Im Clubhaus der Schützenbruderschaft Schéiss soll am Sonntag der ehemalige Armeeoffizier Fernand Kartheiser, inzwischen Abgeordneter und Stadtrat, zum neuen Präsidenten der ADR gewählt werden. Dann hätte er, seit der Unterzeichung eines Kooperationsabkommens seiner Association des hommes du Luxembourg mit der ADR, fast auf den Tag vier Jahre gebraucht, um den Durchmarsch bis an die Spitze der Partei zu schaffen.
Die Aufgabe des vierten Präsidenten des ehemaligen Aktionskomitees, nach Gast Gibéryen, John Bram und Roby Mehlen, soll es sein, dafür zu sorgen, dass er nicht der letzte Präsident sein wird, dass die einst so erfolgreiche Rentnerpartei nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Mehlen hatte 2009 für ihn ganz unerwartet sein Abgeordnetenmandat verloren, als die ADR im Ostbezirk nicht mehr genügend Stimmen für einen Parlamentssitz erhielt. Seither fehlte ihm die wichtigste Tribüne, um öffentlich in Erscheinung zu treten, und der neue Abgeordnete Kartheiser stellte ihn weitgehend in den Schatten. Nachdem er sich noch 2009 geweigert hatte, persönliche Konsequenzen aus der Wahlniederlage zu ziehen, gibt Mehlen nun auf.
Ob Fernand Kartheiser der neuen Aufgabe gerecht werden kann, ist nicht sicher. Denn er ist alles andere als unumstritten in den eigenen Reihen. In der Sitzung des Nationalkomitees am 12. März erhielt er nur 13 von 20 Stimmen, vier Vorstandsmitglieder stimmten gegen ihn, drei weitere enthielten sich. Das ist nicht die beste Voraussetzung, um die müde gewordene Truppe zu mobilisieren.
Kritiken gibt es in der Partei viele an Kartheiser. Da ist jener Teil der ADR-Basis, die sich vom sozialen Abstieg bedroht und von ihren traditio[-]nellen Parteien und Berufsorganisationen vergessen fühlen, Rentner, Unqualifizierte, Landwirte, kleine Geschäftsleute, die im Kampf um die internationale Wettbewerbsfähigkeit auf der Strecke bleiben. Sie fürchten, dass ihre Sorgen, wie sie jeden Monat die Enden zusammen bekommen, wenig Verständnis bei dem in höheren Sphären schwebenden Berufsdiplomaten im Nadelstreifenanzug finden.
Andere ADR-Mitglieder, die mehr als 20 Jahre lang vom Neid auf die als privilegiert dargestellten Staatsbeamten zehrten, machen Kartheiser für die angesichts des ruinösen Wahlkampfs und der günstigen Wahlprognosen unerwartete Wahlniederlage von 2009 verantwortlich. In Abwesenheit von Parteipräsident Robert Mehlen hatte er wenige Monate vor den Wahlen eine Pressekonferenz organisiert, um sich bei den Wählern aus dem öffentlichen Dienst anzubiedern. Das war als die Wähler verwirrende Kehrtwende angesehen worden, obwohl der Beschluss auf den Erneuerungskongress vom April 2006 zurückgeht.
Einem Teil der ADR-Mitglieder ist aber auch der stramm rechte Kurs Kartheisers nicht geheuer. Nach dem Eklat in der ADR-Jugendorganisation Adrenalin um den jungen Petinger Stadtrat und großen Kartheiser-Verehrer Joé Thein befürchten sie, dass die ADR nun tatsächlich zu jener rechtsextremen Partei werden könnte, als die ihre Gegner sie meist zu Unrecht darstellten. Sie bangen um den erneuten Verlust der nach der Valissen-Affäre mühsam wieder erlangten Respektabilität.
Dabei ist die für Sonntag versprochene personelle Erneuerung nur eine weitere Etappe in einem nicht endenden Prozess der Erneuerung, mit dem seit einem Jahrzehnt der Niedergang jener Partei gestoppt werden soll, die einst aus dem Stand vier Parlamentsmandate gewonnen und es zum Entsetzen der CSV und anderen Parteien bis 1999 sogar auf sieben Mandate geschafft hatte. Doch die Reform der Pensionen im öffentliche Dienst 1998 und der Rententisch zugunsten der Rentner aus der Privatwirtschaft 2001 läuteten den Niedergang des einstigen Aktionskomitees ein, an dessen Wiege 1987 die Neutral Gewerkschaft Luxemburg, der Freie Luxemburger Bauernverband, die Journalistengewerkschaft des Sankt-Paulus-Verlags UJL und der kommunistische Rentner- und Invalidenverband standen. Durch die[-]se Organisationen verfügte das Komitee über eine Struktur und eine soziale Basis, die den kurzlebigen Wahlvereinen fehlen.
