Martine Hansen scheint noch immer konsterniert. Nächsten Donnerstag soll die Abgeordnetenkammer über den Energie- und Klimaplan der Regierung debattieren. „Aber worüber sollen wir diskutieren, wenn wir nichts Konkretes haben?“, fragt die CSV-Fraktionspräsidentin.
Wie die Dinge zurzeit liegen, verfügen die Abgeordneten über nicht mehr Informationen als die Presse: ein 33 Seiten langes „Synthesedokument“ zu dem Plan, der zeigen soll, wie Luxemburg bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber 2005 senken soll, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch weiter steigern und den Verbrauch selbst deutlich reduzieren. Zahlen stehen im Synthesedokument wenige, und die da stehen, werden vorsichtig „mögliche Zielszenarien“ genannt. Eine Gelegenheit für die CSV, der Regierung den noch wenig konkreten Plan verbal um die Ohren zu schlagen? „Das werden wir auf jeden Fall versuchen“, kündigt Hansen an und klingt am Telefon so, als freue sie sich darauf schon – auch wenn die Klima-Konsultationsdebatte nach der über Staatshaushalt fürs kommende Jahr geführt werden soll und die Sitzungswoche anstrengend zu werden verspricht.
Damit beginnt eine der wichtigsten politischen Auseinandersetzungen der Legislaturperiode. Wichtig einerseits, weil die Erderwärmung und ihre Folgen immer bedrohlichere Züge annehmen. Weil andererseits der Klimaplan in ganz verschiedene Sektoren eingreift – vom Verkehr bis hin zur Landwirtschaft und in die Finanzen natürlich, was immer wiederkehrende Diskussionen quasi vorprogrammiert. Und weil die Regierung auf der Kabinettsitzung vergangenen Freitag festhielt, eine „CO2-Bepreisung“ einzuführen. Das ist neu, das steht so nicht im Koalitionsvertrag, und es sorgt schon jetzt für Aufregung.
Ab 2021 soll jede Tonne CO2-Äquivalent 20 Euro kosten, kündigte Energieminister Claude Turmes (Grüne) vergangenen Freitag an. Erhoben werden sollen sie auf alle Energieprodukte mit fossilen Brennstoffen: Sprit, Gas, Heizöl und Kohle. 2022 und 2023 kämen je fünf Euro hinzu. Anschließend soll es „dynamisch“ weiter nach oben gehen. Einen „Quantensprung“ nannte Turmes das, als er mit Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne) der Presse die groben Züge des Energie- und Klimaplans vorstellte, auf den der Regierungsrat sich nach langen und zum Teil heftigen Auseinandersetzungen geeinigt hatte. „Das Problem ist ja, dass es bisher gratis ist, zu verschmutzen“, so der Energieminister. Doch seine Ankündigung, die Hälfte der Einnahmen aus der neuen Steuer werde direkt weitergereicht an einkommensschwache Haushalte, vermochte nicht die Shitstorms abzuwenden, die seitdem auf rtl.lu und Facebook toben. Per Telefon und E-Mail haben deswegen sogar Grünen-Wähler der Partei die Gefolgschaft aufgekündigt.
Wie nächste Woche die Kammer-Fraktionen sich dazu stellen, wird interessant. Nach dem, was bisher publik ist, soll der Energie- und Klimaplan vor allem Anreize enthalten. Anreize, einen Altbau zu isolieren, eine Ölheizung durch eine elektrische zu ersetzen oder sich für ein Elektro-Auto zu entscheiden. Oder beispielsweise Anreize für Landwirte, anders zu düngen und den Betrieb so umzustellen, dass das Aufkommen von Methan sinkt, einem 25 Mal potenteren Treibhausgas als CO2. Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Regelrecht verboten werden soll nichts. Und die „soziale Komponente“ wird hochgehalten, damit auch die Bevölkerung mitzieht. Turmes spach am Freitag davon, einen durchschnittlichen Haushalt werde die CO2-Steuer voraussichtlich mit 200 Euro jährlich belasten. Haushalte im untersten Einkommens-Quintil sollen das auf jeden Fall kompensiert erhalten, vielleicht auch die im Quintil darüber. Doch Genaueres soll erst die Steuerreform festlegen, deren Entwurf vielleicht im kommenden Frühjahr vorliegen wird.
