Ist nicht auch die Liebe tausendfach besungen und beschrieben worden? Auch Krieg und Tod haben in den meisten Gesamtwerken Unterschlupf gefunden. Literatur wiederholt sich thematisch und stilistisch. Der Reiz liegt insbesondere in ihrer epochalen, regionalen oder soziologischen Färbung. In Raoul Biltgens (40) Bühnenwerk De Wollef kennt heem ließe sich etwa die Kernfrage nach den Geistern der Vergangenheit festhalten, Geister, die auf einen diffusen Heimkehrer projiziert werden. Irgendwo zwischen Dürrenmatts Besuch der alten Dame und Gogols Revisor lässt sich das Stück ansiedeln. Epigonie? Ja. Kopie? Denkste! Eva Paulins Inszenierung von Biltgens Vorlage im Bettemburger Schloss führt uns ein in eine regional deutlich geprägte, eine luxemburgische Ausgabe literarischer Motive. Genauer: Schauplatz und zentraler Akteur von De Wollef kennt heem ist das Bauerndorf Wéngert – mit iPod.
Die mikrokosmisch dargestellte Dorfgemeinschaft – Jeanne und ihr Vater Claude, Hon und Marianne – staunt über die Rückkehr ihres einstigen Bewohners Emile Wolf. In bester Erinnerung tragen sie, wie der Vater des Heimkehrers als Knecht des Hofes erhängt in der Scheune aufgefunden wurde. Sie wissen, dass der Sohn regelmäßig gemobbt wurde. Auch Marianne muss mit Sorge und Schmunzeln an jenen Moment zurückdenken, da sie Emil aufgrund seines kurzen Gemächts eine erniedrigende Abfuhr erteilte. Nun ist es genau dieser Emil, dieser Wolf, der nach Wéngert zurückkehrt. Warum plant der elegant Gekleidete, sich mit seinem in der Fremde vermehrten Wohlstand in die Infrastruktur des Ortes einzukaufen? Möchte er seinen Wohlstand mit der verfallenen Heimat teilen oder Rache üben? Argwohn oder Verführung: Jede Figur findet ihre Antwort auf den Heimkömmling.
Mit Marc Olinger, Philippe Noesen, Jean-Paul Maes und Mady Durrer stehen bekannte Darsteller der hiesigen Theaterszene auf der Bühne. Der junge Max Gindorff fügt sich als Mariannes Sohn Christian am Ende ein. Die wahnerfüllte Reaktion auf die Projektionsfläche des heimkehrenden „Wolfs“ findet dabei vor allem im Spiel zwischen dem mimisch bedachtsam agierenden Olinger und dem selbstironisch auftretenden Noesen ihren Höhepunkt. Die streckenweise überzogene Körpersprache von Durrer und Maes sind bekannte Eigenarten beider Darsteller, angesichts der Groteske jedoch passend. Die paranoiden Dorfbewohner projizieren ihre eigenen Schuldgefühle, ihre eigenen Ängste und Egoismen auf den Heimkehrer, dem bis kurz vor Schluss keine Böswilligkeit nachgewiesen werden kann. Biltgen und Paulin vermischen hier Elemente der Dorfposse gekonnt mit jenen der Tragikomödie.
Diese Mischung hat jedoch auch einen Haken. Zwar verliert sich die Groteske nicht im plumpen Schwank und sprachlich wie thematisch liefert De Wollef kennt heem Subtilität und Deutungsspielraum. Umso haarsträubender wirken vereinzelte Szenen, in denen „domm Kou“, „Krini“ oder „déin hellt jo alles, wat net bei dräi op de Bam klemmt“ als bewusster und zielgerichteter Stumpfsinn für Schenkelklopfer eingesetzt werden. Es sind die peinlichen Momente an diesem in sich spannenden und gut strukturierten Theaterabend.
Abschließen sollte man jedoch mit einem anderen Namen: Larisa Faber. Dass keine andere Figur eine derartige Wandlung vom bedachtsamen Mahner zur geblendeten Mitschuldigen vollzieht, ist sicherlich Raoul Biltgen zu verdanken. Mit der jungen Darstellerin sei jedoch auch auf eine Nachwuchsschauspielerin hingewiesen, die in ihrer Art am meisten überzeugt. Ohne Zweifel nutzt sie die Gelegenheit, eine sehr profilierte Rolle zu verkörpern. Ihr Alter Ego kämpft vorerst mit Vernunft und Verstand gegen die aufgerissenen Augenlider der restlichen Gemeinschaft. Ihre Figur ist über weite Strecken Sympathieträgerin, Gewissen, Vernunft, Ruhe. Dies zu verkörpern, auch das muss man aber erst einmal auf solch erfrischende Weise schaffen.