Kalkül oder Ideal Als die sozialistische Partei im Oktober 2018 taumelte, fand er klare Worte: „Wir sind in der Krise!“ Für Franz Fayot war das historisch schwache Wahlresultat eine Konsequenz eines langen Irrwegs seiner Partei, die ihre Identität als linke Kraft verloren hatte. Die keine Stimme der Schwachen war im Namen der sozialen Gerechtigkeit. Für die Machterhalt zur Raison d‘être wurde. Alles das hatte er bereits in etlichen Essays und Positionspapieren seit 2014 analysiert. Und so zog Fayot kurz nach den Wahlen die Bremse und stellte eine erneute Regierungsbeteiligung in einer liberalen Koalition in Frage. Im Quotidien sagte er: „Nous avons cette image (libérale) car il y a eu une succession de ministres socialistes à l’Économie. Il faut remettre cela en question.“
Rund 15 Monate später übernimmt Fayot das Amt von Etienne Schneider und wird neuer Wirtschaftsminister. Zudem wird er Minister für Kooperation. Hat Fayot also nur geblufft? War seine linke Rhetorik nur Mittel zum Zweck; ein kalkuliertes Instrument in einer nostalgischen Partei, die sich nach früherer Größe sehnt, um am Ende selbst am Machthebel zu sein? Oder meint Fayot es tatsächlich ernst und wird seinen wirtschaftskritischen Weg nun konsequent weitergehen?
Das sind Fragen, die sich nicht nur Mitglieder der LSAP stellen, sondern auch Vertreter von Arbeitnehmerverbänden wie UEL und Fedil sowie der Handelskammer. Insgeheim redet man sich auf Unternehmerseite ein, dass Fayot den pragmatischen Weg der ökonomischen Vernunft wählen wird – so wie es die sozialistischen Vorgänger Jeannot Krecké und Etienne Schneider bereits taten. So wie es die LSAP eigentlich immer tat. „Er wird Wasser in den Wein gießen“, sagt etwa Nicholas Henckes, Direktor der Conféderation de Commerce (CLC). Doch gleich in seinem ersten Interview als designierter Wirtschaftsminister wiederholte Fayot seine kritischen Töne und sagte gegenüber RTL, dass in der Vergangenheit zu sehr über Wirtschaft und Wachstum in Luxemburg geredet wurde.
Ein Affront gegenüber den Unternehmern. Und so zeigte sich Luc Frieden, Präsident der Handelskammer, in einem Gespräch mit RTL „überrascht“ über die dreisten Worte von Fayot. Er watschte den neuen Wirtschaftsminister gleich ab, erinnerte daran, dass Fayot bereits in der Vergangenheit nicht mit wirtschaftsfreundlichen Aussagen aufgefallen sei. Auch Fedil-Präsidentin Michèle Detaille richtete bei ihrem Jahresempfang des Industrieverbands mahnende Worte an den neuen Wirtschaftsminister, er solle sich der Mission seines Amts bewusst sein. Kurz: Die Arbeitgeber sind nervös und trauen Fayot nicht so recht über den Weg.
Jeunesse d‘orée Dabei stammt Franz Fayot eigentlich aus ihren Reihen. Als Sohn einer Notabelnfamilie der Stadt Luxemburg (geboren 1972) wurde er früh über die politische Arbeit des Vaters sozialisiert. Ben Fayot galt stets als Denker der sozialistischen Partei, der das geistige Erbe von Robert Krieps pflegte und die Gesellschaft durch Bildung und Kultur etwas gerechter gestalten wollte – ob als Abgeordneter in der Chamber und im Europaparlament oder als Parteipräsident.
Franz Fayot schlug zunächst den klassischen Weg der Luxemburger Oberschicht im 20. Jahrhundert ein: Nach dem Abitur studierte er Jura in Paris an der Sorbonne mit Fokus auf Wirtschaft- und Finanzrecht. Er spezialisierte sich als Geschäftsanwalt und heuerte 2002 bei der bekannten Luxemburger Kanzlei Elvinger, Hoss & Prussen an. Fayot folgte dem Trend der Zeit und tat das, was wirtschaftlich erfolgreiche Menschen seit den 1980-er-Jahren in Luxemburg taten: Er kapitalisierte Recht. Luxemburg vermarktete seit dieser Zeit seine Souveränitätsnischen und avancierte zu einer Art Silicon Valley des Rechts. Es entstand ein hochkomplexes Finanzsystem, bei dem Geschäftsanwälten in Kanzleien und den großen Wirtschaftsprüfergesellschaften die entscheidende Rolle zukam. Und Fayot war Teil dieses Systems, hat es von innen gesehen.