Das ist ein politisches Risiko für die Regierung: Sie muss über den Energie- und Klimaplan diskutieren lassen, obwohl sie sich selber noch nicht über alle Implikationen voll im Klaren ist. Mit seinem Maßnahmenkatalog sieht der Plan bisher sehr gut aus. Doch viel weiter an ihm zu feilen, fehlt die Zeit: Eigentlich müssen die EU-Staaten ihre Pläne bis Ende des Jahres an die EU-Kommission schicken. Nicht nur als Synthesedokument, sondern sehr detailliert – mit konkreten Zielen, jährlichen Zwischenetappen, mit Budgets versehenen Maßnahmen sowie mit einer volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung und einer Analyse über „Energiearmut“ und wie sie vermieden werden soll. Über die Beteiligung der Öffentlichkeit will die EU-Kommission ebenfalls unterrichtet werden. In Luxemburg soll die Öffentlichkeit im Januar konsultiert werden, der endgültige Plan im Februar oder März nach Brüssel gehen. Doch dass bis dahin die CO2-Bepreisung mit den Plänen zur nächsten Runde Steuerreform nicht nur abgeglichen ist, sondern das auch schon nach draußen getragen und erläutert werden kann, ist fraglich.
Und so spielt die Regierung ein wenig va banque: Sie hofft, die Opposition, die CSV vor allem, werde kaum umhin kommen, Ja zum CO2-Preis zu sagen, weil die vielen Maßnahmen nun mal irgendwie finanziert werden müssen. Während die eine Hälfte der CO2-Steuereinnahmen, die Turmes auf insgesamt 100 bis 150 Millionen Euro im Jahr schätzt, an einkommensschwache Haushalte gehen soll, ist die andere zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen gedacht.
Vielleicht geht dieses politische Kalkül auf: Martine Hansen schließt eine solche Steuer nicht aus. „Darüber können wir reden.“ Sie will aber genauer wissen, worauf die Steuer erhoben werden soll und wie die Regierung sich den sozialen Ausgleich genau vorstellt. So, wie Hansen auch Konkreteres in anderen Bereichen verlangt: „Heißt, mehr Solarstrom zu produzieren, ausschließlich Dächer zu nutzen oder auch Freiflächen? Bedeutet ‚Methanstrategie‘ eine Senkung der Großvieheinheiten pro Hektar in der Landwirtschaft?“
Doch der große Streitpunkt wird das Geld werden, auch längerfristig. Luxemburg ist nicht Gambia, auch wenn die Koalition wegen ihrer Parteifarben so genannt wird. Gambia wurde am Dienstag auf dem Madrider Klimagipfel von dem internationalen Wissenschaftler-Team Climate Action Ticker gelobt: Von 30 untersuchten Ländern – darunter China und Deutschland – sei allein die kleine westafrikanische Republik mit ihren Klimaschutzpolitiken auf dem richtigen Weg, um zu helfen, dass die Erderwärmung bis zur Jahrtausendwende um höchstens 1,5 Grad gegenüber dem Beginn des Industriezeitalters ansteigt.
Doch Gambia liegt auf Platz 173 des „Index der menschlichen Entwicklung“, den das UN-Umweltprogramm führt, Luxemburg auf Platz 21. Luxemburgs Bruttoinlandsprodukt ist 62 Mal größer als das Gambias, und das Großherzogtum zapft lange gerne die Steuerbemessungsgrundlagen anderer Länder an. Unter anderem deshalb ist seine CO2-Bilanz so schlecht: Allein 46 Prozent der Emissionen 2018 gingen auf den „Tanktourismus“ zurück. Weil vor allem die Diesel-Verkäufe seit 2016 wieder zunehmen, riskiert Luxemburg, schon sein CO2-Einsparziel für 2020 zu verfehlen und sich durch Investitionen in Projekte im EU-Ausland oder durch Erwerb von CO2-Quoten von Ländern, die welche übrig haben, freikaufen zu müssen.
