Timing bedeutet derzeit viel, wenn es um die Klimapolitik der Regierung geht, vor allem für ihre grünen Mitglieder: „Das dichteste Busnetz Europas“ versprach Mobilitätsminister François Bausch am Montag mit der Reform des RGTR-Überlandbusdienstes. Bis September 2021 soll sie abgeschlossen sein. „Ein Busnetz für alle“ werde das, nur 500 Menschen hätten anschließend keine Busverbindung „vor der Haustür“. Einzelheiten sollen an zehn Informationsabenden publik gemacht werden. Der erste findet kommenden Donnerstag statt – einen Tag bevor der Regierungsrat erneut über den Energie- und Klimaplan diskutiert. Der wird dann jene Details enthalten, die den im Dezember veröffentlichten „großen Zügen“ noch fehlten.
Einen großen Wurf im öffentlichen Transport anzukündigen, schadet da auf keinen Fall in der Nation mit der besonders hohen Motorisierung mit besonders schweren und PS-starken Fahrzeugen. Zumal derzeit das Autofestival stattfindet und der Präsident des Leasing-Verbands Mobiz, Gerry Wagner, am Montag im Radio 100,7 klagte, so wie hierzulande die Umstellung auf den neuen Verbrauchstest WLTP erfolgt, könnten der Branche jährlich bis zu 10 000 verkaufte Autos entgehen. Vergangene Woche schienen sogar Wirtschaftskreise generell gegen die Klimavorhaben der Regierung aufzubegehren: Fedil-Präsidentin Michèle Detaille nannte in einem Wort-Interview den Klimaplan ein „Diktat“ und durch erhöhte Spritsteuern den Tanktourismus einschränken zu wollen, „Windowdressing“. Die Handelskammer wiederum will verhindern, dass aus dem Prinzip „pollueur-payer“ ein „entrepreneur-payeur“ wird, schrieb ihr Direktor Carlo Thelen am Samstag in einem Artikel im Luxemburger Wort. Handelskammer-Präsident Luc Frieden erinnerte sich am gleichen Tag in einem „Background am Gespréich“ in RTL, wie für ihn als CSV-Finanzminister galt: „Wenn es möglich ist, dass ein LKW im Ausland tankt oder hier, dann lieber hier und wir nehmen die Akzisen ein.“ Frieden predigte: „Wir brauchen Wachstum!“ Sonst gebe es „weniger Gehalt, weniger Rente und weniger Urlaubsreisen“.
Natürlich sind diese Zusammenhänge der Regierung klar. Auch ihre grünen Minister sind nicht gegen Wachstum, aber für „grünes“. In der vorigen Legislaturperiode wurde es auch „Rifkin- konform“ genannt oder „qualitativ“, seitens der CSV. Heute besteht ein Unterschied gegenüber damals darin, dass in den nächsten Jahren die ganze EU den Beweis dafür antreten soll, dass das keine Fantasie ist, sondern durch Innovationen erreichbar. Eine Billion Euro (tausend Milliarden) schlägt die EU-Kommission in ihrem European Green Deal zu mobilisieren vor, um die EU bis 2050 „klimaneutral“ zu machen. In dem Zehn-Punkte-Katalog, den die neue Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen am 11. Dezember präsentierte, werden neben dieser Billion europaweite Aktionen in Kreislaufwirtschaft, Altbausanierung, Landwirtschaft, Artenschutz und Transport angekündigt. Was Letzteren angeht, müsse „jede Familie in Europa ihr elektrisches Auto fahren können, ohne sich um die nächste Ladestation sorgen zu müssen“. Eine Million davon soll bis 2025 öffentlich installiert werden.