Um den nach 1999 einsetzenden Niedergang aufzuhalten, wurde zum dritten Mal der Name samt Logo geändert, von Aktiounskomitee 5/6 Pen[-]sioun fir jiddfereen zu Aktiounskomitee 5/6, dann Aktiounskomitee fir Demokratie a Rentegerechtegkeet und derzeit Alternativ Demokratesch Reformpartei. Aber ohne Erfolg. Gleichzeitig suchte die durch die Pensionreform und den Rententisch überflüssig gewordene Rentnerpartei nach einer neuen Daseinberechtigung. Doch in der Referendumskampagne 2005 war sie nicht zu einer einheitlichen Posi[-]tion fähig, um im Namen jener Hälfte der Wähler zu sprechen, die den Europäischen Verfassungsvertrag ablehnten. Nicht minder erstaunlich ist, dass die ehemalige Rentnerpartei nicht die Gelegenheit nutzt, um politisches Kapital aus der von LSAP-Minister Mars Di Bartolomeo angekündigten Rentenreform zu ziehen, sondern stattdessen Vorschläge macht, um die Rentner durch die schrittweise Abschaffung der Rentenanpassungen zusätzlich zu belasten.
Das 2006 mit nur einer Enthaltung beschlossene Grundsatzprogramm sollte aus der Rentnerpartei eine kleine konservative Partei für die von der modernisierten CSV enttäuschten konservativen Wähler machen. Weil auch das bisher ohne Erfolg blieb, setzt ein Teil der Partei nun alle Hoffnungen in Fernand Kartheiser, um diesen sechs Jahre alten Kurswechsel endlich zu verkörpern.
Der 52-jährige Kartheiser studierte Geschichte, internationale Beziehungen und Milltärwissenschaften in Frankreich, Belgien und Österreich. Seine Abschlussthese schrieb er über einen Höhepunkt des Kalten Kriegs, über Le Luxemburg et la guerre de Corée (25 juin 1950-27 juillet 1953). Le Jeudi hatte am 16.2. darauf hingewiesen, dass Kartheiser wie die „génération Bommeleeër“ zu den Absolventen der Brüsseler École royale militaire gehörte, als diese von der rechtsextremen Front de la jeunesse unterwandert war. Von 1978 bis 1989 war er Armeeoffizier. Dann wechselte er ins Außenministerium über, wo er unter anderem ständiger Vertreter bei der OSZE und Botschafter in Athen war, ehe er 2005 Directeur du budget des Ministeriums wurde. Seit 2009 ist der Abgeordnete im einstweiligen Ruhestand. Im Parlament ist er, wie ein Teil der neuen Rechten, vehement antiislamisch, israelfreundlich und antifeministisch, nutzt sein Wissen aus seiner Zeit im diplomatischen Dienst, um seinen ehemaligen Vorgesetzten politisch in Verlegenheit zu bringen, und ist inzwischen zum fleißigsten Verfasser parlamentarischer Anfragen in der Abgeordnetenkammer geworden.
Ende 2000 hatte Kartheiser, damals Botschafter in Athen, unter dem durchsichtigen Pseudonym „Fer[-]nand le Chartreux“ den Roman Helleg Muecht veröffentlicht, in dem er von der Verschwörung einer mächtigen katholischen Geheimorganisation erzählte: „Mir sinn déi stäerkste geheim Organisatioun am Land. Mir liewe vu Steiergelder, mir verfügen iwwer de ganzen Apparat vun der Kierch a sëtzen seguer bei der Regierung mat um Dësch.“ Heute dürfte der antiklerikale Unterton des Romans dem Autoren etwas peinlich sein. Denn beim Versuch, die ADR als die konservative Alternative zur CSV darzustellen, nennt sich Kartheiser inzwischen selbst einen wertkonservativen Christen.
In den anderen Parteien wird der kurze ADR-Kongress am Sonntag nicht ohne Sorge beobachtet. Denn als Kartheiser– geschieden, Vater zweier Söhne – 2008 mit seinem Männerverein AHL zur ADR stieß, wurde er vielfach als Spinner belächelt, der mit seinem Windmühlenkampf gegen den Feminismus das Chaos in der ADR nur vergrößern könnte. Und tatsächlich hatte er gerade noch eine Streitschrift Kritik der reinen Unvernunft. Zur Feminisierung der Sprache veröffentlicht, um „die Rechte der Männer als Bürger in einer demokratischen Gesellschaft zu verteidigen. Denn ist es heute nicht schon in vielen Bereichen so, dass die Männer gegenüber den Frauen stark benachteiligt sind?“
Doch nicht nur Premier Jean-Claude Juncker vertritt die Ansicht, dass es auch hierzulande den Nährboden für eine rechtsradikale Partei gibt, die gedeihen kann, sobald sich ein charismatischer Führer findet. Insbesondere manche Leute in der CSV verdächtigen den für intelligenter und radikaler als die bisherige ADR-Führung gehaltenen Kartheiser solcher Hintergedanken. Auch wenn sie sich einstweilen damit trösten, dass es ihm an dem notwendigen Charisma mangele.