Wie enorm unter diesen Bedingungen die Anstrengungen sind, die unternommen werden müssen, um bis 2030 die Bilanz um 55 Prozent zu verbessern, zeigt die Grafik auf dieser Seite, die den Abgeordneten für die Debatte nächste Woche übermittelt wurde. Zusammen mit der Frage: „Atteindre les objectifs en matière de réduction des émissions de gaz à effet de serre revient à diminuer de manière substantielle la consommation des énergies fossiles dans tous les secteurs au Luxembourg (construction, industrie, transports, agriculture). Quelles mesures concrètes, renforcées ou additionnelles, estimez-vous nécessaires dans les domaines cités afin d’adresser ce défi?“
Darin versteckt ist vor allem eine Frage zum Spritexport. Der Regierungsrat stimmte am Freitag zu, dass die geplante CO2-Steuer zusätzlich zu Akzisenerhöhungen auf Diesel aufgeschlagen werde. Das war lange strittig zwischen den Grünen auf der einen und DP und LSAP auf der anderen Seite; Letztere meinten, der CO2-Preis reiche schon, um die Verkäufe von LKW-Diesel zu senken. Nun soll im Januar die Viererrunde mit der Umweltministerin, dem Finanz-, dem Energie- und dem Wirtschaftsminister über eine weitere Akzisenerhöhungen beraten. Bis Ende September waren die Dieselverkäufe gewachsen, obwohl seit dem kleinen Aufschlag um zwei Cent pro Liter per 1. Mai LKW-Diesel hierzulande teurer ist als in Belgien (d’Land, 1.11.2019). Wie Claude Turmes vergangenen Freitag verstanden werden konnte, ist eine weitere Erhöhung der Diesel-Akzisen wahrscheinlich.
Das ist nicht nur eine Frage, die vor allem die Grünen erwartungsvoll an die CSV gerichtet sehen, denn die hat bisher klare Äussagen zum Spritexport vermieden. Sie betrifft auch die Staatseinnahmen generell. Die CSV-Fraktionsvorsitzende schloss gegenüber dem Land schloss weitere Akzisenerhöhungen nicht aus, meinte aber, dann stelle sich die „soziale Gerechtigkeitsfrage“. Und die nach eventueller Benachteiligung im ländlichen Raum Wohnender. „Claude Turmes hat uns gesagt, wer dort wohnt, benutze das Auto zwar mehr und hätte künftig mehr zu bezahlen, andererseits seien dort die Wohnkosten niedriger.“ So könne man „nicht argumentieren“, findet Hansen und verlangt dazu „bezifferte“ Vorschläge.
„Natürlich ist, was in dem Plan steht, durchgerechnet worden, das ist doch klar“, sagt Max Dörner, der Pressesprecher des Finanzministeriums. Doch das Synthesedokument hält fest, dass die Aktionen unter einem gewissen Finanzierungsvorbehalt stehen: „Die Budgetierung der im integrierten nationalen Energie- und Klimaplan enthaltenen Maßnahmen erfolgt im Einklang mit dem haushaltspolitischen Pfad und den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts.“ Dem Vernehmen lag den DP- und LSAP-Regierungsmitgliedern daran, dass der Passus in den Text gelangte. Wird das Geld knapp, wird man weniger machen können; und je mehr man ans Tankstellengeschäft rührt, desto eher kann das so sein. Die Koalitionspartner halten hiermit grüne Ambitionen im Zaum.
