch das hat es schon gegeben, und jedes Kommissionsmitglied mit Interessenskonflikt verlässt den Raum, kann es vorkommen, dass das Gremium überhaupt nicht mehr beschlussfähig ist.
Eine weitere Prinzipienentscheidung, die ebenfalls Kill, beziehungsweise der Kommission selbst überlassen war – für Lorent ein Beleg dafür, dass sie ihre Arbeit in völliger Unabhängigkeit verrichtet –, bezieht sich auf Beschwerden gegen die Publika-tionen von Jean Nicolas. Laut Nicolas ist die gleichnamige Verlegergruppe hinter dem ehemaligen Investigateur, Lëtzebuerg Privat, Promi und Wäschfra der Gesamtauflage nach zu urteilen das drittgrößte Verlagshaus Luxemburgs. Doch die Mitarbeiter seiner Boulevardblätter haben keine Luxemburger Presseausweise. Ein Antrag einer seiner Mitarbeiter wurde vor drei Jahren abgelehnt. Für ihn ein „Glücksfall“. „Das Pressegesetz von 2004 muss berücksichtigt werden. Das tun wir. Auch wenn wir es stärker ausreizen als andere Medien“, sagt Nicolas. Doch weil der Presserat keinen Ausweis ausstellen wollte, so glaubt er, müssen seine Mitarbeiter sich auch nicht an den vom Presserat ausgearbeiteten Code de déontologie halten, der parallel zum Presseausweis ausgehändigt wird.
Das sieht Kill offensichtlich anders. Denn obwohl Nicolas fragt: „Wie soll ein Presserat, der uns nicht akzeptiert, über uns urteilen?“, tut die Commission des plaintes genau das. Der Kodex solle laut Pressegesetz die Rechte und Pflichten von Journalisten und Verlegern definieren, schreibt die Kommission. Das sei so vage formuliert, dass sich der Kodex ohne Zweifel auf alle Personen beziehe, die bei der Sammlung, der Analyse, der Kommentierung und der redaktionellen Verarbeitung von Informationen mitwirken. Außerdem laute der Auftrag der Kommission, ebenfalls laut Pressegesetz, „de recevoir et de traiter les plaintes émanant des particuliers et concernant une information contenue dans une publication diffusée par voie d’un média.“ Dabei spiele es keine Rolle, ob die Mitarbeiter des beklagten Mediums über das Journalistenstatut verfügen oder nicht.
Von den sechs Klagen gegen die Gruppe Nicolas wurden zwei als unbegründet abgewiesen, für eine erklärte sich die Kommission aufgrund der Sachlage nicht zuständig, eine wurde zurückgezogen, zweien wurden teilweise stattgegeben. Weil man davon ausging, dass die Möglichkeiten, eine Entscheidung durchzusetzen, ohnehin gering seien, sah man davon ab, eine Rüge auszusprechen – was bisher überhaupt noch nie gemacht wurde. „Wir gehen nicht hin“, sagt Nicolas, „was für uns zählt, sind Klagen vor Gericht.“
Damit spricht er einen wichtigen Punkt an. Die Höchststrafe vor der Commission des plaintes ist vergleichsweise harmlos. Allenfalls kann ein Medium gezwungen werden, eine Rüge zu veröffentlichen. Deswegen wurde sie in den vergangen Wochen im Feierkrop als Papiertiger kritisiert. Allerdings verwirkt niemand durch den Gang vor die Kommission sein Recht, vor Gericht zu klagen und einen Prozess anzustreben. Und die Kommission spielt vor allem auch die Rolle des Vermittlers zwischen den Streitparteien. Mit „Berufsehre“, bezeichnet Georges Kill das, was vor der Kommission verhandelt wird. Wenn aber der Beruf sich wirklich Ehre und mit der Autoregulation Ernst machen wollte, sollte der Presserat schleunigst das Règlement d’ordre interne der Commission des plaintes so umändern, dass es eine Basis für die Veröffentlichung der Entscheidungen gibt und Interessenkonflikte künftig ausgeschlossen wären. Oder zumindest deutlich sichtbar würde, wie sich die Berufsvertreter in der Kommis-sion verhalten haben.