Ist die Regierung drauf und dran, mit der Pensionsreform die Leute über den Tisch zu ziehen, wie der OGB-L beklagt hat – und das im Gemeindewahljahr? Für dasselbe Rentenversprechen wie im aktuellen Regime werde, wer seine Beitragskarriere nach der Reform beginnt, rund drei Jahre länger arbeiten müssen. So lautete vor drei Wochen die Ankündigung von Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP). Eine Woche später meinte OGB-L-Präsident Jean-Claude Reding, nicht drei, sondern fünf Jahre zusätzlich müssten künftig für dieselbe Rente wie heute gearbeitet werden.
Doch so ungerecht ist der Reform-ansatz in diesem Punkt nicht. Das lässt sich anhand der Rentenformel nachrechnen. Die aktuell gültige Formel zur Berechnung einer Jahresrente R könnte man so schreiben:
R = [(PR+GZ) x E + (PA+JE) x d/40] x a x i
Was auf den ersten Blick wie ein ziemliches Ungetüm erscheinen mag, lässt sich vereinfachen. Auffällig ist der lange Ausdruck in eckigen Klammern. Aus ihm ergibt sich die Rente in Abhängigkeit vom beitragspflichtigen Brutto-Einkommen, der Länge der Beitragskarriere und zum Teil auch des Lebensalters. Die Multiplikation mit a und i anschließend macht die Rente noch größer. Mit Arbeitsjahren und Einkommen haben die beiden Faktoren allerdings nichts zu tun: a ist der Faktor für die Anpassung der Renten an die allgemeine Lohnentwicklung – das laut Gesetz alle zwei Jahre fällige Ajustement. i ist der jeweils aktuelle Indexstand.
Von den beiden Komponenten im Innern der eckigen Klammern liefert (PR+GZ) x E den größten Teil der Rente. Warum? Weil mit E das gesamte beitragspflichtige Einkommen gemeint ist, das die Pensionskasse für einen Versicherten verbucht hat.
Dagegen hat das Einkommen auf (PA+JE) x d/40, die zweite Komponente in den eckigen Klammern, keinerlei Einfluss. Hier zählt vor allem die Zahl der Beitragsjahre. Für sie steht der Faktor d. Nach einer Standard-Beitragskarriere von 40 Jahren ist d=40 und (PA+JE) würde mit 1 multipliziert. Bei kürzeren Beitragsdauern verkleinert sich (PA+JE) mit jedem bis zur 40 fehlendem Jahr um ein Vierzigstel. Größer als 40 kann d übrigens von Gesetz wegen nicht werden, und mitgezählt werden dürfen in d auch die so genannten Ersatzzeiten, wie etwa die Baby-Jahre, nicht jedoch „Ergänzungszeiten“ für Berufsausbildung oder Studium.
Bleiben wir einen Moment bei dieser Komponente: Mit PA sind die pauschalen Zuschläge gemeint, die majorations forfaitaires. Eigentlich ist PA konstant: Seit dem Rententischgesetz vom 28. Juni 2002 beträgt PA monatlich 23,5 Prozent des Mindestlohns. Dass die Pauschale um 11,9 Prozent erhöht wurde, war der wichtigste Beitrag des Rententischs zum Abbau der „Hungerrenten“. JE ist ebenfalls konstant, es steht für die – am Rententisch neu geschaffene – Jahresendzulage: Sie beträgt für jedes Versicherungsjahr 1,67 Euro zum Indexstand 100, das macht nach 40 Jahren 66,80 Euro (Index 100).
