Auf dem Parteitag im neu herausgeputzten Limpertsberger Straßenbahndepot hatte DP-Generalsekretär Fernand Etgen im Mai dieses Jahres die Gemeindewahlen beinahe zum Referendum über die seiner Meinung nach gescheiterte Regierungspolitik erklärt. Jedenfalls würden sie zum wichtigen Aufbruchssignal für die Rückeroberung der vor sieben Jahren verlorenen Macht durch die DP. Mutig versprach Etgen, dass „der 9. Oktober die erste Gelegenheit sein wird, um Zeichen zu setzen“, um „einen ersten Schritt zu tun, um das Land in bessere Hände zu legen“. Denn das Ergebnis der Gemeindewahlen werde „der Regierung zeigen, dass es so nicht geht“.
Aber am 9. Oktober erreichte der DP-Generalsekretär nicht einmal sein eigenes Wahlziel in dem 1 635-Seelen-Nest Feulen. Mit 618 Stimmen wurde er nur Zweiter, deutlich hinter seinem Schöffen Fernand Mergen, der 666 Stimmen erhielt. Dass der Abgeordnete Etgen trotzdem Bürgermeister bleiben darf, verdankt er nur seinem in Oberfeulen ein Haus weiter wohnenden CSV- und LCGB-Nachbarn Mergen, der auf das Bürgermeisteramt verzichtete.
Aber die Gemeindewahlen vor einem Monat verliefen nicht nur für ihren Generalsekretär enttäuschend. Insgesamt kam die DP nicht weiter. Auch wenn ihr Wahlkampf diesmal zumindest nach außen disziplinierter verlief als der Parlamentswahlkampf vor zwei Jahren. Damals hatten Kandidatinnen um Lydie Polfer ihren eigenen Wahlkampf gegen Positio[-]nen der Partei und der ehemalige Gesundheitsminister Carlo Wagner Wahlkampf gegen seinen Bezirkspräsidenten geführt.
Doch die Liberalen verloren im Landesdurchschnitt mehr Stimmen als CSV und LSAP. In den Proporzgemeinden gewannen sie zwar auf den ersten Blick ein halbes Dutzend Mandate hinzu, aber nur, weil die Zahl der Proporzgemeinden seit 2005 zugenommen hat. Von dem Nettogewinn gingen fünf Sitze auf das Konto bisheriger Majorzgemeinden. Der Anteil der DP an den Mandaten fiel von 22,3 auf 20,6 Prozent. In zwei der drei größten Städte erreichte sie ihr Wahlziel und behielt das Bürgermeisteramt, doch sie musste dafür peinliche Verluste hinnehmen: In der Hauptstadt verlor sie einen Sitz; in Differdingen, der Gemeinde ihres Präsidenten, ging sie um 8,5 Prozentpunkte zurück und verlor ebenfalls einen Sitz. In Bartringen verlor sie ihre einzige absolute Mehrheit.
In Bettemburg, Dippach, Schüttringen und Steinfort kam die DP neu in vier Schöffenräte, in Schüttringen stellt sie mit Nicolas Welsch sogar den Bürgermeister. Dafür musste sie in vier anderen Gemeinden, Echternach, Grevenmacher, Petingen und Rambruch, die Schöffenräte verlassen, und in Grevenmacher verlor sie das von Robert Stahl gehaltene Bürgermeisteramt. Von den sechs neuen Proporzgemeinden schaffte sie es nur in Betzdorf mit einer „Offenen Liste“ in den Schöffenrat.
Obwohl die DP während des Wahlkampfs großes Gewicht auf Umweltschutz und Energiesparen gelegt hatte, scheint sie mehr als andere Parteien unter dem Aufstieg der Grünen gelitten zu haben. Zwar jammern viele Parteimitglieder bis heute, dass die DP ihre politische Identität ver[-]loren habe, doch Parteipräsident Meisch hatte 2007 die DP plötzlich als „liberale Grüne“ definiert. Deshalb hatte sie vor drei Jahren das Parteimaskottchen Delfin durch einen grünen Punkt im Logo ersetzt. Im Wahlkampf 2009 hatten sich die [-]Liberalen dann als die Partei der [-]Mittelschichtenfamilien positioniert. Doch das Ergebnis der Gemeindewahlen lässt vermuten, dass die liberal gewordenen Grünen für viele umweltbewusste Mittelschichtenwähler attraktiver geworden sind als die begrünten Liberalen.
Ältere Parteimitglieder halten das sowieso alles für Unfug und finden, dass das Erfolgsgeheimnis der DP ihre prominenten Notabeln, von Schaus bis Thorn, waren, nie die Ideologie. Diese hatte Juweliersohn Meisch 2005 in einem Journal-Interview unübertroffen auf die Formel gebracht: „Der Bürger ist Kunde, und der Kunde ist König.“
Hält man sich jedoch an Fernand [-]Etgens Empfehlung, im Ergebnis der Gemeindewahlen ein Zeichen für die Legislativwahlen zu sehen, dann dürfte sich die DP für 2014 nicht allzu viele Hoffnungen machen. Zwar war schon auf dem Kongress im Mai aufgefallen, dass die restliche Parteispitze es wohlweislich vermieden hatte, Parallelen zwischen Gemeinde- und Kammerwahlen ähnlich selbstsicher zu ziehen wie der Generalsekretär. Aber für völlig abwegig hält man sie nicht.
