Alex Bodry, der zum vierten und letzten Mal für das Amt des Parteipräsidenten kandidiert hatte, meldete am Sonntag freudig überrascht auf Facebook: „E gudden LSAP Landeskongress: Lieweg, selbstbewosst an ouni onnéideg Streiderei. Frou ze gesin, dass och d’Parteispetzt d’Vertrauen vun de Memberen huet. Dat mescht Loscht weider ze schaffen.“
Dass die Parteispitze das Vertrauen der Basis genießt und deshalb nicht unnötig gestritten wurde, war selbst für den Vorsitzenden nicht selbstverständlich. Denn ein ausgeprägtes Misstrauen der sich selbst für edel und unschuldig haltenden Mitglieder gegenüber den stets des Opportunismus und Karrierismus verdächtigten Mandatsträgern gehört zur Parteikultur.
Zudem sind die Zeiten alles andere denn einfach für die LSAP: Die Abgeordnetenkammer hat soeben mit fast allen Stimmen der LSAP eine Indexmanipulation für drei Jahre verabschiedet, und damit die Heilige Kuh des Sozialstaats zwar noch nicht geschlachtet, aber doch wieder zur Ader gelassen. Was die Sozialisten immer in ihrer Hochburg Südbezirk eine gute Portion Wählerstimmen kostet. CSV-Finanzminister Luc Frieden kündigte gerade neue Sparmaßnahmen an, um doch noch die Staatsfinanzen ins Gleichgewicht zu bringen. Was eine ähnliche Wirkung im Südbezirk verursacht. Während wenige Tage zuvor die befreundeten Gewerkschaften, denen viele LSAP-Mitglieder angehören, mit einem hübschen Erfolg gegen die geplanten Sekundar- und Pen[-]sions[-]reformen zweier LSAP-Minister mobilisiert hatten. Wie soll es da nach einer Serie von schlechten Resultaten bei Kammerwahlen mit der Partei wieder bergauf gehen?
Deshalb war die Dramaturgie des Kongresses einfach: Mitglieder der Parteiführung, erst der Parteipräsident, dann der Fraktionspräsident und schließlich der Vize-Premier, lösten sich zwischen neun Uhr und halb zwei mit kurzen Unterbrechungen durch andere Parteimitglieder ab, um noch einmal alle Aspekte der Theorie vom kleineren Übel darzulegen. Im Halbkreis des friedlich vergilbten Plenarsaals im Klenge Kueb, mit seinem schmutzig gelben Wandbehang und seiner verstaubten Lamellendecke, hörten die 305 Delegierten geduldig zu, dass die Lage schlecht ist, aber sie ohne sozialistische Minister noch schlechter wäre.
Fast alle Redner bemühten sich, ihre Reformministerin Mady Delvaux-Stehres und noch mehr ihren Reformminister Mars Di Bartolomeo in Schutz zu nehmen. Obwohl die Präsidentin der Femmes socialistes, Michèle Diederich, darauf hinwies, dass dem Entwurf zur Reform der Rentenversicherung „jede Initiative zur Individualisierung“, zum Splitting der Pensionsrechte und zu einem obligatorischen El[-]tern[-]urlaub für Väter fehle. Bodry betonte, dass eine Sekundarschulreform unvermeidlich sei und zitierte den deutschen Sozialdemokraten Peter Glotz, der die Schulfrage zur „eigentlichen sozialen Frage des 21. Jahrhunderts“ erklärt hatte. Doch der Verdacht geht um, dass die LSAP-Minister nicht nur unter dem Beschuss der befreundeten Gewerkschaften stehen, sondern auch vom Koalitionspartner CSV im Regen stehen gelassen werden könnten. Einen Vorgeschmack hatte CSV-Präsident Michel Wolter mit seinem Kreuzzug gegen das geplante Rauchverbot in Kneipen geliefert.