Doch weil damit nicht nur ein Teil des nationalen Geschäftsmodells auf dem Spiel steht, der Staatseinnahmen von gut anderthalb Milliarden Euro jährlich abwirft, sondern Luxemburg als Sprit-Dumpingparadies nicht gut aussieht, sind nicht nur die Grünen bereit, ans lange tabuisierte Tankstellengeschäft zu rühren. Die Frage wird nur sein, wie man das macht, ohne die Staatskasse enorm zu belasten. Fedil-Direktor René Winkin, früher Generalsekretär des Groupement pétrolier, sagte diese Woche im Radio 100,7 anstelle von Überschüssen aus der neuen CO2-Steuer ein „Loch“ wegen fehlender Akziseneinnahmen voraus. Dass, wie Claude Turmes ankündigte, der Verkauf an LKW-Diesel eingeschränkt werden soll, könnte bedeuten, dass die Regierung darauf baut, dass auch Preiskonkurrent Belgien eine CO2-Steuer einführt und LKW-Diesel nicht davon ausnimmt. Noch ist der Klimaplan des Nachbarlands nicht publik. Aber dass Luxemburg „im Durschschnitt“ der Nachbarländer bleiben will mit seiner CO2-Bepreisung, deutet darauf hin, dass die Unterschiede clever genutzt werden sollen, um eine Übergangsphase lang noch ein bisschen Parasit zu sein, sich aber derweil schon auf „Energie-Hypereffizienz“ auszurichten, wie Claude Turmes das nennt.
Geht es um Preiserhöhungen, ist der Index nicht weit. Niemand im Kabinett habe den Index infrage gestellt; an den Warenkorb zu rühren, sei nicht mal zur Spreche gekommen, sagte Turmes vergangene Woche. Hingegen macht der Fedil-Direktor nun Werbung für einen „nachhaltigen Warenkorb“: Oder wolle man einen Lebensstil belohnen, von dem man doch weg will? Das ist ein Punkt, der verfängt: Einkommensschwachen Haushalten einen Bonus von vielleicht 200 Euro monatlich zu gewähren, während Großverdiener über eine Indextranche viel stärker profitieren, ist nicht nur widersprüchlich, weil die Regierung „sozial selektiv“ kompensieren will. Sondern auch, weil vor allem OGBL und LSAP argumentieren, dass der Carbon-Footprint Wohlhabenderer generell größer als der sozial Schwacher sei, und dieses Räsonnement ist auch wissenschaftlich gestützt (d’Land, 15.11.2019). Im Moment könnten die Grünen erzürnte Anhänger glatt damit beruhigen, dass die vorerst bescheidene CO2-Steuer dazu führen werde, dass später eine fette Indextranche fällig wird.
Weil die Unternehmerverbände Index und Warenkorb, die jahrelang kein Thema waren, in den nächsten Wochen als ein ihnen besonders wichtiges Anliegen nach vorn bringen wollen – um nicht nach CO2-Steuern zahlen noch höhere Gehälter zahlen zu müssen – wird die Klimadebatte auch den Heiligen Gral der Luxemburger Sozialpolitik berühren, von dem die Regierung lieber die Finger ließ. LSAP-Präsident Franz Fayot äußert sich lieber prinzipiell: „Unsere Idee ist nicht, durch Klimapolitik soziale Ungleichheiten auszugleichen. Uns kommt es darauf an, dass unter der Klimapolitik, die wir machen, nicht die Schwächsten leiden.“
OGBL-Präsidentin Nora Back, die noch am Montagmorgen im Radio 100,7 erklärt hatte, der OGBL verlange bereits „vorher“, noch ehe der Klimaplan wirksam wird, Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheiten, will nicht so verstanden werden, als wolle die Gewerkschaft die Klimapolitik nutzen, um neue Sozialforderungen zu stellen. „Ich weiß nicht, wo diese Behauptung herkommt. Wir wollen, dass die soziale Schere nicht noch weiter aufgeht“, sagt sie dem Land. Ein Vorschlag des OGBL laute, die Kilometerpauschale in einen Steuerkredit umzuwandeln und die Kilometergrenze dafür abzusenken. Jeder hat, wie es scheint, die Protestbewegung der Gilets jaunes noch vor Augen. Die waren auf die Straße gegangen, als in Frankreich die 2014 eingeführte CO2-Steuer, die 2018 bei 44,60 Euro pro Tonne angekommen war, 2019 um knapp drei Euro steigen sollte. Seither ist sie eingefroren, und Luxemburg wird auch achtgeben müssen, wie die „Bepreisung“ hier sich auf die Grenzpendler auswirkt.