Schließlich muss die Parteiführung genauso wie die manchmal noch der links-liberalen Koalition der Siebzigerjahre nachtrauernde Parteibasis alle sechs Monate hilflos im Tageblatt lesen, wie TNS Ilres der DP prophezeit, keinen Profit aus den Sorgen der Regierung zu ziehen. Abends sehen die Liberalen dann auch noch in der Tagesschau, wie ihre deutsche Schwesterpartei zur Sekte schrumpft, und fragen sich dann, ob der Liberalismus nicht dabei ist, zur „industrie crépusculaire“ zu werden.
Deshalb möchten die sich für Erfolgsmenschen und Leistungsträger haltenden DP-Mitglieder endlich Resultate von der inzwischen gar nicht mehr so neuen Parteiführung sehen. Also erneuert, wie nach jeder Wahlniederlage seit dem Kongress vom 9. Oktober 2004, die Parteispitze verbissen weiter. Auch wenn Carlo Wagner schon vor zwei Jahren die Politik der „nau Gesiichter“ eine „total Topegkeet“ nannte. Nach dem Parteipräsidenten, mehreren Fraktionspräsidenten, mehreren Generalsekretären, dem Schatzmeister, mehreren Vizepräsidenten traf es nun in den vergangenen Tagen den „letzten DP-Minister“, Hauptstadtbürgermeister Paul Helminger, und das Parteiorgan Lëtzebuerger Journal.
Nur 24 Stunden nach den Gemeindewahlen wurde der 70-jährige Helminger aufs Altenteil geschickt, weil er 514 Stimmen weniger als sein Schöffe Xavier Bettel bekommen hatte. Splitting oder eine andere Übergangslösung, die ihm erlaubt hätte, das Gesicht zu wahren, wurden nicht gewährt. Selbst den Fraktionsvorsitz im Parlament wollte Bettel nicht als möglichen Trostpreis für Helminger aufgeben, bis er im Dezember als Bürgermeister vereidigt ist.
Schließlich war Helmingers Demontage schon 2004 vorgesehen. Damals wollte sich die ehemalige Bürgermeisterin Lydie Polfer nach fünf Jahren in der Regierung bei Helminger dafür bedanken, dass er auf einen Ministerposten verzichtet hatte, um ihren Bürgermeistersessel bis zu ihrer Rückkehr warm zu halten. Aber Helminger wollte nicht das Feld räumen, obwohl seine Partei ihn nach seinem schlechten Resultat bei den Parlamentswahlen mit jenen Demütigungen zum Verzicht gedrängt hatte, die er nun erneut erlitt. Doch statt sich, wie am Ende der Haushaltsdebatten versprochen, zurückzuziehen, kandidierte er erneut und erhielt sogar 4 374 Stimmen mehr als Lydie Polfer. Sie musste sich sieben lange Jahre gedulden, bis zu jenem Abend des 10. Oktober 2011, um Genugtuung zu erfahren.
So ist Helminger nach längerer Verzögerung der letzte Vertreter der Generation „1999“, der in die zweite Reihe oder in den Ruhestand geschickt wird, nach den Grethen, Polfer, Goerens, die zum letzten Mal Wahlen gewonnen hatten. Und Bettel setzt seinen fulminanten Aufstieg in der Partei fort. Wobei es nicht die DP ist, die sich ob seines politischen Geschicks dafür entscheidet, Bettel immer neue Verantwortungen aufzutragen, sondern die Partei lässt sich seit 2009 Publikumsliebling Bettel jedesmal von den Wählern aufdrängen.
Zwei Wochen nach den Gemeindewahlen, am vergangenen 24. Oktober, durfte dann der Verwaltungsrat der Éditions Lëtzebuerger Journal den nächsten von der Parteiführung beschlossenen radikalen Schnitt absegnen: eine Beteiligung am Escher Editpress-Verlag und die „enge industrielle, administrative und kommerzielle Zusammenarbeit“ des liberalen Blatts mit dem Herausgeber unter anderem des LSAP-nahen Tageblatts. Das 1948 aus der Fusion der Obermosel-Zeitung und der Unio’n gegründete Journal soll ab nächstem Herbst in neuer Aufmachung in der Editpress-Druckerei Polyprint gedruckt werden, die Journal-Redak[-]tion soll von einem Teil der Redaktionsinfrastruktur von Editpress profitieren, und die Differdinger Espace Régie von Editpress dürfte auch die Anzeigenakquisition für das Journal übernehmen. Damit kehrt die DP als erste Partei von dem nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen und durch die Einführung der Pressehilfe gefestigten Prinzip ab, dass jede im Parlament vertretene Partei nicht nur ihre eigene Zeitung besitzt, sondern sie vor allem auch eifersüchtig von der Konkurrenz abgrenzt.
Dieser in den Monaten zuvor diskret von der Parteiführung ausgehandelte Bruch kam für die DP-Mitglieder überraschend. Sie klagten zwar schon immer darüber, dass das im Besitz des liberalen Centre d’études Eugène Schaus befindliche Lëtzebuerger Journal kaum über die Leserschaft eines Verbindungsblatts für Parteimitglieder hinauskam und deshalb nicht die Propagandafunktion im Interesse der DP erfüllen konnte, die sie sich von einem Parteiorgan erhoffen. Aber nun befürchten sie, dass die Parteiführung weniger die Zukunft des Journal abgesichert hat, als dass die DP bald überhaupt keine Zeitung mehr haben wird oder, noch schlimmer, dass sie nun schrittweise an die rote Konkurrenz ausgeliefert wird.