Jedes Mal, wenn die Sozialisten während einer Konjunkturflaute in der Regierung sind, gibt es Parteimitglieder, die meinen, dass es die Rolle der CSV oder DP sein soll, Indexmanipulationen und Einsparungen zu organisieren, aber nicht der LSAP. Sie fragte Alex Bodry feierlich, ob die Sozialisten nicht gerade dann gebraucht würden, wenn es schlecht gehe. Politik könne man nur richtig beeinflussen, wenn man der Regierung angehöre. Die LSAP sei da, um die Forderungen des forschen Prä[-]sidenten der Bankenvereinigung ABBL abzublocken, denn ohne LSAP-Minister wären der Index und die Rentenanpassungen in ihrer jetzigen Form längst abgeschafft.
Doch vom 2010 in Moutfort auferstandenen linken Flügel der Partei war am Sonntag nicht mehr viel zu merken. Die Abgeordnete Vera Spautz bestand recht einsam auf der Feststellung: „Die Modulation des Index war ein Fehler!“ Außerdem warnte sie, bei der Pensionsreform müsse die Partei darauf achten, „nicht die Tür aufzustoßen, die in Richtung Sozialabbau führt“.
Schon im Voraus hatte Fraktionssprecher Lucien Lux Vera Spautz und andere linke Sozialisten daran erinnert, dass die Fraktion „einstimmig“ den Reformentwurf von Mars Di Bartolomeo befürwortet habe. Weshalb Lux mit leicht drohendem Unterton gehofft hatte, dass sich bei der Verabschiedung im Parlament nicht wieder Fraktionsmitglieder desolidarisierten. Auch Christoph Schiltz, Kabinettchef von Arbeitsminister Nicolas Schmit, hatte in seiner Begrüßungsansprache als Vorsitzender der Stater Sozialisten gegen die „falschen Propheten“ in der Partei gewettert, die den eigenen Ministern und Abgeordneten mit Kritiken in den Rücken fielen und nur an ihre eigene Karriere dächten.
Der Europaabgeordnete und ehemalige Wirtschaftsminister Robert Goebbels, eben zurück von einer „alternativen Troika“-Mission aus Griechenland, stellte Vera Spautz als realitätsfremd dar, wenn sie von Sozialabbau in Luxemburg spreche, ohne sich die soziale Lage in den anderen europäischen Ländern zu vergegenwärtigen. Das hatte zuvor Fraktionspräsident Lucien Lux schon so gesehen, der seiner Partei zugute hielt, dass es zu zwei Mindestlohnanpassungen während der Legislaturpe[-]riode gekommen sei, 1 000 Leute mehr im öffentlichen Dienst arbeiteten und in jedem Oktober die Gehälter um 2,5 Prozent erhöht würden.
Wobei mit Kritiken an Spautz wohl immer auch der OGBL gemeint war. Doch es meldeten sich nur wenige Gewerkschafter zu Wort. Dass die Zukunft der Werke von Schifflingen und Rodingen auf dem Kongress der zur Mittelschichtenpartei werdenden Arbeiterpartei kein Thema war, wäre noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen.
Der Monnericher Bürgermeister Dan Kersch beschwor seine Partei, ihre Beziehungen zu den Gewerkschaften zu verbessern. Laut Kersch säßen die sozialistischen Gewerkschafter zwischen allen Stühlen: in der Partei würden sie als Verräter betrachtet, in der Gewerkschaft als Naivlinge.
Doch Fraktionssprecher Lucien Lux, OGBL-Funktionär im einstweiligen Ruhestand, dekretierte forsch: „Wir sind keine Gewerkschaftspartei.“ Er warnte die Gewerkschaften, dass die LSAP bei aller Kritik nicht von „ihren natürlichen Partnern geschwächt“ werden dürfe. Der „leere Stuhl in der Tripartite“ Ende vergangenen Jahres sei keine gute Idee gewesen und habe auch die LSAP-Fraktion im Parlament geschwächt. Vize-Premier Jean Asselborn nannte die Beziehungen zu den Gewerkschaften „gar nicht einfach“ und wünschte sich, „das Klima wieder zu verbessern“, wobei es dazu Anstrengungen beider Seiten bedürfe. Doch Dan Kerschs Vorschlag, ähnlich dem Gemeindeforum ein Gewerkschaftsforum in der Partei als gemeinsame Plattform zu schaffen, fand kein Gehör.