Vor diesem Hintergrund ist erklärlich, wenn Energieminister Claude Turmes sagt: „Wenn die Luxemburger Industrie ein Problem hat, dann ist das der Fachkräftemangel.“ Junge Ingenieure aber würden vermutlich lieber in der Zukunft zugewandten Branchen arbeiten wollen als in „alten“. Der Zukunft zugewandt sei zum Beispiel ein Konzept wie das von dem Technologieunternehmen Paul Wurth vorangetriebene, Wasserstoff statt Koks zum Erschmelzen von Stahl einzusetzen. „Dann könnten Hochöfen carbon free sein.“
Ebenfalls erklärlich wird vor diesem Hintergrund, dass der Mobilitätsminister lieber dem deutschen Beispiel als dem Frankreichs und Belgiens für privat genutzte Firmenwagen folgte: François Bausch ließ festschreiben, dass nur für bis zum 1. März neu angemeldete Fahrzeuge der geldwerte Vorteil nach dem alten Verbrauchsmessverfahren, dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), berechnet wird. Danach gilt WLTP, die Wordwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure: Sie testet realitätsnäher, liefert aber im Schnitt um 38 Prozent höhere CO2-Werte als der veraltete NEFZ. Damit fallen, schätzt der Leasing-Verband Mobiz, 60 Prozent der aktuellen Firmenwagen ab 2021 in die „bestrafte“ Kategorie über 150 Gramm CO2 pro Kilometer. Mobiz hatte gehofft, Bausch sei bereit, die Tabelle mit den CO2-Kategorien zu ändern. War er aber nicht. Das Kalkül des Ministers: So entsteht Druck, um auf ein Elektroauto umzusteigen. Was funktionieren könnte, räumt Mobiz-Präsident Wagner ein. Denkbar sei aber auch, dass Firmenwagen weniger attraktiv werden und wer heute einen fährt, sich morgen lieber privat kauft, was ihm zusagt. Da die Hälfte der Firmenwagen von Grenzpendlern genutzt wird, könnten „schlimmstenfalls alle diese Käufe nicht mehr in Luxemburg erfolgen“. Obwohl: Ab Ende 2020 werden neue Elektroautos lieferbar. Und für 2021 ist ein nie dagewesener Schwung angekündigt, weil die Hersteller dann verpflichtet sind, mit ihrer gesamten Neuwagenflotte den CO2-Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer nicht zu überschreiten. Wer das Limit nicht einhält, zahlt Strafe; in den Jahren danach wird das Limit immer enger. „Eigentlich“, sagt der Mobilitätsminister, „müsste der Luxemburger Autohandel alles tun, um so emissionsarm wie möglich zu verkaufen, um den Herstellern zu helfen.“
Und immerhin hatte vergangene Woche der europäische Autoherstellerverband Acea ein Zehn-Punkte-Programm präsentiert, mit dem der Green Deal der EU-Kommission umgesetzt werden soll. Die Branche reizt das Vorhaben der Kommission ganz offensichtlich. Acea-Präsident Michael Manley, CEO von Fiat Chrysler, nannte es auf einer im Internet verbreiteten Pressekonferenz den „Man-on-the-moon moment“, den die EU anstrebe. Dass die Hersteller, bei aller Bereitschaft zum Mitmachen, „Zeit“ benötigen, sagte er allerdings auch.
