Lex Jacobys erzählerisches "opus magnum" heißt Logbuch der Arche. Dem Binsfeld Verlag und dem seinerzeitigen Lektor Georges Hausemer gebührt das Verdienst, diesen Roman, der von Umfang und Gehalt her als Gipfel deutschsprachiger Prosa aus Luxemburg angesehen werden muss, entdeckt zu haben; dass sich Lex Jacoby, weil weder Binsfeld noch Hausemer das Werk ihrerzeit in den größeren deutschen Buchmarkt zu drücken vermochten, von einem so umtriebigen wie sachunkundigen Botschafter hat beschwatzen lassen, das Logbuch über den dubiosen Lübbe Verlag weiter vertreiben und schon im Ansatz, d.h. im Titel (Als die Tiere an Bord gingen) verunstalten zu lassen, vermag die Erinnerung an diese buchstäblich fabuleske Leistung Jacobys nicht zu trüben.
Wie bis zum Logbuch der Arche, so hat Lex Jaboby in aller Stille, abseits der Marktschreierei und wider den Strudel der Beliebigkeit, in den die Spaßgesellschaft das Buchwesen zu reißen droht, an sich und an der Literatur weitergearbeitet. Es folgen neben sporadischen Beiträgen eher feuilletonistischer Machart in Nic Webers Cahiers luxembourgeois die Novelle Der fromme Staub der Feldwege, im Verlag der Cahiers erzählerische und meditative Prosastücke über Wanderungen in und um die Festungsstadt L. (Wasserzeichen), und es wartet von Jacoby unterdessen ein beachtliches Stück Schrift (Die Pendel der Sonnenuhren) darauf, von einer Berliner Agentur bei einem authentischen Verlag untergebracht zu werden.
Gottlob verkürzt uns, den Freunden, den Genießern Jacobyscher Schreibkunst, inzwischen der St. Paulus Verlag nicht schlecht die Wartezeit, sondern setzt deutschsprachiger Literatur in diesem Lande dank Remis in der Provence ein neues Denkmal.
Posthum im Geiste Baudelaires
Über der Lektüre ist man immer schon auf der Suche nach Antwort auf die Frage gewesen, was einen so unwiderstehlich an einer Prosa verzaubert, die zwar merkwürdig unmodern anmutet, aber auf eine unnachahmliche Art und Weise zeitlos und elegant ist. Es hat vielleicht dahin kommen müssen, dass Lex Jacoby in Remis in der Provence, aus diskreter Ich-Perspektive belauscht und beäugt, ein Alter Ego namens Stefan oder Stéphane, den ausgiebig urlaubenden Angestellten eines Kulturmuseums ("Kumu"!) sich in urprozenzalischen Landen, Dörfern und Städtchen umtreiben lässt, damit klarer erkannt, deutlicher vernommen, schärfer gerochen und würziger nachgeschmeckt werden könne, dass und in welchem Maße wir in diesem luxemburgischen Schriftsteller heute noch - und gerade heute - einen bekennenden, gläubigen, überzeugenden Jünger Baudelaires besitzen.
Was generell für die erzählerische Prosa Lex Jacobys gilt, ist in noch höherem, dichterem Sinne wahr für diese köstlich mäandernde, fast naiv neugierig vagabundierende Nicht-Geschichte Remis in der Provence. Nachhaltiger, plastischer, eindrucksvoller sind Verse wie "La Nature est un temple où de vivants piliers / Laissent parfois sortir de confuses paroles; / L'homme y passe à travers des forêts de symbole", vor allem aber die Programm-Musik "Les parfums, les couleurs et les sons se répondent" nicht in eine Prosa-Partitur zu übersetzen.
Remis in der Provence befolgt oder verfolgt als Erzählung kein Ziel, besitzt keine Finalität, es ist viel eher und fast in der Gestalt des Rondeau ein Poem, ein Hohelied, eine con sordino gesummte Hymne auf die beinahe Lasker-Schüler'sche "Verwanderung"; Lex Jacoby hütet sich denn auch wohl, Remis in der Provence, etwa im Untertitel, eine Gattung wie ein Etikett aufzupropfen; der tief und gern in ländlicher Luxemburger Erde, in den Waldungen um Bridel/Kopstal, auf Öslinger Koppen um Clerf wurzelnde Lex Jacoby leistet sich schreibenderweise das Abenteuer, an seiner Statt einen auf den Namen Stefan hörenden Kauz ihm fremde zwar, doch seltsam verwandte Räume und Zeiten durchstreifen zu heißen und, quasi präambulierend, aus dem, was der Tourismus von ehedem wilder Natur halbwegs verschont hat, aus den Menschen dieser Kulturlandschaft, aus ihren historischen Ruinen und Denkmälern, aus ihrer ganzen Lebens- und Liebesart wie ex nihilo vielschichtigste Poesie zu schlagen.
Sprachzüge, spitzfindig wie Schachspiele
Viel hätte im Zuge der kritischen Begeisterung vor diesem jüngsten, sonnendurchfluteten Stück echt Jaboyscher Sprachkunst nicht gefehlt, und wir wären den Nachweis, dass es sich bei diesem Streifzug durch die Provence um ein in ihrer profanen Religiosiät fast animistische Prosa handelt; der Beweise für diese These gibt es zuhauf, doch da sein Titel wohl gerne aufgeschlüsselt werden möchte, sei aus Jacobys Sprachkaskade von ihrem Quell zitiert und unterfüttert: "Als aber zwischen Draguignan und Lorgues die Sonne in den Himmel kam, wachten die Rebstöcke und Ölbäume auf, räkelten sich, strafften sich und wurden sofort kühn: sie rückten näher an die Straße, sie warfen sich in die Hänge, sie stürmten die Hügel. Sie schienen vorzuhaben, der route secondaire, auf der Stefan fuhr, die Passage zu verbieten.