Wo das Klima inzwischen angelangt ist, veranschaulichte der ehemalige Vize-Premier Jacques F. Poos, der das gewerkschaftseigene Tageblatt in europapolitischen Fragen als geistesverwandt mit Marine Le Pen und KPL-Präsident Ali Ruckert aufzählte. Er habe einen Leserbrief geschrieben gehabt, als Tageblatt-Leitartikler Alvin Sold die Euro[-]päische Union ein „Monster“ genannte habe, aber das Blatt habe den Brief „zensiert“ und im Papierkorb verschwinden lassen, klagte der ehemalige Tageblatt-Direktor.
Die nächste Herausforderung für die Partei stellen die geplanten zusätzlichen Sparmaßnahmen dar, um die Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. Jean Asselborn nannte das die schwierigste Herausforderung der Legislaturperiode, und Lucien Lux beruhigte den Kongress gleich, dass „Luc Friedens Agenda nicht unsere ist“.
Parteipräsident Alex Bodry erklärte das so: Die Sozialisten würden dafür sorgen, dass die Kaufkraft nicht, wie in anderen europäischen Ländern, einbreche. Als verantwortungsbewusste Partei könne sich die LSAP es sich aber nicht erlauben, zu allem Nein zu sagen, vielmehr müsse sie bei den bevorstehenden Sparmaßnahmen ihre Prioritäten, wie Bildung, Wohnungsbau und Mobilität, verteidigen. Der öffentliche Dienst dürfe nicht abgebaut werden, eher seien zusätzliche Posten im Bildungs- und im Gesundheitswesen sowie in der Justiz nötig. Auch dürfe der Mehrwertsteuerregelsatz von 15 Prozent nicht erhöht werden.
Anders als CSV-Präsident Michel Wolter lehnte Bodry jeden Ver[-]gleich mit Griechenland ab und hielt deshalb auch keine „Rosskur“ für nötig. Luxemburg brauche weder eine Blut,Schweiß- und Tränenrede, noch die Nachahmung ausländischer Auste[-]ritätspolitik. Sparpotenzial gebe es allerdings bei dem geplanten kommunalen Klimapakt (CSV) und den neuen Auflagen für die kollektive Kinderbetreuung (CSV), die vor allem den öffentlichen Sektor be[-]lasten würden. Empfehlenswert sei eine Mindestbesteuerung für alle Betriebe, wie sie bereits für Be[-]teiligungsgesellschaften eingeführt worden sei.
Bodry wehrte sich auch gegen eine „Philosophie“, den Betrieben alle neuen gesetzlichen Auflagen und Mindestlohnerhöhungen zu kompensieren. Ginette Jones, Direk[-]tions[-]mitglied des Arbeitsamts, rechnete vor, dass so gut wie für alle Beschäftigungssituationen, die nun durch eine Bezuschussung des Mindestlohns gefördert werden sollen, schon Subventionen bestehen.
Generalsekretär Yves Cruchten fragte, wie CSV-Finanzminister Luc Frieden sparen wolle, wenn seine Kollegen Biltgen und Modert gerade ein 65 Million teures Gehälterabkommen mit der CGFP ausgehandelt hätten. Hinter dem Redner hieß es auf einer breiten Leinwand: „Besser Chance fir déi Jonk“ – in Anführungszeichen, als Scheinzitat ohne Quelle. Der Spruch sollte an das alte bildungspolitische Versprechen der LSAP von Chancengleichheit erinnern. Aber Chancen sind auch die marktkonforme Alternative zu Rechten.