Säbelrasseln „We must protect our country and our workers. Our steel industry is in bad shape. IF YOU DON’T HAVE STEEL, YOU DON’T HAVE A COUNTRY!“, twitterte US-Präsident Donald Trump am 2. März und kündigte damit an, fortan 25 Prozent Einfuhrzölle auf Stahl- und zehn Prozent Importzölle auf Aluminiumimporten erheben zu wollen. „Trade wars are good, and easy to win“, meinte er in einer weiteren Nachricht. Am gleichen Abend schlug EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer Festrede in Hamburg zurück: „Also wir verhängen jetzt auch Importzölle. Das ist eigentlich ein stupider Vorgang, dass wir dies tun müssen, aber wir müssen es tun. Wir verhängen jetzt Zölle auf Motorräder – Harley Davidson –, auf Jeans – Levi’s –, auf Bourbon. So blöd können wir auch, so blöd müssen wir auch sein.“ „Blöd“ – das war offenbar Trumps Stichwort. Tags drauf drohte er den Europäern, wenn sie sich gegen die Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium wehren sollten, werde er Autoimporte aus Europa mit höheren Steuern bremsen. Und legte zwei Tage später nach: „We are on the losing side of almost all trade deals. Our friends and enemies have taken advantage of the U.S. for many years. Our Steel and Aluminum industries are dead. Sorry, it’s time for a change! MAKE AMERICA GREAT AGAIN!“
Seither steigt auf beiden Seiten des Atlantiks die Sorge um die Folgen dieser Ankündigungen. Am Montag warnte der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn (LSAP) vor Journalisten: „Das könnte radikal in einen Handelskrieg führen. Das Schadenspotenzial ist sehr groß, man kann davon ausgehen, dass es zu einer Stahlkrise kommt, mit allen Konsequenzen.“ In vorderster Linie wäre davon Arcelor-Mittal betroffen, sowohl in den Luxemburger Werken, die jährlich etwa zehn Prozent ihrer Produktion in die USA exportieren, als auch als Konzern mit Produktionsstandorten rund um den Globus. Die Arcelor-Mittal-Aktie fiel vom 1. auf den 2. März um 1,70 Euro auf 26,42 Euro.
Innerhalb von knapp mehr als einem Jahr ist die Rollenverteilung zwischen den großen Wirtschaftsblöcken völlig auf den Kopf gestellt. Die USA, die sich ehedem dafür stark machten, den Kräften des Marktes möglichst freien Lauf zu lassen, und die EU, Anwendungsgebiet der, zumindest dem Namen nach, sozialen Marktwirtschaft, verhandelten unter Protesten von Globalisierungsgegnern, Umweltschützern und der politischen Linken über das Freihandelsabkommen TTIP, um die Handelsbeziehungen zu intensivieren. Nun drohen sie sich gegenseitig mit Strafzöllen auf Symbolprodukten, während die Volksrepublik China das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Stahlmarkt wieder hergestellt hat und dadurch globalen Konzernen zu höheren Gewinnen verhilft.
MAGA Aber der Reihe nach. Die schwache Stahlindustrie und die amerikanische Industrie überhaupt wieder zu stärken, war eines von Trumps großen Wahlversprechen – „Make Amercia great again“. Dass es der US-Stahlindustrie nicht gut geht, ist eine Tatsache. Die Zahl der Beschäftigten in der Stahlbranche sank von 216 400 im Jahr 1998 auf 139 800 im Januar 2016. Seit 2000 wurden 25 Prozent der Hochofenkapazitäten in den USA geschlossen und weitere Elektrostahlwerke dichtgemacht. Die Produktion reicht nicht mehr aus, um die Nachfrage zu bedienen. 2016 wurden laut dem Steel imports report des US-Handelsministeriums vom Dezember 2017 in den USA 99,7 Millionen Tonnen Stahl verbraucht, aber nur 78,6 Millionen Tonnen davon hergestellt. Ein Drittel des Verbrauchs, 30 Millionen Tonnen, wurden importiert, wobei das schon zehn Millionen Tonnen weniger waren als 2014, als die Importe mit 40,3 Millionen Tonnen einen Rekordstand erreichten.
