Bevor Gilles Zeimet im September vergangenen Jahres die Leitung des Centre national de l’audiovisuel (CNA) übernommen hat, war das Direktionsbüro mit Teppichboden ausgekleidet. Sogar luxemburgische Franken habe man noch in dem Raum gefunden, erzählt der Direktor am Dienstagmorgen in seinem Büro in Düdelingen. Doch Gilles Zeimet hat eine Stauballergie, und nun liegt Laminat auf dem Boden. An der Wand hängt ein großes fotografisches Werk von Daniel Wagener, auf dem sich Obstkisten türmen. Als wir eintreffen, führt der Direktor erst durchs Haus: Er zeigt den Projektionsraum zum Kino Starlight, mehrere Räume mit schrankhohen Servern, die Hunderte von Terabytes an Foto-, Film- und Tonarchiven beherbergen. Es sei ein „Challenge“ für die nächsten Jahre, diese Dateien auf lediglich ein bis zwei Maschinen zu migrieren, erzählt Zeimet. Die Technologie, um zum Beispiel VHS-Kassetten zu digitalisieren, wird immer kostenaufwendiger. Das CNA modernisiert sich trotzdem weiter, die Digitalisierung wird weiterentwickelt. Auch dafür ist Gilles Zeimet eingestellt worden.
Der Direktor verwaltet ein Team von 60 Menschen, viele von ihnen Staatsbeamte; hinzu kommen Experten, die auf Freelance-Basis arbeiten. Doch vor allem erbt er ein gespaltenes Haus. Denn das CNA ist seit Jahren von Problemen geplagt, die sich bis heute kaum verbessert haben. Dem ehemaligen „Digital Curator“ des Musée national d‘archéologie, d‘histoire et d‘art (MNAHA), der dort die Online-Kollektion aufgebaut hat, obliegt die nächsten sieben Jahre die Mammutaufgabe, die verfahrene Situation zu entschärfen und die Institution neu aufzustellen. Die Rede ist von toxischer Arbeitsatmosphäre – bis vor Kurzem waren drei Mitarbeiter länger krankgeschrieben, mitunter wegen arbeitsbedingtem Burnout. Wie kann es sein, dass eine gut bezahlte, stabile und vor allen Dingen kreative Arbeit an einem Kulturinstitut derart schwierig geworden ist?
Spricht man mit Menschen, die das CNA gut kennen, fallen die Worte „strukturell bedingtes Problem“, „historisch gewachsene Situation“, „äußerst komplex“. Menschlichkeit und Empathie seien verloren gegangen, erzählen Insider. Dabei liege es nicht an einer Person, sondern die Fehllage sei systemisch: Auch wenn Führungspersonen ausgewechselt würden, blieben die Probleme weiter bestehen. Um das Ganze zu verstehen, muss die Uhr mehrere Jahrzehnte zurückgedreht werden. 1989 entstand das CNA unter LSAP-Kulturminister Robert Krieps, die treibenden Kräfte im Filmbereich waren unter anderem Viviane Thill und Joy Hoffmann. Sie bauten das Archiv lange Jahre auf – mit einer gehörigen Portion Autonomie. Jean Back, der Fotograf und Schriftsteller, der das CNA die ersten 27 Jahre leitete, ließ seinen Mitarbeiter/innen in ihren Spezialgebieten freie Hand. Die Mission des Kulturinstituts bestand darin, zu archivieren – ebenso wie zu produzieren und Inhalte auszustellen. Das ist bis heute so geblieben. Dieser weitläufigen Mission wohnt allerdings bereits eine gewisse Spannung inne: Die einen sollen archivieren, die anderen sollen sich mit dem Archiv-Material museal betätigen. Auch die Family of Man-Ausstellung in Clerf, die Steichen- und die Lutz Teutloff-Kollektionen gehören zum Erbe, das das CNA betreut. Kürzlich organisierte es gemeinsam mit dem Essener Museum Folkwang eine Retrospektive des Fotografen-Duos Deffarge-Troeller (d’Land, 29.11.2024).
2016, als Jean Back in den Ruhestand ging, übernahm der promovierte Filmhistoriker Paul Lesch die Leitung des Hauses. Er sollte das CNA reformieren, die Archive, die bisher getrennt waren, zusammenbringen, ebenso die Digitalisierung vorantreiben. Struktur ins de facto selbstverwaltetete CNA zu bringen, war ein schwieriges Unterfangen. Die Situation unter Leschs Leitung eskalierte und die damalige grüne Kulturministerin Sam Tanson musste eingreifen: 2018 wurden externe Berater eingestellt, um die Reorganisation der Institution zu koordinieren, dann bekam Paul Lesch eine neue attachée de direction an die Seite. Die Situation verschlimmerte sich weiter. Die Direktionsassistentin verbündete sich mit den externen Beratern in WhatsApp-Chats mit dem Namen „Mean Girls“: Mission failed, mission aborted. Schlussendlich liefen einige Mitarbeiter/innen 2021 gegen Paul Lesch Sturm. 23 Unterschriften zählte der interne Brief, der an den Direktor gerichtet war und der unzählige Fragen aufwarf, vor allem, was die neue Arbeitsaufteilung anging. Lesch wurde vorgeworfen, keine Entscheidungen treffen zu wollen und sich nicht für das alltägliche Management eines staatlichen Kulturinstituts zu interessieren. Nach diesem Brief leitete Sam Tanson eine Mediation ein – doch das Schlichtungsteam warf nach zwei Besprechungen das Handtuch. Es sei nicht neutral gewesen, beklagte im Nachhinein ein Teil des Personals.