Nun lassen sich an der Rentenformel ein paar Vereinfachungen vornehmen. Da die Formel generell mit dem Indexstand 100 rechnet, kann man den Faktor i weglassen und stattdessen mit dem gegenwärtigen Indexstand rechnen. Gleichfalls entfallen kann Faktor a – wenigstens vorläufig, denn er hat mit der Erwerbsbiografie eines Versicherten nichts zu tun. Da der Einfachheit halber der aktuelle Indexstand gilt, können in der „pauschalen“ Komponente (PA+JE) x d/40 für PA prozentuale Mindestlohnbeträge angenommen werden. Die Jahresendzulage JE wird nach 40 Jahren beim gegenwärtigen Indexstand 480 Euro im Jahr oder 40 Euro im Monat betragen. Bei einem Mindestlohn von derzeit 1 760 Euro betragen 23,5 Prozent davon 413 Euro. Die Division der Jahresrente durch 12 ergibt eine Monatsrente. Die vereinfachte Formel zur Berechnung einer solchen Monatsrente R* sieht für 40 Beitragsjahre mit einem Gesamteinkommen E* zum heutigen Indexstand so aus:
R* = 1/12 x (PR+GZ) x E* + 453 Euro.
Was Sozialminister und Finanzminister vor drei Wochen ankündigten, war ihr Plan zur Senkung des proportionalen Zuschlags, der majorations proportionnelles, von derzeit 1,85 Prozent auf 1,6 Prozent. Dieser Zuschlag heißt in unserer Formel PR, und das Vorhaben der Regierung geht tatsächlich weit: Wer eine Standard-Beitragskarriere von 40 Jahren hinter sich hat und in dieser Zeit den Durchschnittslohn bezog, dem garantiert der proportionale Zuschlag von 1,85 Prozent eine Rente von 75 Prozent dieses Einkommens. Sänke der Faktor auf 1,6 Prozent, wären nur noch 65 Prozent garantiert. So wenig, wie vor der Pensionsreform von 1991.
Allerdings hat die Regierung gleichzeitig erklärt, die gestuften Zuschläge (GZ in der Formel) erhöhen zu wollen. Gegenwärtig erhält, wer wenigstens 55 Jahre alt ist und gleichzeitig mindestens 38 Beitragsjahre absolviert hat, pro Lebens- und pro Beitragsjahr einen Zuschlag von 0,01 Prozent gutgeschrieben. Ein 60-Jähriger, der 40 Jahre lang Rentenbeiträge entrichtet hat, erhielte fünf Mal 0,01 Prozent auf sein Alter und zwei Mal 0,01 Prozent auf seine Beitragszeit gutgeschrieben. Zum proportionalen Zuschlag PZ von 1,85 Prozent kommt in diesem Fall ein GZ von 0,07 Prozent. Wer 40 Jahre lang den zweifachen Mindestlohn bezogen hat (eine kumulierte Lohnmasse von 1 689 600 Euro zum aktuellen Indexstand), erhielte damit nach der vereinfachten Rentenformel eine Monatsrente von 3 156 Euro.
Wer während diesen 40 Jahren den einfachen Mindestlohn verdiente (844 800 Euro insgesamt), könnte mit 1 805 Euro Monatsrente rechnen. Wohlgemerkt handelt es sich dabei stets um Bruttobeträge.
Wenn künftig der Zuschlag PZ nur noch 1,6 Prozent betragen soll, will die Regierung GZ erhöhen: Statt 0,01 Prozent pro Lebens- und Beitragsjahr soll es jeweils 0,025 Prozent geben. Gelten sollen die gestuften Zuschläge aber erst ab 60 Lebens- und 40 Beitragsjahren, damit im System ein Anreiz entsteht, länger zu arbeiten.
Der Vorwurf des OGB-L an die Regierung lautet, dass im alten Regime nach 60 Lebens und 40 Arbeitsjahren (PZ+GZ) 1,92 Prozent beträgt. Wer dagegen seine Karriere erst nach der Reform begonnen und drei Jahre länger gearbeitet hätte, könnte zu einem PZ von 1,6 Prozent nur einen GZ von sechs Mal 0,025 Prozent hinzufügen. (PZ+GZ) betrüge dann 1,75 Prozent, während heute schon PZ allein 1,85 Prozent einbringt. Auf diesen Zuschlag käme man nach weiteren zwei Arbeitsjahren. Das war eines der Argumente, mit denen OGB-L-Präsident Jean-Claude Reding vor zwei Wochen die einstimmige Ablehnung der „Reformleitlinien“ der Regierung durch den OGB-L-Nationalvorstand begründete (d’Land, 25.03.2011).