Also beauftragte Donald Trump seinen Handelsminister Wilbur Ross, ehemaliger Stahlmagnat und ehemaliges Verwaltungsratsmitglied von Arcelor-Mittal, drei Monate nach der Amtseinführung damit, eine Untersuchung auf Grundlage von Section 232 des Trade Expansion Act von 1962 durchzuführen, um die Wirkung der Stahlimporte auf die nationale Sicherheit zu prüfen. Section 232 hat für Trump den Vorteil, dass er für darauf basierende Entscheidungen keine Zustimmung vom Kongress braucht, sondern als Präsident selbst entscheiden kann. Den Bericht The effect of imports of steel on the national security legte Ross am vergangenen 11. Januar vor. Zusammengefasst kommt er darin zur Schlussfolgerung, dass nicht nur der Stahl, den die Rüstungsindustrie direkt verbraucht, sicherheitsrelevant ist, sondern umgekehrt nur eine insgesamt gesunde Stahlbranche im Ernstfall dazu in der Lage sei, aufzurüsten. Folglich schadeten die Stahlimporte der nationalen Sicherheit. Ross zeichnet in seinem Bericht mehrere mögliche Vorgehensweisen vor. Globale Quoten pro Land und Produkt auf der Basis der Einfuhrdaten von 2017 oder einen globalen Einfuhrzoll von 24 Prozent, der zu einem Rückgang der Importe um 37 Prozent, also 13,3 Millionen Tonnen, führen würde. Dadurch würden die Einfuhren auf ungefähr 22,7 Millionen gesenkt und in der Folge würde die Auslastung der amerikanischen Stahlwerke auf 80 Prozent steigen. Man könnte Einfuhrzölle nur für bestimmte Handelspartner und Ursprungsländer einführen oder, falls man sich für globale Quoten oder globale Zölle entscheiden sollte, die Möglichkeit von Ausnahmen vorsehen, schlägt Ross vor.
Ob es auf den steigenden medialen Druck der vergangenen Wochen und Monate zurückzuführen ist, dass sich Donald Trump einstweilen für maximale Aktionen entschieden hat? Im Dezember berichtete die New York Times unter dem Titel „Trump Promised to Protect Steel. Layoffs Are Coming Instead“ von einer alleinerziehenden Mutter, die sich kein Weihnachtsfest leisten konnte, weil sie ihren Job verlieren sollte. Sie ist eine der 150 Arcelor-Mittal Mitarbeitern, die in Conshohocken, Pennsylvania, entlassen wurden. „Steelworkers feel abandoned by Trump as layoffs loom at Arcelor-Mittal-owned mill”, hieß es in Fortune über die Entlassungen.
Zuckerbrot und Peitsche Die EU-Kommission, an die die Mitgliedstaaten der Zollunion die Zuständigkeit für Außenhandelsfragen abgegeben haben, glaubt, es gehe Trump weniger um den Schutz der nationalen Sicherheit als um den, der nationalen Stahlbranche. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sprach deshalb am Mittwoch von „getarnten Schutzmaßnhamen“. Das ist ein wichtiges Stichwort, denn im Falle solcher versteckten Schutzmaßnahmen für eine ganze Branche erlauben die Regeln der Welthandelsorganisation (WHO) den Geschädigten, sich zu wehren. Malmström erwog drei separate Gegenmaßnahmen, um den USA anzudeuten, die EU fürchte sich nicht, aber reagiere bloß. Und um vielleicht doch noch ein Umdenken in Washington anzuregen, vergaß sie den Hinweis nicht, als langjähriger Verbündeter stelle die EU kein Risiko für die Sicherheit der USA dar. Sollte Donald Trump nicht einlenken, werde die EU vor der WHO erstens ein Schlichtungsverfahren anstreben. Sie will zweitens die im Rahmen der WHO-Regeln vorgesehene Möglichkeit nutzen, selbst Schutzmaßnahmen einzuführen, also Einfuhrzölle auf Stahlimporten in die EU anheben. Denn wenn die globale Stahlindustrie ihren Stahl nicht mehr in die USA verkaufen kann, wird sie versuchen, ihn anderswo abzusetzen. 50 Millionen Tonnen Stahl, so Malmström am Mittwoch, könnten dadurch zusätzlich auf den europäischen Markt gelangen. Binnen einiger Wochen könnten diese, sich gegen alle Drittländer wendenden Zölle umgesetzt werden, falls es zu einem drastischen Anstieg der Einfuhren kommen sollte. Drittens sieht die WHO Ausgleichsmaßnahmen vor. Zu diesem Zweck hat die EU eine Liste von Produkten aufgestellt, um den finanziellen Schaden, der durch die US-Stahl und Aluminiumzölle entstehen könnte, auszugleichen. Ein Drittel der Summe soll durch Zölle auf Stahlprodukten zusammenkommen, ein Drittel auf anderen Industrieprodukten, wie den Harley-Davidson-Motorrädern und den Levi’s-Jeans und ein weiteres Drittel aus Zöllen auf landwirtschaftlichen Produkten wie Bourbon Whiskey, Orangensaft oder Moosbeeren.