Als reiche all das nicht, wurde 2022 eine ehemalige Direktionssekretärin aufgrund von Veruntreuung von öffentlichen Geldern (die Rede geht von mindestens 40 000 Euro) zu 18 Monaten Haft auf Bewährung und 2 500 Euro Geldstrafe verurteilt, wie Reporter berichtete. Dabei war das fehlende Geld in der Kasse – das bereits unter Jean Back angefangen hatte, zu verschwinden – niemandem aufgefallen.
2022 wurde auch das Gesetz umformuliert und die Aufgaben des CNA im Hinblick auf die veränderte Technologie somit spezifiziert. Nicht die Lagerung stand nunmehr an erster Stelle, sondern die aktive Archivarbeit: das „Sammeln, Aufarbeiten, Konservieren, Bereichern, Digitalisieren und Aufbewahren des audiovisuellen Erbes“. Das CNA ist zwar vom Kulturministerium finanziert, jedoch kein établissement public, wie es es seit dem vergangenen Jahr etwa das Mudam oder das Casino sind, sondern ein staatliches Kulturinsitut. Das bedeutet, dass es keinen Verwaltungsrat gibt, keinen Präsidenten. Dabei wäre das fürs CNA wahrscheinlich hilfreich.
Es fließt stattlich viel Geld hinein: Statt neun Millionen Euro gibt es nächstes Jahr zwölf; allein eine Million Euro fließt in neue Technik. Die Finanzierung, der sichere Arbeitsplatz, die sinnvolle Aufgabe: Das alles gibt es im CNA. Nur kein Wohlbefinden. Sich von dieser Arbeit zu trennen, ist keine leichte Entscheidung. Sonderlich viele Perspektiven gibt es für leidenschaftliche Archivisten in Luxemburg für ein wettbewerbsfähiges Gehalt nämlich nicht. Ist es denn nun ein Generationenproblem? Sind es die Boomer, die Einschränkungen in ihrem bisher völlig autonomen Schaffen nicht ertragen können, schon gar nicht wenn sie von Menschen kommen, die weniger lange im Team sind? Nein, antwortet Paul Lesch im Gespräch mit dem Land. Es sei eine Frage der Herangehensweisen. Seine Tür habe für alle Mitarbeiter immer offen gestanden, wegen ihm persönlich sei niemand arbeitsunfähig gewesen. Heute ist er Kommissar für die Edward-Steichen-Kollektion. Sein Verhältnis zu seinem Nachfolger sei „sehr gut“, sagt er.
Gilles Zeimet stellte erst drei neue Leute ein, dann verbrachte er das erste halbe Jahr damit, die Abteilungen des CNA neu zu sortieren. Ein neues Organigramm entstand – 14 Abteilungen wurden auf vier eingestampft: Recherche und Valorisation; Archiv (Film, Ton und Foto); Besucherkontakt (pädagogische Aktivitäten, Mediathek) und Verwaltung. Manche Mitarbeiter fühlen sich nach dieser neuen Organisation weniger wertgeschätzt, ihre neuen Aufgaben seien nicht genau definiert, berichtet eine Person aus dem Umfeld der Mitarbeiter. Gilles Zeimet hält dagegen, der Wandel und der damit einhergehende „neue Weg“ würden gut angenommen. Der neue Direktor soll über krank geschriebene Mitarbeiter/innen gesagt haben, sie seien „zu sensibel“, heißt es weiter aus dem engen Kreis der Mitarbeiter. Gilles Zeimet, sichtlich nervös, winkt ab. Er spricht von einem „extrem motivierten und kompetenten Team“, geht im Gespräch jedoch nicht auf die Personalprobleme ein, sondern wiederholt die ihm gestellten Fragen, sagt dann, er könne sich nicht zu gesundheitlich bedingten Arbeitsausfällen seiner Mitarbeiter äußern. Zu seinem Amtsantritt habe er mit allen gesprochen; dass bei einem großen Team auch mal Leute krank werden, sei normal.
Wer die Mitarbeiter des CNA um ein Hintergrundgespräch bittet, wird an die Kommunikationsabteilung oder die Leitung verwiesen. Andere antworten gar nicht erst. Zum einen gilt für Staatsbeamte natürlich Schweigepflicht. Aber das erklärt nur zum Teil die Unwilligkeit, über die Missstände zu sprechen. Die Leute haben Angst, sind resigniert, erzählen Insider. Mit der Presse zu sprechen, wie sie es 2021 taten, habe ihre Situation kaum verbessert. Letztlich scheint auch das Output der Institution unter den Jahren des Missmanagements zu leiden.
Denn tatsächlich hat das CNA immer noch kein Online-Archiv, auf das jeder zugreifen könnte. Bereits vor den Wahlen vergangenes Jahr hatte das Kulturministerium eine Deadline dafür festgelegt. Das Datum verstrich, zu viel Energie scheint in die Rekrutierung der neuen Führungskraft geflossen zu sein. Paul Lesch und ein Direktionskomitee des Kulturministeriums hatten die Zeit bis zum Antritt Gilles Zeimets überbrückt. (Während der Rekrutierungsphase wurden Kandidat/innen vom Kulturministerium übrigens mit dem Redigieren von „concept papers“ beauftragt – sie sollten ihre Zukunftsvision für das CNA erörtern und insbesondere aufgrund der besonders verfahrenen Situation ihre Art des Managements vorstellen.) Aber woran liegt es, dass Luxemburg im Gegensatz zu den Nachbarländern immer noch kein Online-Tool samt Datenbank hat, das etwa RTL-Sendungen aus den 60-er Jahren bündelt? Immerhin ist es das kollektive Gedächtnis, um das es hier geht. Gilles Zeimet sagt, das sei kein „low-hanging fruit“, viel Arbeit müsse im Vorfeld geleistet werden. Anfang 2025 soll ein erstes Tool namens „CNA Search“ mit Suchfunktion und einem ersten Datensatz online gehen.