Die Superminister, die Premierminister sind oder spielen, die kaum genug Ressorts bekommen und sich auch noch in die Ressorts der Kollegen einmischen, kommen und gehen. Nur Jean Asselborn bleibt. Der nächsten Monat siebzigjährige Außenminister, der seit 15 Jahren das inzwischen zu einem größeren Unternehmen angewachsene Außenministerium leitet, mit bewundernswertem Durchhaltevermögen Frequent flyer miles sammelt, laut Umfragen beliebtester Politiker des Landes ist und von seinen Parteikollegen in den Ruhestand komplimentiert werden soll, verlas diese Woche seine außenpolitische Erklärung vor dem Parlament und erschien am Ende als der wahre Superminister.
Denn die Hälfte seiner Rede widmete Jean Asselborn der Europapolitik, die stets Chefsache des Regierungschefs war. Unter dem Kapitel der Wirtschaftsdiplomatie beschrieb er, wie er als Schattenwirtschaftsminister „aktiv zur Dynamik und zur Diversifizierung des Standorts“ beiträgt. Mit dem modischen Schlagwort der feministischen Außenpolitik erschien er als die tatkräftigere Frauenministerin. Und ist ein Minister, der in seiner Rede einen Parforceritt durch alle Krisenherde des Planeten unternimmt, nicht zwangsläufig der Master of the Universe in der stillen Provinz?
Hätte man vergessen, dass am Mittwochnachmittag gleichzeitig in Westminster die herrschende Klasse Großbritanniens mit derselben von dem Essayisten Pankaj Mishra beschriebenen unheilvollen Ignoranz über den Rückzug aus der Europäischen Union diskutierte wie 1947 über den Rückzug aus Indien, hätte man fast vergessen können, dass Luxemburg weniger Außenpolitik macht, als sie gemacht bekommt. Und dass die Luxemburger Außenpolitik mit allem, das ihr heilig ist, seit Jahren in einer tiefen Krise steckt – auch wenn es nicht ziemlich scheint, dies so zu nennen.
Aber wenn die Europäische Union an ihrem West- und Ostrand zerbröckelt, in Mitgliedstaaten Halb- und Ganzfaschisten regieren, die amerikanischen Verbündeten die Nato für verzichtbar halten, das Abkommen über die atomaren Mittelstreckenraketen in Europa aufkündigen und den Freihandel mit Strafzöllen bekämpfen, scheinen alle Fundamente ins Wanken zu geraten, auf denen die im Laufe der rezenten Geschichte sich doch mangels Divisionen als zerbrechlich erwiesene Luxemburger Außenpolitik errichtet ist. Oder wie es in der mannhaften Radfahrerpoesie von Jean Asselborn frei nach L’Équipe heißt: „Der Wind ist rau und bläst einem scharf ins Gesicht, es regnet immer stärker und die Straße wird rutschig...“
Während der Außenminister sich aber länger mit Nikaragua beschäftigte als mit den USA, was ihm umgehend die wärmsten Glückwünsche der US-Botschaft einbrachte, versuchte er erstmals eine Antwort, wieso der Nachkriegstraum vom einigen Europa nun im Alptraum von „Brexit, Populismus, Nationalismus, Infragestellung unserer Werte, mangelnder Solidarität“ zu enden droht. Anders als der christlich-soziale Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der statt der ungehemmten Entfesselung der Konkurrenz, statt des Maastrichter Austeritätsdiktats und der sich daraus ergebenden Massenarbeitslosigkeit und Verarmung lieber das mangelhafte Geschichtsbewusstsein der Nachkriegsgenerationen verantwortlich macht, meinte Jean Asselborn, Schuld seien „zu allererst die späten Effekte der Wirtschafts- und Finanzkrise, die 2008 begann, und eine Reihe negativer Konsequenzen der Globalisierung“. Die „legitimen Erwartungen der Bürger angesichts des Erhalts ihrer Lebensqualität und sozialen Absicherung“ seien „nicht immer so ernst genommen worden, wie das vielleicht hätte der Fall sein müssen“, fand der Außenminister. Um dann eine Reihe Verbesserungsvorschläge zu machen, die sich wie ein sozialdemokratisches Programm für die Europawahlen im Mai anhörten. Aber wer hört in der Europäischen Union noch auf die Sozialdemokratie?