Das ist ein Punkt, der auch die Luxemburger Industriellen beschäftigt. Was im Wort-Interview der Fedil-Präsidentin als „Diktat“ im wahrsten Sinne des Wortes verstanden werden konnte, erläuterte sie Tage später in ihrer Rede zum Fedil-Neujahrsempfang als Verpflichtung zur „Disruption“. Nicht jede neue Technologie ist schon anwendungsreif, doch Klimapläne und Green Deal erzeugen Zeitdruck. Abgesehen davon, sagt Fedil-Direktor René Winkin, sei in der Tat der Fachkräftemangel ein großes Problem. Ein weiteres die Frage, ob genügend grüner Strom zur Verfügung stehen wird. Und wenngleich im Green Deal der EU „viele gute Ankündigungen stehen, möchten wir gerne wissen, wie das border adjustment funktionieren soll“. Gemeint sind damit politische Pläne der EU, Produkte aus Drittstaaten, die weniger klimaschutz-ambitioniert sind, beim Import mit einer CO2-Steuer oder einem Zoll zu belegen, damit es zu keinem Dumping kommt. „Aber wie geht das im Rahmen der WTO? Wird es Vergeltungsmaßnahmen der USA, Chinas oder Indiens geben?“
Den Luxemburger Klimaplan betreffen solche handelspolitischen Fragen nur mittelbar. Die besonders energieintensiven Industriezweige wie Zement- und Glasherstellung oder die Stahlindustrie fallen überdies unter den Emissionhandel der EU, deshalb machten die verbleibenden Aktivitäten mit einem Anteil von elf Prozent an der nationalen Bilanz weniger CO2 aus als Wohn- und Kleingewerbegebäude. Für diese Betriebe tut die Regierung so manches: „Auf meine Initiative hin untersuchen wir mit der Europäischen Investitionsbank ein De-Risking-Instrument“, sagt der Energieminister. Es soll die Rentabilität neuer Technologien verbessern. Die De-Risking-Idee gefällt auch der Fedil. Dass die Unternehmen Energieeffizienz-Anstrengungen machen, sichert ihnen einen vorteilhaften Strompreis. Das ist seit Jahren so und mit der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission abgesprochen.
Wenn die Äußerungen der Fedil zu einem großen Teil auf den Green Deal der EU zu zielen scheinen, haben die der Handelskammer neben dem bisherigen Klimaplan auch mit der nächsten Runde Steuerreform zu tun. Die Unternehmensbesteuerung durch Körperschafts- und kommunale Gewerbesteuer „muss runter“, verlangte Luc Frieden im RTL-Interview. Handelskammer-Direktor Carlo Thelen dachte in seinem Wort-Artikel darüber nach, eine Rückerstattung eines Teils der geplanten CO2-Steuer nicht nur an sozial Schwache, sondern auch an Unternehmen „pourrait s’avérer réellement incitatif à consommer moins de produits fossiles“. Dass die Handelskammer als eine „proposition phare“ demnächst Überlegungen zu einem „nachhaltigen“ Index-Warenkorb vorlegen werde, aus dem fossile Energieprodukte entfernt sind, kündigte Thelen ebenfalls an. Woraus politisch wahrscheinlich nicht folgt, dass Unternehmerverbände und Handelskammer der Regierung über ihrer Klimapolitik einen Index-Konflikt liefern werden. Aber auf den Zusammenhang, dass neue Technologien etwas kosten, eine CO2-Besteuerung auch und Index-Tranchen, die durch verteuerte Fossil-Produkte anfallen, ebenfalls, dürften sie politisch zurückkommen.
Wie angesichts all dessen der Klimplan aussehen wird, wenn seine überarbeitete und um Maßnahmen ergänzte Fassung nach Verabschiedung durch das Kabinett die öffentliche Konsultation durchlaufen hat, ist eine spannende Frage. Bisher enthält der Plan viele Maßnahmen, die durch Subventionen mit Anreizen versehen werden sollen. Was den Anschein erweckt, als sei bei aller Dringlichkeit, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad gegenüber dem Beginn des Industriezeitalters zu begrenzen, der Luxemburger Beitrag verhältnismäßig mühelos zu schaffen – und noch gar kein Einstieg in eine Zukunft, in der nichts mehr sein wird, wie es mal war. Daneben soll die Steuerreform Personen und Unternehmen entlasten, für Erstere nach und nach zur Einheits-Steuerklasse führen, „ohne dass jemand etwas verliert“, wie DP-Finanzminister Pierre Gramegna versprochen hat. Da könnte zu erklären bleiben, wie grün das Wachstum sein kann, das dorthin führt. Sofern Luxemburg sich seinen „Man-on-the-moon moment“ am Ende nicht durch cleveres Dieselsteuern-Management zu einem großen Teil und so lange das geht von durchreisenden Truckern bezuschussen lässt.