Am 25. Oktober feierte auf dem international eher unbedeutenden AFI-Filmfestival in Los Angeles der Streifen Here seine Premiere. Hauptdarsteller sind unter anderem Tom Hanks und Robin Wright – Forrest Gump lässt grüßen – und sie spielen ein Ehepaar in verschiedenen Lebensphasen zwischen 18 und 80 Jahren. Möglich ist das mittels KI-gestützter Altersveränderung, genannt Digital De-Aging. Ein Akt, für den man früher sechs Stunden in der Maske gebraucht hätte, oder gar verschiedene Schauspieler, passiert nun auf Knopfdruck.
Anderes Beispiel: James Earl Jones kennt vom Namen und Gesicht her fast niemand, seine Stimme ist aber Popkulturgeschichte – die von Darth Vader in Star Wars. Jones ist im September diesen Jahres verstorben. Als sein Gesundheitszustand seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft 2022 notwendig machte, sorgte er allerdings dafür, dass er gewissermaßen unsterblich wurde: Er verkaufte Lucasfilm, der mittlerweile zu Disney gehörenden Produktionsfirma George Lucas, die Rechte an seiner Stimme, um sie zukünftig mit künstlicher Intelligenz regenerieren zu können. Und sorgte damit dafür, dass niemals jemand anderes als er Darth Vader sprechen würde. Gut für die Fans, klar, aber was ist mit den Synchronsprechern?
Die Filmindustrie hat seit ihrem Bestehen zahllose technologische Revolutionen erlebt, vom Stummfilm zum Tonfilm, vom Schwarzweißfilm zum Farbfilm, von mühevoll in Lagerhallen nachgebauten Spezialeffekten hin zu computeranimierten Explosionen. Oft sind diesen Veränderungen ganze Berufszweige zum Opfer gefallen. Mit Künstlicher Intelligenz steht nun die nächste technologische Revolution ins Haus. Und es ist die erste Revolution, die tatsächlich jeden einzelnen Aspekt des Filmschaffens infrage zu stellen scheint – vom Drehbuchschreiber über den Schauspieler hin zur Postproduktion gibt es niemanden, der die Veränderungen nicht zu spüren bekommt.
„Zu allererst werden die Jobs verschwinden, die die Bezeichnung „Assistant“ im Titel tragen“, sagt mir der italienisch-luxemburgische Filmemacher Fabio Bottani bei einem Treffen in der Bouneweger Stuff. Bottani, mit dunklen Locken und italienischem Akzent, erinnert ein wenig an den jungen Nanni Moretti. Er hat an der Vancouver Film School studiert und ist gewissermaßen ein Schweizer Taschenmesser der Branche – vom Drehbuch über Regie und Kameraarbeit hin zum Schnitt beherrscht der 28-jährige das Handwerk des Filmemachens. „Regieassistenz, Schnittassistenz – das sind alles Jobs, die mittelfristig verschwinden werden. Zunächst natürlich die Dinge, die mit den digitalen Aspekten des Films zu tun haben – Kamera, Tonschnitt und Bildschnitt.“ Diese Prozesse wurden bereits durch KI massiv beschleunigt. Viele der Programme, die in der Industrie benutzt werden, sind gewissermaßen bereits seit Jahren KI-gestützt. „Der Unterschied“, sagt Bottani, „ist jetzt der Aspekt der selbstlernenden, generativen KI. Dadurch werden nun auch andere Produktionsprozesse automatisiert – von der Planung bei Drehtagen, der Dokumenterstellung für Förderanträge bis hin zu den Drehbüchern selbst.“
Die Streiks der Drehbuchschreiber und Schauspieler in den USA vergangenes Jahr, die zu einem spürbaren Produktionsstau bei Netflix und Co. geführt haben, waren auch ein Abwehrkampf gegen die Künstliche Intelligenz – einer, der mittelfristig verloren gehen wird, wie die Geschichte dieser Arbeitskämpfe in der Filmbranche zeigt. Hollywood ist ein raues, kapitalistisches Pflaster. Aber was ist mit der europäischen Filmbranche, diesem Ökosystem an öffentlich-rechtlichen Sendern, Filmfonds, nationalen und supranationalen Förderprogrammen? Und wie bereitet man sich speziell hier in Luxemburg darauf vor?
