Vom 26. bis zum 28. Oktober 2007 fand die jährliche Tagung der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil“ im Centre national de littérature in Mersch statt. Unter dem Titel Bretterwelten – Frauen auf, vor und hinter der Bühne wurden die Schicksale von Frauen besprochen, die in unterschiedlichen Bereichen der Bühnenarbeit tätig waren, sei es als Schauspielerinnen, als Tänzerinnen, als Choreografinnen, usw. und die der Zweite Weltkrieg aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Im Fokus der Beiträge standen die Versuche der Selbstbehauptung im Exilland und das politische Engagement, Überlebensstrategien in und durch die Kunst. Die Vorträge liegen nun in gedruckter Form in einem Tagungsband vor.
Seine besondere Eignung als Tagungsstätte bezog das Servais-Haus daraus, wenigstens während der ersten Kriegsjahre einen Lesekreis jüdischer Flüchtlinge beherbergt zu haben. Wenn auch nur kurze Zeit, fungierte es als kleine kulturelle Enklave, wie Germaine Goetzinger, die den Band zusammen mit Inge Hansen-Schaberg herausgebracht hat, in ihrem Vorwort zu zeigen bemüht ist. Ihr Beitrag über das Exilensemble Die Komödie sucht ebenfalls den Bezug zu Luxemburg: In den Dreißigerjahren hatte die Schauspielertruppe nach anfänglichen Erfolgen vergeblich versucht, in Luxemburg Fuß zu fassen.
Nicole Brunnhuber untersucht die Bemühungen deutscher und österreichischer Schauspielerinnen, ihren Beruf im englischen Exil weiter auszuüben. Aus den verschiedenen biografischen Abrissen wird deutlich, welche Faktoren für den Erfolg der refugee actors ausschlaggebend waren: erstens die Sprachkenntnisse und zweitens die Fähigkeit, ein soziales und berufliches Netzwerk aufzubauen. Wie unterschiedlich der Umgang mit diesen Hürden auf die jeweilige Karriere wirken konnte, zeigt sich an den in den einzelnen Beiträgen dargestellten Lebensläufen der Mannheimer Kabarettistin und Schauspielerin Alice Dorell, die in den Niederlanden mit Variété-Programmen auftrat, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde, an den Erfolgen der Geschwister Katharina, Johanna und Maria Stern, wie an der beispielhaften Karriere der Schauspiellehrerin Mira Rostova in den Vereinigten Staaten der Nachkriegszeit.
Wie Mira Rostova konnte sich auch die österreichische Tänzerin Cilli Wang nach dem Ende des Krieges beruflich behaupten. Das Exil markierte zwar eine äußerst schmerzhafte Episode in der Vita der faszinierenden Künstlerin, bedeutete aber nicht das Ende ihres Bühnendaseins. Das Schicksal Cilli Wangs im Den Haager Exil, aber auch das der Schauspielerin und Dramaturgin Lucy von Jacobi im Umland von Florenz rufen mit besonderer Eindringlichkeit in Erinnerung, dass die Zeit des NS-Regimes nicht nur beruflich, sondern auch privat für herbe Enttäuschungen und schmerzliche Verluste sorgte.
Viele dieser Texte konzentrieren sich vornehmlich auf die äußeren biografischen Daten der Künstlerinnen. Zwar sind diese eher historiografisch angelegten Porträts jeweils ganz anschaulich, sie legen jedoch nur zögerlich Synthesen und Interpretationsansätze über die Bedeutung und Möglichkeiten künstlerischen Schaffens von Frauen im Exil vor, die über die Einzelschicksale hinausgingen. Der Grund für dieses Manko scheint eine oft recht dürftige Quellenlage zu sein. Besonders in Katja B. Zaichs anregendem Beitrag über Alice Dorell wird dies spürbar: Dorell hatte immer wieder versucht, der Zensur zum Trotz politische Inhalte in ihr Programm aufzunehmen. Leider sind kaum Skripte erhalten, so dass ihre Stellungnahmen sich nur ansatzweise fassen lassen. Hiltrud Häntzschels Analyse des als Weihnachtslegende 1943 bekannten „Puppenspiels mit dem Tod“ der Grete Weil hingegen, der mit Abstand beste Aufsatz des Bandes, kann sich auf eine konkrete Textbasis beziehen, die vor dem Hintergrund der biographischen und zeitgeschichtlichen Geschehnisse interpretiert wird. Einen ähnlichen Versuch unternimmt Stefan Hauck in seinem Beitrag über die Kinderdramen von Margarete Steffin.
Von eher kulturgeschichtlichem Zuschnitt sind die Texte von Inge Hansen-Schaberg über „Pädagogische Bühnenarbeit in jüdischen Schulen im NS-Deutschland und in Schulen im Exil“, wie auch die Studie von Gabriele Fritsch-Vivié über den Tanz im NS-Staat. Der Tagungsband kommt ganz am Ende auf die Möglichkeiten künstlerischer Tätigkeit an einem Ort zurück, wo eigentlich alle Kultur längst aufgehört hatte: Das Orchester inhaftierter Frauen in Auschwitz ist sicher eines der interessantesten und beeindruckendsten Themen, die in Bretterwelten vorgestellt werden. Leider gleicht ausgerechnet dieser Aufsatz einem unfertigen Forschungsbericht, der sich mit etlichen Detailfragen über Rezeption und Aufzeichnung befasst, die höchstens für ein winziges Fachpublikum relevant sein dürften.
Ein Beitrag von Dieter Heymann über die Bilder der argentinischen Künstlerin Mónica Weiss bildet den Abschluss den Bandes.So sehr bei der Konzeption von Bretterwelten auch darauf geachtet wurde, eine Vielfalt von Aspekten des Bühnendaseins exilierter Frauen zu berücksichtigen, so augenfällig ist das Fehlen einer berühmten Künstlerin in der Reihe der Porträts: Zwar wird in einigen Aufsätzen auf die Bedeutung von Erika Manns Pfeffermühle hingewiesen, diese steht jedoch in keinem Beitrag im Mittelpunkt. Angesichts des dezidierten politischen Engagements Erika Manns und der vergleichsweise beachtlichen Aufmerksamkeit, die sie mit ihrer Bühnentätigkeit gewinnen konnte, scheint dies doch erstaunlich. Gerade das Sendungsbewusstsein Erika Manns hätte einen Gesichtspunkt hervorheben können, der in dem Tagungsband ansonsten relativ kurz kommt: den Glauben an die moralische Verpflichtung der Kulturträger und der Bühne im Besonderen.
Der Titel dieses Textes ist ein Zitat aus Schillers Über das gegenwärtige teutsche Theater (1782).
Germaine Goetzinger, Inge Hansen-Schaberg (Hg.): Bretterwelten. Frauen auf, vor und hinter der Bühne. Edition Text + Kritik, Richard Boorberg Verlag, Oktober 2008; 247 Seiten; 26 Euro; ISBN: 978-3883779560