Wenn die Chefs der G7-Länder heute im kanadischen Charlevoix zusammenkommen, dürfte das aus mehr als nur einem Grund nicht das angenehmste Treffen für den amerikanischen Präsidenten Donald Trump werden, der die USA aus dem Klimaabkommen herausgeführt hat und mit dem Satz „grab them by the pussy“, Frauenprotestmärsche zu seiner Amtseinführung auslöste. Auf dem Programm stehen neben den Themen Sicherheit, inklusivem Wachstum und Arbeitswelt der Zukunft auch Klimaschutz und Frauenrechte. Aber nicht nur das. Er wird dort auch seine Kollegen und Verbündeten treffen, die sich von ihm wie Feinde behandelt fühlen, seit seine Regierung unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit die Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporten erhöht hat. Seit vergangenem Freitag gelten die Zölle auch auf Importen aus Kanada und der EU.
Mit seinen Einfuhrzöllen testet er den Zusammenhalt der westlichen Allianz und der EU im Besonderen beileibe nicht zum ersten Mal. Mit der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem und dem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran hat Trump die Reaktions- und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union bereits auf die Probe gestellt. Die Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium, das sind sich mittlerweile die meisten Beobachter einig, sind dabei nur die Vorspeise, bevor der Hauptgang serviert wird. Denn, so erklärte Außenminister Jean Asselborn (LSAP) am Mittwoch während einer von seiner Partei beantragten Aktualitätsdebatte über den Außenhandel im Parlament: „Trump hat einmal gesagt, er will keinen Mercedes mehr sehen, der nicht in den USA hergestellt ist.“ Die Einfuhrzölle, fuhr er fort, seien nur ein „erster Schritt“, denn in Wirklichkeit habe es Trump auf „das Export-Potenzial der EU und vor allem, was die Automobilindustrie betrifft, auf das Exportpotenzial von Deutschland und Italien“ abgesehen.
Die Zahlen stützen diese These. Denn im Vergleich zu der gesamten Wirtschaftsleistung der USA oder der EU, wiegen die umstrittenen Stahlimporte nicht besonders schwer. Die aus der EU kommenden Stahl- und Aluminiumimporte in die USA beliefen sich auf 2017 auf 7,2 Milliarden Dollar. Ein Klecks im Vergleich zur Wirtschaftsleistung der EU-Mitgliedstaaten von insgesamt 15,3 Billionen Euro. Doch weil die USA mit der Erhöhung der Einfuhrzölle die von ihnen mit aufgebauten Regeln für den internationalen Handel außer Kraft setzen, sieht sich die EU zur Reaktion gezwungen. Für diesen Fall haben die USA bereits Vergeltung in Form von erhöhten Zöllen auf Automobil- und Lastwagenimporten angekündigt. Und die Vorbereitungen laufen. Am 23. Mai beauftragte Präsident Donald Trump seinen Handelsminister Wilbur Ross zu prüfen, inwiefern die nationale Sicherheit durch die Automobilimporte gefährdet seien. Er hat bereits das gleiche Verfahren eingeleitet, das zu den erhöhten Stahl- und Aluminiumzöllen geführt hat, und in ihren Stellungnahmen bereiten er und Ross politisch das Terrain vor. Wenn es zum Handelskrieg komme, erklärte Rosse Le Monde vergangene Woche, sei das die Schuld der EU, denn sie müsse ja nicht reagieren.
Diese Drohung könnte interessante Auswirkungen auf die Dynamik innerhalb der EU haben. Denn sie zielt treffsicher auf den Exportweltmeister Deutschland, der, gestützt auf seine Handels- und Haushaltsüberschüsse, in der EU seit Jahren den anderen Ländern diktiert, wo es lang geht. Manches geschundene Euro-Mitglied könnte da auf die Idee kommen, wenn die USA Deutschland ein wenig zurechtstutzen, könne das auf unerwartete Art und Weise dazu beitragen, die makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone auszubügeln. Angesichts der Gefahr von außen ist plötzlich Deutschland auf die Solidarität der EU-Länder angewiesen, mit denen Berlin bisher keine Haftungsgemeinschaft eingehen wollte. Dass der Dissens real ist, deutete Jean Asselborn am Mittwoch im Parlament an: „Deutschland hat einen immensen Handelsüberschuss gegenüber den USA und die Franzosen haben das nicht. Die importieren mehr aus den USA als sie dahin exportieren.“ Das habe im EU-Ministerrat zu „Nuancen“ in der Diskussion über die angebrachte Reaktion über die US-Maßnahmen geführt. Mit welchen Nuancen sich Luxemburg einbringt, machte Asselborn ebenfalls klar, indem er auf die vielen Luxemburger Zuliefererbetriebe hinwies, die der deutschen Automobilindustrie zuarbeiten und von ihrem Erfolg abhängig sind. Ähnliche Kollateralschäden für ihre heimische Wirtschaft dürften auch andere Länder sehen.
