Âventiure heißt Abenteuer, sie ist wichtiger Bestandteil hochmittelalterlicher Erzählungen, besonders in jenen rund um den sagenumwobenen König Artus und dessen Ritter der Tafelrunde. Wer ein Ritter sein will, muss sich erst einmal als würdig erweisen. So auch Gawain, der junge Held aus David Lowerys Film The Green Knight. Basierend auf der überlieferten Geschichte Gawain and the Green Knight sehen wir hier Dev Patel als Gawain, der ganz selbstsicher und allzu voreilig die Herausforderung des mysteriösen, titelgebenden Grünen Ritters, einem übernatürlichen Recken irgendwo zwischen Mensch und Naturwesen, annimmt und ihm gegenübertritt. Gawain bezwingt ihn durch Enthauptung, doch prompt steht der Fremde wieder auf den Beinen und fordert seinerseits den tödlichen Hieb ein. Gawain soll sich nach Ablauf eines vollen Jahres seinem Schicksal stellen und den Kopf verlieren…
Damit ist der Grundstein für die Erzählung gelegt, auf welchem Lowery seine Ritterreise aufbaut. Anstatt aber dem alles entscheidenden Ereignis entgegenzueilen, nimmt sich Lowery Zeit, diesen Gawain auf die fantastische Reise zu schicken, und er versteht es, den Zuschauer in das Geschehen einzubinden, dessen Ausgangssituation überaus einfach ist, ja sogar sein muss, damit das Publikum den roten Faden der Geschichte nicht verliert. Es ist denn auch weniger eine wendungsreiche Handlung, die die Sogwirkung von The Green Knight ausmacht, als vielmehr die sehr ästhetischen Bilder. Nahezu traumwandlerisch bewegt sich dieser Gawain durch Landschaften, dessen Stimmungsfelder sich nicht mehr rein über den Intellekt fassen lassen und eine Bereitschaft des Zuschauers verlangen, sich auf diese Reise einzulassen.
Im Allgemeinen sind es ereignislose und konsequenzfreie Episoden, die die Erzählung strukturieren, die freilich mit präzise arrangierten Dekors sowie mit prägnanter Farb- und Lichtsetzung angereichert werden. In seinen stärksten Momenten wirkt The Green Knight daher rein über den filmischen Sinneseindruck. Wenn das narrative Getriebe außer Kraft gesetzt ist und Bild und Ton unmittelbar auf den Zuschauer eindringen können, entfaltet der Film seine Spannung, weil er zuweilen die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt – die Bedeutung einer Rittermär wird hier ganz eng gedacht. In alledem ist Dev Patels Gawain denn auch kein strahlender Held, sondern ein unentschiedener, wankender, der mehr von den romantischen Erwartungen der edlen Damen (in eine Doppelrolle: Alicia Vikander) getrieben wird, als von dem eigenen Ehrgefühl. Die Erwartungen an und die Vorstellungen vom Rittertum umtreiben diesen Gawain und so unternimmt The Green Knight gleichsam den Versuch einer Introspektion des Wesens dieses Helden, das er über die traumhaften, halluzinatorisch überhöhten Bilder nach außen kehrt. Warten auf das Ereignis – das ist der Kern von Lowerys vierter Regiearbeit (nach Pete’s Dragon; A Ghost Story und zuletzt The Old Man & the Gun), die zwar rein oberflächlich betrachtet die Genremerkmale des Ritterfilms als Abenteuerfilm erfüllt, sie jedoch durch die Aushebelung der erzählerischen Kausalitätsprinzipien zugunsten einer offenen Narration unterläuft und sie folglich mehr den freien Interpretationsmöglichkeiten des Publikums ausliefert.
Es versteht sich daher beinahe von selbst, dass The Green Knight ebenso viel Begeisterung wie Frustration hervorzurufen vermag und sein Publikum mitunter spalten wird. Es besteht freilich Grund zur Annahme – ohne dabei den fieberhaften und überbordenden Bilderreigen von David Lowery und seinem Kameramann Andrew Droz Palermo sowie seiner Produktionsdesignerin Jade Healy, in Abrede stellen zu wollen – dass diese willentlichen Entscheidungen weniger Ausdruck einer persönlichen und eigenständigen Regievision sind, als mitunter den kreativen Ausrichtungen des Filmstudios A24 entsprechen, die sich mit Filmen wie Hereditary (2018) The Lighthouse (2019) oder Midsommar (2019) einen Namen gemacht haben mit ambitionierten Projekten, die sich am Band zwischen Genrekonventionen und -innovationen versuchen.