Doch Fayot sah sich eigenen Angaben zufolge nicht als Apologet des Finanzplatzes. „Ich war nie besonders wirtschaftsliberal“, so Fayot. Auch Wegbegleiter sagen, dass Fayot nie ein großer Verteidiger des Luxemburger Wirtschaftsmodells war. Im Gegenteil. Er habe stets ein Unbehagen gefühlt und nach Wegen gesucht, wie Luxemburg aus seiner selbstverschuldeten Wohlstandsblase aussteigen könnte, ohne jedoch das Renten- und Gesundheitssystem zusammenbrechen zu lassen.
Kritiker Das hat ihn jedoch nicht daran gehindert, weiter als Geschäftsanwalt tätig zu sein. Eine erste größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhielt er 2009 als Konkursverwalter der Kaupthing Bank (gemeinsam mit Emmanuelle Caruel-Henniaux von PwC). Erst 2013 hat er sich dazu entschieden, sein „Malaise“ auch öffentlich kundzutun und griff das System des Finanzplatzes radikal an. Er nannte Luxemburg offen „ein Steuerparadies“, bezeichnete Steueroptimierung als Synonym für Steuerhinterziehung und Stock Options als „steuerliche Weapons of mass destruction“, sprach sich generell gegen Tricksereien und Steuernischenpolitik aus sowie für eine europäische Steuerharmonisierung. Und er legte sich mit Luc Frieden an. Fayot nannte die umtriebigen Geschäfte des damalige CSV-Finanzminister in einem Artikel auf seinem Blog The Talented Mr Frieden als Quelle allen Übels. Das hat das Verhältnis zwischen Fayot und Frieden nachhaltig verstört, die gegenseitige Antipathie besteht bis heute.
Doch seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die Praktiken am Finanzplatz, sondern auch generell gegen die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Landes. Seine Kapitalismuskritik zielt auf das Dogma des radikalen Wachstums und die neoliberale Theorie des Trickle-down, wonach der Reichtum durch geringere Besteuerung des Kapitals in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickert. Fayot fordert hingegen eine regulierende Hand: eine stärkere Besteuerung von Kapital und Eigentum, eine Erbschaftsteuer in direkter Linie und und und. Vereinfacht ausgedrückt: Es mangelt Fayot nicht an linken Ideen.
Papiertiger? Doch die große Frage, die sich bei ihm aufdrängt: Ist er tatsächlich ein Bilderstürmer oder doch nur ein Papiertiger? Denn Fayot hat sich zwar den Ruf als Kritiker erschrieben, aber wenige seiner Worte tatsächlich in Taten umgesetzt. „Er ist nur ein Theoretiker, kein Macher“, so das plakative Urteil gleich mehrerer Personen unterschiedlicher politischer Couleur. Er gibt sich nur den Schein eines Linken, sagen auch manche in der LSAP: „Bordeaux und Bourdieu machen noch keine linke Politik.“ Tatsächlich sorgt auch sein urbanes Auftreten mit Vollbart und Hipster-Frisur für Skepsis bei manchen LSAP-Mitgliedern im Süden. Fayot ist sich dessen bewusst: „Ich komme aus der Stadt – nobody’s perfect“, sagte er bei seiner Wahl zum Parteipräsidenten Anfang 2019.
Und einiges deutet darauf hin, dass er nun als Regierungsmitglied gemäßigtere Töne anschlägt. Als er 2014 als Berichterstatter des Zukunftsplans war – dem einzige Haushaltskonsolidierungsplan in der jüngsten Geschichte Luxemburgs – hat er das Sparprogramm bereits linientreu verteidigt. Nun wird er Wirtschaftsminister, obwohl er dieses Ministerium stets als problematisch für die Profilschärfung der LSAP empfand. Und auch die Kritik an Luc Frieden scheint verflogen. Seinen Blog mit dem kritischen Artikel hat er vor kurzem offline gestellt. Zudem sind ihm durch das Koalitionsabkommen die Leitplanken klar gesetzt – sozialistische Experimente sind eigentlich nicht möglich.
Aber bei Wirtschaftsvertretern bleibt dennoch ein Unbehagen. Und Fayot scheint gerade dies zu genießen. Der sonst eher schüchtern auftretende Politiker, der oftmals so wirkt, als müsse er im Inneren mit sich ringen, um vor Menschenmengen zu reden, nutzt seine letzte Plattform als Parteipräsident am vergangenen Mittwoch, um den republikanischen Geist in Luxemburg zu beschwören. Ein erneuter Affront gegenüber den Wirtschaftseliten des Landes, die das großherzogliche Haus nur allzu gerne als royalen Türöffner weltweit nutzen. Aber sein Ruf als linker Kritiker setzt ihn auch unter Druck: Denn mit der Politik, die er bis zu den nächsten Wahlen umsetzt, steht und fällt seine Glaubwürdigkeit – und damit auch der Rest an Integrität seiner Partei.