Globale Überkapazitäten Rund drei Milliarden Euro sollen dadurch zusammenkommen, so Jean Asselborn am Montag. Zwar exportiert die europäische Stahlbranche nur etwa zwei Prozent ihrer Produktion von rund 160 Millionen Tonnen in die USA, aber die Frage ist, was passiert, wenn, wie Malmström schätzt, 50 Millionen Tonnen von außerhalb in die EU kommen. Vorraussichtlich würde das die Preise drücken, die sich gerade eben erholt haben. Denn in den vergangenen Jahren gab es, global gesehen, große Überkapazitäten. Die EU hat deswegen, wie auch andere Länder weltweit, Strafzölle auf verschiedenen Produkten aus China eingeführt, die Luxemburger Regierung und Arcelor-Mittal haben sich dafür stark eingesetzt. Mit einer Jahresproduktion von 800 Millionen Tonnen ist China der weltweit größte Stahlhersteller und produziert die Hälfte allen Stahls weltweit. Als in der Folge der Wirtschaftskrise die Nachfrage in China zurückging, stieg das Überangebot auf geschätzte 300 bis 400 Millionen Tonnen, wovon mehr und mehr in den Export gelangten. China, erklärt das Arcelor-Mittal-Verwaltungsratmitglied Michel Wurth, war dort, wo die europäische Stahlbranche in den 70-er Jahren war, also nicht restrukturiert, sondern ein Flickenteppich an kleinen, arbeitsintensiven Werken. Um die Mitarbeiter in Lohn und Brot zu halten, sei mit großen Verlusten produziert und exportiert worden. Doch angesichts des großen internationalen Drucks wurde innerhalb der OECD das Global forum for excess steel capacities aktiv. Multilaterale Verhandlungen begannen, es kam zu allerlei Stahlgipfeln und Meetings in Hamburg, Berlin und zuletzt in Paris. China versprach, Kapazitäten abzubauen, und hielt Wort.