Bei den Assises sectorielles de la production audiovisuelle am 20. September im CNA in Düdelingen wurde das Thema KI nur gestreift, der Direktor des Film Fund Luxembourgs, Guy Daleiden, gab offen zu, dass ihm die Entwicklungen diesbezüglich Angst machen. Was bei der Präsentation der Zahlen des nationalen Filmsektors jedoch auch klar wurde: Der größte Kostenpunkt einer Filmproduktion ist nahezu immer das Personal – also genau jene Stellschraube, für die KI der Schlüssel zu sein scheint. Könnte Luxemburg, das sich in der europäischen Filmlandschaft inzwischen als zuverlässiger Geldgeber und Produktionsstandort etabliert hat, nicht bedeutend mehr Filme produzieren, wenn man die Kosten derart senken würde?
Daleiden ist ein viel beschäftigter Mann, doch für ein Telefoninterview nimmt er sich Zeit. Von der Idee, mehr Filme zu produzieren, zeigt er sich nicht überzeugt. „Der Markt ist jetzt bereits übersättigt“, sagt er. „Natürlich wird Künstliche Intelligenz die Kosten drücken, gerade bei der Produktion von Blockbustern. Aber ich glaube, oder ich hoffe, dass sich das menschliche Element durchsetzen wird – dass es angesichts der Massenproduktion zumindest bei einem Teil des Publikums eine Rückbesinnung auf die Qualität geben wird. Und Qualität heißt eben nicht Perfektion.“ Es seien nie die perfekten Filme, die sich bei Festivals durchsetzen würden. Natürlich werde es Menschen geben, die Filme schauen würden, die von KI geschrieben wurden. „Es gibt ja auch Menschen, die Marvel-Filme mögen“, sagt Daleiden trocken.
Für ihn stellen sich durch die aktuellen Entwicklungen mehrere akute Probleme. „Wir vergeben zum Beispiel finanzielle Hilfen für das Schreiben von Drehbüchern. Nun ist die Frage: Ist ein maschinengeschriebenes Drehbuch förderfähig? Meiner Meinung nach nicht – wir bezahlen Menschen, keine Maschinen.“ Aber wie wolle man kontrollieren, ob bei dem Schreibprozess eine KI zum Einsatz kam? Oder ab welchem Prozentsatz von KI-Einsatz ein Drehbuch nicht mehr als menschengemacht gilt? „Ich sehe das Problem vor allem bei Serien“, sagt Daleiden. „Man lässt die erste Staffel von Menschen schreiben und danach baut eine KI auf deren Basis die Geschichte weiter und die Schreiber gehen leer aus.“ Das sei auch einer der Gründe für den Streik der Drehbuchschreiber in den USA gewesen – es sind Fragen, die nicht nur die Arbeitsprozesse betreffen, sondern auch die Vergütung von Urheber: Wieviel ist eine Idee wert? Was kostet eine Plotstruktur?
Die europäischen Filmfonds würden derzeit an einem gemeinsamen Code hinsichtlich des Einsatzes von KI arbeiten, so Daleiden. „Wir müssen einen Rahmen schaffen, der Sicherheit gibt, ohne dabei das Feld zu stark zu regulieren. Die Filmschaffenden müssen sich mit der Technologie auch kreativ austoben können.“ Das sei allerdings zu schaffen – viel mehr Sorgen machen ihm indes die Möglichkeit, Aussagen von öffentlichen Personen zu fälschen, etwa in Dokumentationen. „Wenn ein solches Deep Fake erstmal veröffentlicht ist, ist es fast unmöglich, es wieder einzufangen. Und wenn sich dann die Nachricht des Fakes verbreitet, untergräbt das den Glauben der Menschen an sämtliche Informationen.“ Deswegen müsse man den Nachwuchs nicht nur im technischen Umgang mit KI schulen, sondern auch im ethischen Gebrauch der neuen Technologie.
Eine Filmhochschule hat Luxemburg nicht, allerdings existiert mit dem BTS Cinéma et Audiovisuel im Lycée des Arts et Métiers ein öffentliches Schulprogramm, welches die Schüler auf einen Job in der Industrie vorbereitet. Geleitet wird es seit zehn Jahren von Anne Schroeder, Produzentin und Regisseurin von zahllosen Animations-, Dokumentar- und Spielfilmen. „Das erste Thema, mit dem wir uns an der Schule beschäftigt haben, ist die Frage nach der Autorschaft und möglichen Plagiaten bei KI-generierten Werken“, erzählt sie. „In den USA gibt es in der Hinsicht bereits Gerichtsurteile, die aber in Europa in dieser Form keine Wirkung entfaltet werden, da unser Verständnis von Urheberrechten eine andere ist. Allerdings gibt es in der EU noch gar keine Jurisprudenz dazu.“ Deswegen müsse man derzeit mit Hypothesen arbeiten – sowohl hinsichtlich dessen, was die zukünftige Regulierung angehe, als auch in Bezug auf die tatsächlichen Möglichkeiten, die KI-Programme bieten.