Dass die EU bisher gemeinsame Front macht, hängt daher wohl auch damit zusammen, dass nicht die Mitgliedstaaten, sondern die EU-Kommission für Außenhandelsfragen zuständig ist. Sie hat Klage bei der Welthandelsorganisation (WHO) eingereicht und dort Ausgleichsmaßnahmen von in einem ersten Schritt 2,8 Milliarden Euro angemeldet, die ab dem 20. Juni gelten sollen. Die acht Seiten lange Liste, welche die EU bei der WHO eingereicht hat, reicht von Mais („Sweetcorn, uncooked or cooked by steaming or by boiling in water, frozen; 25 % additional duty“) über Orangensaft (unfermentiert, mit oder ohne Zucker oder Süßstoffzusatz, ausgenommen gefrorener Saft und solcher, der Schnaps enthält, 25 Prozent Zollaufschlag), Bourbon (in Behältern von unter und über zwei Liter Fassungsvermögen, 25 Prozent Zollaufschlag), „Eye make-up preparations“, (25 Prozent); Manicure or pedicure preparations, (25 Prozent); Bekleidung aus Baumwolle (zum Beispiel: „T-shirts, singlets and other vests of cotton, knitted or crocheted“ oder „Men’s or boy’s trousers and breeches of cotton denim, excluding knitted or crocheted, industrial and occupational, bib and brace overalls and underpants, 25 %“); allerhand Stahlprodukten; „Motorcycles, including mopeds, with reciprocating internal combustion piston engine of a cylinder capacity > 500 cm3 but <800 cm3“;„Sea going sailboats and yachts, with or without auxiliary motor, for pleasure or sports, 25 %) bis zu „playing cards, 10%“.
Eine ähnliche Harley-Davidson-Levis-Jack-Daniels-Liste mit höheren Aufschlägen, beispielsweise 50 Prozent auf Gartenschirmen, Waschmaschinen, Solarien und Sofabetten im Wert von noch einmal der gleichen Summe will die EU erst 2021 in Kraft setzen. Beziehungsweise, wenn die WTO früher zu Gunsten der EU entscheidet, auch schon davor. Dies ist indes nicht wahrscheinlich. Das zuständige WTO-Gericht ist im Prinzip mit sieben Richtern besetzt, derzeit allerdings auf vier Richter dezimiert. Wenn die USA weiter verhinderten, dass neue Richter genannt werden, erklärte Asselborn dem Parlament, sei es bald nicht mehr beschlussfähig.
„Was wehtun kann ist wenn die Überkapazität auf dem Weltmarkt noch mehr nach Europa kommt“, legte Asselborn den Abgeordneten dar. Deshalb prüft die EU, ob sie zusätzliche Strafzölle gegen Dumpingstahl aus China, Indien oder Russland erhebt. Von diesen Schutzmaßnahmen und davon, wie die neuen Einfuhrrestriktionen im Detail umgesetzt werden, wird abhängen, wie hart es den Stahlkonzern Arcelor-Mittal mit Sitz in Luxemburg treffen wird. Dessen Produktionsstandorte innerhalb der USA – Arcelor-Mittal ist dort der zweitgrößte Produzent – dürften im Prinzip nicht nur von den Schutzzöllen direkt profitieren. Sondern eventuell auch davon, dass Produktionslinien von außerhalb in die USA verlagert werden, um die Zölle zu umgehen. Ob aber die Produkte, die Arcelor-Mittal in anderen Ländern herstellt, beispielsweise die Bleche, die Dofasco für die US-Automobilindustrie in Kanada rollt, oder auch die besonders großen Träger und Spundwände aus Luxemburg nicht mehr importiert werden, ist auch noch nicht gesagt. Denn solche Produkte sind genormt und von den Kunden homologiert. Es ist nicht ohne Umstände möglich, ihre Produktion zu verlagern, ohne dass die neuen Produktionsstandorte entsprechende Zertifizierungsprozesse durchlaufen. Beziehungsweise handelt es sich dabei um derartig spezifische Nischenprodukte, dass ihre Produktion ohnehin nicht verlagert werden kann. Das weiß auch die US-Regierung, und damit die Amerikaner auch nach dem 20. Juni Coca-Cola aus Büchsen trinken, die Autokonstrukteure Blech für die Karosserie beziehen und Bauunternehmer Grey-Träger bestellen können, gibt es jede Menge Ausnahmen und Sonderregelungen, die US-Firmen erlauben, die von ihnen dringend benötigten Waren ohne Zollaufschlag zu importieren.
Ausgerechnet vor diesem Hintergrund findet der von den EU-Wettbewerbsbehörden angeordnete Verkauf von Teilen des Arcelor-Mittal-Konzerns statt. Um den italienischen Produzenten Ilva übernehmen zu dürfen, muss Arcelor-Mittal unter anderem das Düdelinger Verzinkungswerk verkaufen, das bisher vom nicht zum Verkauf stehenden Werk in Florange mit Halbzeug beliefert wurde. Étienne Schneider hatte vergangene Woche durchblicken lassen, Arcelor-Mittal wolle nicht mit den Interessenten von NLMK verhandeln, weil man sich die russische Konkurrenz nicht vor die Haustür holen wolle, und hat als Verhandlungspartner für eine Übernahme den deutschen Konzern Salzgitter und den schwedischen Konzern SSAB genannt. Dabei arbeitet NLMK eng mit den wallonischen Behörden zusammen, betreibt in einem Joint-Venture mit der Förderbank einige Werke. Daher kann man durchaus in Frage stellen, ob es sich dabei um einen russischen oder europäischen Wettbewerber handelt. Land-Informationen zufolge hat die EU-Kommission Arcelor-Mittal zur Auflage gegeben, Düdelingen mit den Werken in Lüttich in einem Paket zu verkaufen, um sicherzustellen, dass die Lieferungskette nicht abreißt. Ab dem 1. Juli sollen die zum Verkauf stehenden Werke sich vom Rest des Unternehmens abkapseln, das heißt, sie können sich neue Zulieferer suchen und auch buchhalterisch getrennte Wege gehen. Dass sich die Werke so kurzfristig neue Geschäftspartner suchen, dürfte aber allein schon an der Logistik scheitern. Arcelor-Mittal hat bis September Zeit, einen Käufer zu finden, ansonsten beauftragt die EU-Kommission ein externes Unternehmen mit dem Verkauf.