Hier irrte der OGB-L sich jedoch. Zum einen ist es von Belang für die Rente, dass in den drei zusätzlichen Beitragsjahren Geld verdient wird. Die Zusammenhänge ergeben sich aus dem proportionalen Anteil an der vereinfachten Monatsrente. Vor den pauschalen Zuschlägen von 453 Euro würde der proportionale Anteil nach 40 Beitragsjahren im alten Regime, in denen der zweifache Mindestlohn verdient wurde, 2 703 Euro betragen. Im neuen Regime betrüge er nach 43 Beitragsjahren 2 649 Euro. Eine Differenz von „nur“ 55 Euro.
Das Konzept der Regierung muss mittlerweile für kleine Renten sogar noch ausgewogener erscheinen. Was der Sozial- und der Finanzminister der Presse und dem Parlament vor drei Wochen und den Gewerkschaften vor zwei Wochen nur ankündigten, aber noch nicht bezifferten, lag nach Informationen des Land damals schon beziffert vor und hat sich seither noch nicht geändert: Die pauschalen Zuschläge sollen von derzeit 23,5 Prozent auf 26 Prozent des Mindestlohns steigen. Dadurch würde – die Jahresendzulage soll unverändert bleiben – der konstante Anteil in der vereinfachten Rentenformel auf 497 Euro steigen.
Diese Umverteilungsmaßnahme innerhalb der Rentenformel hätte Auswirkungen auf kleine Renten: Nach 43 Jahren, in denen der zweifache Mindestlohn verdient wurde, könnte ein Rentner mit monatlich 3 145 Euro rechnen – gegenüber 3 156 Euro im aktuellen Regime nach 40 Jahren. Nach 43 Jahren im einfachen Mindestlohn würden nach der Reform 1 821 Euro Rente bezogen, gegenüber 1 805 Euro nach 40 Jahren derzeit.
Besteht demnach wenig Grund zur Aufregung und das System spart am Ende womöglich gar nichts? Das nicht: Wer sich im neuen System entschlösse, bereits nach 40 Jahren in Rente zu gehen, würde gehörig verlieren, während die Rentenkasse spart. Sogar ein Mindestlohnempfänger verlöre im neuen System nach 40 statt 43 Beitragsjahren 198 Euro in seiner Rente – jeden Monat. Die Frage, wie gerecht das gegenüber welchen Berufsgruppen wäre, ist ebenso unbeantwortet wie die, inwieweit Einkommensschwache auch hierzulande wesentlich früher sterben als Einkommensstarke und in einem um drei Jahren verlängerten Arbeitsleben vor allem die Renten der besser Gestellten subventionieren. Und über die „Machbarkeit“, länger zu arbeiten, haben die Diskussionen noch nicht einmal begonnen (d’Land, 1.4.2011)
Die wirksamere „Stellschraube“ zur Begrenzung der Ausgaben dürfte aber das Ajustement sein, das die Regierung künftig von der Finanzlage der Rentenkasse und der volkswirtschaftlichen Entwicklung abhängig machen will. Wie die ausführliche Rentenformel zeigt, wirkt der Faktor a auf die gesamte Rente. Wie gewichtig er ist, illustriert eine Schätzung durch den Unternehmerverband UEL im Jahr 2009: Würde ab 2011 das Ajustement ganz abgeschafft, könnte bis 2050 die kumulierte Rentenausgabenschuld um über zwei Drittel kleiner ausfallen als bei unveränderter Politik. Was genau mit einer „Modulation“ der Rentenanpassung erreicht werden soll, hat die Regierung noch nicht erklärt. Doch schon das Ajustement zur verstellbaren Größe zu erklären, wäre eine wesentliche Änderung am System: Betroffen wären auch die laufenden Renten. Vielleicht liegt es ja vor allem daran, dass die Regierung bisher noch keine Beispielrechnungen zu ihren Reformideen publik gemacht hat.