Sie bemerkt indes eine interessante Verschiebung. „Durch die technischen Möglichkeiten der Postproduktion wird auf dem Filmset selbst, also beim Dreh, inzwischen wesentlich unsauberer gearbeitet. Es geht alles viel schneller, weil man überzeugt ist, die Fehler im Nachhinein beheben zu können.“ Das führe allerdings regelmäßig dazu, dass die Möglichkeiten der Technologie überschätzt würden. „Die Zeit, die beim Dreh gespart wird, verlagert sich derzeit nach hinten. Und um die Programme zu bedienen, braucht man dann doch wieder Techniker, die 1 000 Euro pro Tag kosten.“
Man stelle sich derzeit die Frage, wie die Ausbildung umzustrukturieren sei, denn: „Die Programme werden immer einfacher zu bedienen“, so Schroeder. „Ich komme mit der technischen Entwicklung noch mit, das heißt, dass es nicht besonders kompliziert ist.“ Die Herausforderung sei eher, wie man mit den Programmen auch kreativ arbeiten könne, ohne dem durch das Programm vorgegebenen Einheitsbrei zu verfallen. „Wir brauchen Leute, die einen Gesamtüberblick haben, welche Elemente in der Filmproduktion welche Rolle spielen – Ton, Bild, Dramaturgie, Farben – ein Film ist ein komplexes Produkt.“ Anschließend bräuchte man das Knowhow, um dieses komplexe Produkt mittels ständig sich weiter entwickelnder Programme auch umzusetzen. „Es geht letztlich darum, intelligenter zu sein als die KI. Ein Teil davon kann man lehren. Ein Teil ist Talent. Und ein weiterer Teil davon ist menschliche Kreativität.“
Was sie überrascht: „Für die Schüler ist KI eigentlich kein großes Thema, außer im Bereich der Spezialeffekte. Andere Einsatzgebiete interessieren sie kaum.“ Es gäbe eher einen Trend hin zur Retro-Produktion. „Die Schüler drehen ihre Filme im Format 4:3, wenn ich es ihnen nicht verbiete. Wir haben einen Schüler, der sich derzeit sogar mit analoger Montage beschäftigt. Dabei handelt es sich jedoch um eine Nische, damit wird man in der realen Welt kein Geld verdienen können.“
Außer vielleicht durch Förderung? Guy Daleiden sagt: „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es in Zukunft zwei getrennte Förderlinien für Filme geben wird – eine für Filme, die mithilfe von KI erstellt werden und eine andere für das Handwerk, für die menschengemachte Kunst.“ Der Unterschied müsse auch klar kommuniziert werden, KI-Filme müssten auch als solche gekennzeichnet werden. „Ich für meinen Teil“, sagt Daleiden, „glaube an die Qualität menschlicher Arbeit.“
Doch dass KI die Filmindustrie revolutionieren wird, daran besteht kein Zweifel mehr. Und in verschiedenen Ländern reagiert man bereits: Die japanische Regierung unternimmt Schritte, um die Einführung von KI in der Content-Erstellung zu unterstützen. Norihiko Saeki, Direktor im japanischen Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie, gab Anfang November bekannt, dass das Ministerium das Programm GENIAC (Generative AI Accelerator Challenge) gestartet hat und derzeit Richtlinien für den Einsatz von KI in der Content-Produktion entwickelt.
In Luxemburg liegt das Dossier im Kulturministerium. Derzeit erarbeitet man dort ein White Paper, das die Position des Ministeriums im Bereich der Künstlichen Intelligenz darlegt. „Mit diesem Dokument wollen wir ein deutliches Signal senden, dass sich das Ministerium aktiv mit dem Medium KI auseinandersetzt und sich den Herausforderungen, Ängsten und Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Bereich bewusst ist“, so ein Sprecher des Ministeriums. Diese Position soll ein Teil der nationalen KI-Strategie werden, die unter der Ägide des Service des médias, de la connectivité et de la politique numérique (SMC) erarbeitet wird. Wann diese Strategie spruchreif sein wird, ist derzeit allerdings – wie so vieles in dem Bereich – noch ungewiss.