Nach dem Treffen Ende Juni in Brüssel findet nächste Woche in der slowakischen Hauptstadt Bratislava unter Ausschluss der britischen Regierung ein weiterer Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union statt. Er soll möglichst überzeugend alle Befürchtungen der EU-Bürger, aber auch der Verbündeten und Rivalen in aller Welt zerstreuen, dass das Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens der Anfang vom Ende der Union ist. Dabei ist der britische Austritt weniger der Auslöser einer Krise als ihr Symptom. Die vor allem aus geostrategischen Überlegungen erfolgte Erweiterung der Union nach dem Ende des Kalten Kriegs, die einseitige Förderung des „freien und unverfälschten Wettbewerbs“ und der autoritäre Monetarismus der Euro-Zone vertieften nicht nur die die wirtschaftliche Krise, sondern führten auch zu einer politischen Krise.
In Bratislava sollte eigentliche eine gemeinsame Antwort auf den Austrittswillen Großbritanniens gesucht werden. Aber die britische Regierung scheint keine Ahnung zu haben, wann und wie sie den Austrittsbeschluss umsetzen will, und die anderen EU-Staaten sind sich nicht einig, ob sie eher einem wichtigen Handelspartner Zugeständnisse machen oder ihn zur Abschreckung von Nachahmern bestrafen sollen.
Aber das ist längst nicht das einzige Problem. Nach dem deutschen Alleingang vor einem Jahr ist die Union bis heute unfähig, eine gemeinsame Haltung gegenüber den aus dem Irak und Syrien Flüchtenden einzunehmen. Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn haben sich in der Union zu einer Lobby von Asylgegnern entwickelt. Sie werden auch von Gipfel-Gastgeber Slowakei beim Bemühen unterstützt, Vorrechte der Brüsseler Kommission zu renationalisieren. Der Versuch, die Türkei mit einem Milliardenscheck als Türsteher der Festung Europa unter Vertrag zu nehmen, droht nicht zuletzt an der innenpolitischen Entwicklung der Türkei unter ihrem immer autokratischeren Präsidenten Recep Erdoğan zu scheitern.
Selbst die Schuldenkrise ist nicht ausgestanden. Griechenland hat noch immer keine Perspektive, aus der Spirale von Schulden und Rezession herauszukommen, die italienische Regierung verhandelt über Wege, vom Zusammenbruch bedrohte Banken zu retten. Die Art und Weise, wie die Union ein Exempel an Griechenland statuierte, hat einen so hohen politischen Preis, dass Spanien seit neun Monaten keine Regierung hat und nun zum dritten Mal wählen soll. Als Vorbereitung des Gipfels in Bratislava hat Griechenland am heutigen Freitag die südeuropäischen EU-Staaten zu einem Treffen eingeladen, um eine den Visegrád-Staaten ähnliche Lobby gegen die Austeritätspolitik zu bilden.
Wie sich die Europäische Union in eine politische Sackgasse manövriert hat, zeigen die Erfolge EU-kritischer und EU-feindlicher Parteien in zahlreichen Mitgliedsländern zur Genüge, und ihre Erfolgsserie könnte in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen: In Ungarn organisiert die Regierung ein Referendum gegen Flüchtlingsquoten, der italienische Premier Matteo Renzi droht, an einem Referendum über eine Verfassungsreform zu scheitern, bei der Wiederholung der Präsidentenwahl in Österreich hat der Rechtsaußenkandidat Norbert Hofer noch immer gute Siegeschancen.
Trotz allerlei Diplomatie im Vorfeld, bei der auch Luxemburger Minister empfingen und empfangen wurden, werden die Erwartungen an den Gipfel in Bratislava inzwischen zurückgesteckt: Man wolle bloß Vorbereitungen treffen, um der Union bei den Geburtstagsfeiern der Römischen Verträge im März nächsten Jahres einen neuen Schwung oder wenigstens eine neue flexible Geometrie zu verpassen.