Die Straße wußte sich jedoch zu wehren. Sie hatte, linker Hand und rechter Hand, Milizen aufgestellt. Wie Gardukorps mit übergroßen Helmen standen die pins parasols am Rande der Chaussee. Hinter den Pinien warteten Lanzenreiter, schlanke Zypressen, auf den Befehl zum Angriff. Die Pinien und Zypressen waren mehr als nur grünes Kriegsvolk, Landsknechte, Lanzenreiter, sie waren Spielfiguren für ein Spiel, das man so spielen musste, als wären zwischen den weißen und den schwarzen Feldern Fallgruben ausgeworfen, Tretfallen verlegt. Sie waren Schachfiguren, vom Straßenrand bis in die Hügel, bis in den Horizont hinein. Die Stauden und Sträucher waren Bauern, die Pinien und Zypressen waren Läufer, die Mandelbäume waren Springer, und mehrere Mauerstücke waren Türme. Die Türme hielten die spitzen Eckfelder besetzt. Auch die Rebstöcke und die Oliven spielten mit. Um diese Zeit war das kleine Heer der Spielfiguren (die Bauern, die Läufer, Springer, Türme, der König und die Dame) noch grau und ohne Umrisse, verschwommen, nicht weiß, nicht schwarz: grau und verschwommen, Schachrudel, die verwaist im Morgennebel zogen..."
Eigentlich halten wir mit Alex Jacoby in diesem Exzerpt bereits bei einem vielgewanderten Hochstilisten à la Wolfgang Koeppen, doch da Jacoby seinen stets und allenthalben fast parsifalesk verwunderten und bewundernden Museumsmenschen Stefan schließlich tief in die farbengleißende, blumen- und pflanzenduftende, von Grillen und Zikaden zersungene Provence und auf die Suche nach der (verlorenen?) Zeit seines "Freundes" Vincent (van Gogh) voran treibt, sei Baudelaire mit einem noch eloquenteren Zitat die Ehre angetan:
"Stefan fuhr nach Osten, aber ihm war, als käme er nicht vom Fleck, als wären nur die Bäume zu seiner Rechten und seiner Linken unterwegs, unaufhaltsam, auf den Abend zu, atemlos, hechelnd und wie becirct vom Westen. Der Himmel war noch immer von einem grünen Blau, die Tageshitze loderte in breiten Schwaden zur Sonne zurück. Dabei griffen die Schwaden auch in die Äste der Oliven, zogen sie hoch mit allen Zweigen und Blättern, zerrten sie grün und schwarz über das blaue Silber der Stämme. Viele Bäume waren schwarzgrüne Flam-men, einige waren nur Rauch. Am Fuß der Bäume wogte, da immer noch die Hitzewellen kamen und gingen, ein rotgelbes Meer. Aber das war kein Meer, das war die Erde der Provence, die unter den Oliven geduldig auf den Abend wartete."
Unter dem Dämpferromantischer Ironie
Ist es nicht schier ein (re-)kreatives Wunder, in der wesentlich irdenen, unmelodiösen, trockenen, harten deutschen Sprache die heißen Farben, die schweren Düfte, die betörende Tonalität der Provence nachzuschaffen, so grenzt es fast an poetische Arroganz, dieser Urheimat Pans im närrischen Geiste und mit der trunkenen Palette eines Vincent van Gogh habhaft zu werden...
Sämtlichen Schichten von Alex Jacobys scheinbar durchtrieben tänzelndem, wirbelndem Text Remis in der Provence ist an dieser Stelle bis auf den Grund nicht nachzukommen und gerecht zu werden; es steckt in ihm und seinem mitunter unmodischen Gehabe manch maliziöse Allusion an die Verwirrungen und Verirrungen unserer kulturellen und kulturpolitischen, der Museumspädagoge Stefan meditiert wandernderweise liebend gern über das Wesen menschlicher Erinnerung, polemisiert insgeheim für sich wider die wohlfeilen Extravaganzen moderner Künste, theoretisiert mitunter über Sprache und Poesie wie es ein Mallarmé nicht reifer vollbrächte, lässt sich tief hinab in die phantastischen Kavernen des Traums und irrt auch mal gern durch das Spiegelkabinett des Schreibens über das Schreiben, doch Jacoby weiß sich immer wieder wohltuend auszubremsen.
Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass die oft brüsken, pointierten Volten, die Jacobys Sätze gerne nehmen, einen späten Nachhall der naiven Beschreibungen vorstellen, wie sie der gewesene Primärschulmeister Jacoby seine ABC-Schützen gelehrt hat und wie er sie in ihren Erlebnisaufsätzen ein Berufsleben lang zu lesen kriegte. Von diesem Sprachstamm rührt auch die geradezu originale und originelle romantische Ironie, die ganz allgemein in Lex Jacobys erzählender Prosa vorherrscht, die aber in Remis in der Provence noch ungleich fröhlichere Urständ feiert.
Luxemburgs Literatur hat in den Sparten Französisch und Deutsch zeit der letzten Jahrzehnte beachtliche Fortschritte auf sich selbst erzielt, Lex Jacoby und neuerdings Pol Schmoetten aber bürgen vorerst noch tapfer dafür, dass diese Literatur, aus barer Lust über ihre Leistungsfähigkeit, sich nicht doch noch für Ideologeme ganz gleich welcher Provenienz missbrauchen läßt!
Lex Jacoby: Remis in der Provence; Éditions St. Paul; 2000; 160 Seiten; 620 Franken. Der Band wird auch portofrei zugestellt, wenn man diesen Betrag, unter Angabe des Titels auf das CCP-Konto 12-12 der Sankt-Paulus-Druckerei überweist.