M. Night Shyamalan machte sich Ende der 1990-er-Jahre einen Namen mit dem Kassenerfolg The Sixth Sense (1999), den er darauffolgend mit Unbreakable (2000) zu wiederholen versuchte – das sind Filme, die dem Prinzip des unzuverlässigen Erzählens folgen und deshalb der Postmoderne zugerechnet werden. Bei diesen Shyamalan-Filmen muss der Zuschauer am Ende neu bewerten: Was stimmt denn nun? Dann bedient der amerikanische Filmemacher mit indischen Wurzeln auch eine publikumsträchtigere Linie, die zwar auf verlässlicher Narration aufgebaut ist, das Publikum aber ebenso mit unerklärlichen Phänomenen und Ängsten konfrontiert (Signs 2002, The Village 2004). Deshalb bewegen sich seine Filme oftmals an der Schnittstelle zwischen Science-Fiction und Horrorkino, die mit wirkungsmächtigen Thriller-Elementen kombiniert werden.
Sein neuer Film Old ist eher der zweiten Strömung seines Schaffens zuzuordnen, greift er doch viele Aspekte dieser Filme wieder auf: Eine vierköpfige Familie fährt in Urlaub, es soll ein Abschied sein. Die Kuratorin Prisca (Vicky Krieps) und ihr Mann Guy (Gael García Bernal), ein Versicherungsexperte, haben sich auseinandergelebt. Ihre Kinder Trent und Maddox leiden unter der sich abzeichnenden Trennung. Ihr Reiseziel ist eine tropische Insel, auf der sie wärmstens empfangen werden. Der Leiter des Resorts lädt sie zur Besichtigung eines imposanten Strandes ein, auf dem Kinder Kinder sein können, Sandburgen bauen und Verstecken spielen können. Dann beginnen sich unerklärliche Zwischenfälle zu häufen, denn die natürlichen Zeitverhältnisse sind an diesem Ort außer Kraft gesetzt. Die Exposition von Old ist eine klassische Genreformel, denn vor allem die Furcht vor der bevorstehenden Zersetzung der Familie führt in die Zone von Gefahr und Chaos...
Basierend auf dem Comicroman Sandcastle von Pierre-Oscar Lévy und Frederick Peeters setzt Shyamalan zuvorderst auf die fantastische Ausgangssituation: Das Unerklärliche, das Nicht-rational-Fassbare führt zu unvorhersehbaren Gegenreaktionen, die nach und nach menschliche Abgründe offenbar werden lassen. Die ausgefallene Kameraarbeit von Mike Gioulakis und die nervenaufreibende Musik von Mike Gioulakis machen aus Old einen Film, der ganz auf die Wirkungskraft des Fantastischen ausgelegt ist, der an menschliche Urängste appelliert und diese für sich nutzbar machen kann. Seine Dramaturgie fällt aber äußerst repetitiv aus: Sind erst einmal die unnatürlichen Gesetze des Strandes etabliert, häufen sich Schockmomente, die auf die immer gleiche Ursache zurückzuführen sind. Shyamalan schafft damit sicher spannungsreiche Augenblicke. Aufbau und Retardierung sind einstellungstechnisch insbesondere durch die Nutzung des Off-Raums klug gelöst. Die Auflösung jener Momente fällt dann aber wenig überraschend aus. Und auch die moralische Ambiguität, die er mit einem offenen Ende noch radikaler hätte wirken lassen können, wird aufgegeben zugunsten einer transparenten Positionierung und der klassischen Lösung aller Konfliktlinien.
Das gut funktionierende Schauspielensemble vermag über manche Schwächen der Dramaturgie hinwegzutäuschen. Vicky Krieps, die sich mit Phantom Thread 2017 international etablieren konnte, ist die leading lady. Sie führt das Ensemble an und dient gewissermaßen als Fixpunkt. Buchstäblich über alledem inszeniert sich M. Night Shyamalan in einer hitchcockschen Manier gleich doppelt: Zum einen gibt er sich – wie in seinen Spielflmen üblich – in einer cameo-artigen Rolle selbst die Ehre, zum anderen hebt er Rear Window (1954) ganz deutlich ins Bewusstsein. Film ist voyeuristische Verführungskunst, danach strebt unübershebar Old. Old ist eine Mischung aus angestrebten philosophischem Existenzialismus, einer Reflexion über die Zeit, das Verleben eines Lebens und einer offenkundigen Hinwendung zu unterhaltsamen Schauermomenten, die M. Night Shyamalans Hang zur willentlichen Erzeugung des Schocks zuzurechnen sind.