Nach 400 Jahren war er wieder da: Guy Fawkes, der bekannteste englische Bommeleeër, stand gleich mehrfach auf der Plëssdaarm. Ein Jahrzehnt lang hatte der fromme Edelmann aus York auf der Seite der spanischen Monarchie und der katholischen Inquisition gekämpft, um den Freiheitskampf der spanischen Niederlande niederzuschlagen, zu denen auch Luxemburg gehörte. Das war Ende des 16. Jahrhunderts. Vor einem Monat hatten sich Anonymous nennende Computerhacker aus Belgien eine Zeichnung Fawkes auf die Internetseite von Arcelor-Mittal gestellt. Am Samstag auf der Plëssdaarm trugen Demonstranten Fawkes Comic-Maske aus V for Vendetta. Der Film machte den Verschwörer des Gunpowder Plot von 1605 – auch Jesuit Treason genannt – zum libertären Helden im Kampf gegen einen erdrückenden Staat.
Die Lizenzgebühren für die Masken gehen an Time Warner. Time Warner und andere weltweit operierende Unterhaltungskonzerne sollen Nutznießer des von der Europäi[-]schen Union, den USA, Japan und einigen anderen Staaten ausgehandelten Handelsübereinkommens zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie oder Anti-Counterfeiting [-]Trade Agreement (Acta) werden, gegen das die über hundert Jugendlichen in Anoraks und Wollmützen auf der Stelle hüpften und „Stop Acta!“ skandierten. Einen Monat nach Unterzeichnung des Abkommens war während eines europaweiten Protesttags vor allem in deutschen, osteuropäischen und skandinavischen Städten, aber auch in Brüssel und London, gegen das Abkommen manifestiert worden.
Dass das Abkommen Fälschungen von Markenuhren und Luxushandtaschen mit Raubkopien von Spielfilmen und Musikaufnahmen im Internet gleichsetzt, bringe „verheerenden Folgen für fundamentale Bürgerrechte“, hieß es im Aufruf zur Kundgebung. Denn Acta dränge „die Unterzeichnerstaaten dazu, private Unternehmen (ISPs [Internetdienstanbietern]) das Online-Verhalten ihrer Kunden überwachen zu lassen, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern und zu bestrafen. Die veralteten Urheberrechte werden zementiert und über die Bürgerrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, Privatsphäre und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren gesetzt.“ Durch das verschärfte Piraterieverbot werde die „Innovation- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft“ sowie der Zugang zu generischen Arzneien für Entwicklungsländer behindert.
Bevor das Abkommen am 26. Ja[-]nuar von der Europäischen Union und 22 der 27 EU-Staaten – darunter Luxemburg – unterzeichnet wurde, wusste, außer einer kleinen Gemeinde von Internetsurfern, kaum jemand, was Acta ist und interessierte sich auch nicht dafür. Um so überraschender war dann, dass, mit Ausnahme der ADR, am Samstag Sprecher sämtlicher Oppositionsparteien den Kiosk der Plëssdaarm bestiegen und sich gegen das Abkommen aussprachen.
„Sowohl die Art und Weise wie das Abkommen beschlossen wurde”, heißt es in einer Presseerklärung der DP, „als auch dessen Inhalt sind für uns inakzeptabel. Bei der Ausarbeitung des Abkommens wurden vor allem die Inhaber von Autorenrechten zu Wort kommen gelassen, auf Kosten der Verbraucherinteressen und auf Kosten des Schutzes von elementaren Bürgerrechten.” Während der linke Abgeordnete Serge Urbany beanstandete, dass das Internet jene störe, die bloß Geld damit verdienen wollten, verlangten die Grünen in einer Erklärung, dass Luxemburg sich jenen Unterzeichnerstaaten anschließe, welche den „Ratifizierungsprozess auf Eis gelegt“ haben, und wiesen darauf hin, dass sie einen parlamentarischen Ausschuss mit dem Anliegen befasst sehen wollen.
Vielleicht waren die Parteien aber weniger um das Anti-Piraterieabkommen besorgt als darum, dass am Samstag ein Politiker der Piratenpartei sich als einziger an die Demonstranten richten könnte. Denn beim Bemü[-]hen, Kontakt zum Wählernachwuchs aufzunehmen, müssen sie feststellen, dass das Internet ein wichtiges Anliegen der Generation Facebook ist, so dass sie sie nicht kampflos der medienwirksam auftretenden und möglicherweise 2014 kandidierenden Piratenpartei überlassen wollen.
Nachdem sich Kommunikations- und Justizminister François Biltgen (CSV) für nicht zuständig erklärte, und auch das Wirtschaftsministerium zuerst die Kritik am Anti-Piraterieabkommen eher als Paranoia einiger Technikfetischisten anzusehen schien, schob es am Dienstag seinerseits eine Erklärung nach, in der es feststellte, dass das Abkommen nicht über den derzeitigen Rechtsstand in der Europäischen Union hinausgehe. Zudem versicherte das Ministerium, dass die Regierung weder beabsichtige, die nationale Gesetzgebung ändern zu lassen, noch „repressive Maßnahmen wie Hadopi, Three strikes oder Sopa/Pipa” einzuführen – das französische Anti-Pirateriegesetz, die Sperrung des Internetzugangs nach dem Herunterladen von drei Raubkopien oder den Stop Online Piracy Act und Protect IP Act in den USA.
In diesem Zusammenhang hielt das sozialistische Wirtschaftsministe[-]rium es aber offenbar für politisch ungeschickt, zu erwähnen, dass der elektronische Handel inzwischen einen so wichtigen Wirtschaftszweig darstellt, dass Luxemburg es sich nicht leisten kann, das Gefühl von Rechtsunsicherheit bei den Inhabern von Urheberrechten aufkommen zu lassen. Auch wenn dadurch einmal ein kleiner Pirat Gefahr läuft, seinen Internetzugang gesperrt zu bekommen.