Vergangenes Jahr, berichtet Wurth, sind die chinesischen Exporte um 30 Prozent gefallen, weil die Binnennachfrage gestiegen ist und die Ausfuhrmärkte durch Strafzölle auf den Dumpingstahl verschlossen waren. China habe aber auch innerhalb der vergangenen zwei Jahre 110 Millionen Tonnen Kapaziten abgebaut, wie Wurth erklärt. „Die sind offiziell weg“, dazu noch „Millionen Tonnen“ aus kleinen, technologisch überholten Werken, die aus ökologischen Gründen geschlossen wurden. In der Folge haben sich die weltweiten Stahlpreise erholt. „Letztes Jahr entstand daher ein gewisses Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem chinesischen Markt“, so Wurth, „und die Preise haben wieder Luft, so dass die Stahlproduzenten weltweit heute eine zufriedenstellende Ertragslage haben.“
Arcelor-Mittal an vorderster Front Das könnte sich durch Trumps Zölle, wenn er sie, wie angekündigt, umsetzt, wieder ändern. Wie das den weltweit größten Stahlkonzern Arcelor-Mittal treffen wird, ist schwer abzuschätzen. Die Luxemburger Werke exportieren im Schnitt rund zehn Prozent ihrer Jahresproduktion von 2,4 Millionen Tonnen in die USA. Grey-Träger aus Differdingen für Wolkenkratzer wie den Freedom Tower in New York und Riesenspundwände aus Belval für den Hafenbau. Das sind spezialisierte Nischenprodukte, die im Falle der Differdinger Grey-Träger sonst nirgends, auch nicht von der Konkurrenz, hergestellt werden, und deshalb rechtfertige sich laut Michel Wurth auch ihr Transport über mehrere tausend Kilometer. Ob sie also auch künftig in den USA gebraucht werden, Importzölle hin- oder her? Nicht unbedingt, denn 25 Prozent sei ein hoher Preisaufschlag, wie Wurth zu bedenken gibt. „Die Kunden könnten nach technologisch minderwertigen Ersatzlösungen suchen. Damit wäre die Logik der Marktwirtschaft gebrochen.“
Arcelor-Mittal selbst produziert in den USA, ist laut Steel Imports report des Handelsministeriums, mit einer Produktion von 15 Millionen Tonnen 2016 der zweitgrößte Stahlproduzent hinter Nucor Corporation und vor United States Steel Corp. Die US-Einheit könnte also von Trumps Strafzöllen profitieren, wenn in der Folge davon die Nachfrage nach US-Stahl steigt und die Preise dafür ebenfalls. John Brett, CEO von Arcelor-Mittal USA, sagte bei der Stahlanhörung im Rahmen der Section 232-Untersuchung am 24. Mai 2017 als Vierter aus. „Mr Secretary“, wandte er sich an Wilbur Ross, „our company has a long and rich history of supporting our nation’s defense capabilities. (…) Serving the needs of our nation’s military has been a long-time, multi-generational priority of Arcelor-Mittal and our predecessor companies (…). Today this tradition continues as Arcelor-Mittal USA supports our nation’s men and women in uniform by supplying steel for a variety of military applications at land and at sea. Providing steel to the US military, whether the Navy, Army, Marine Corps, Coast Guard or Air Force, is a tremendous source of pride for our company and our employees”, beschrieb Brett die Nähe zur Rüstungsindustrie dar, bevor er mit Arcelor-Mittal-Stahl gebaute Panzertypen und Kampffahrzeuge aufzählte, Beiträge von Arcelor-Mittal zur nationalen Sicherheit. „Mr Secretary, we welcome this investigation because we need solutions to the unfair import problems at the US border“, machte sich Brett für Strafzölle auf Dumpingstahl stark. Dass Arcelor-Mittal sich in Europa hinter das Vorgehen der EU-Kommission stellt und in den USA nicht offen gegen das Vorgehen der Regierung, ist für Wurth nur logisch. „Wir arbeiten an all unseren Produktionsstandorten in den jeweiligen Vereinigungen mit. Andernfalls wären wir in den jeweiligen lokalen Märkten nicht glaubwürdig.“
Würde Arcelor-Mittal nur in Luxemburg und in den USA produzieren, würden die von Trump angekündigten Zölle aufgrund der folgenden Preisanstiege in den USA für den Konzern zumindest kurzfristig zu besseren Finanzergebnissen führen. Doch Arcelor-Mittal ist auch der größte Stahlproduzent in Kanada, wo Dofasco Bleche für die amerikanische Automobilindustrie walzt. Von der brasilianischen Jahresproduktion von 30 Millionen Tonnen entfallen allein zehn Millionen Tonnen auf Arcelor-Mittal Brasilien, wie Jean Asselborn vor Kurzem bei der Eröffnung der Luxemburger Botschaft in Brasilia erfuhr. In Mexiko baut Arcelor-Mittal gerade ein neues Stahlwerk. Laut Steel Imports Report stammen 16 Prozent der US-Stahlimporte aus Kanada, 13 Prozent aus Brasilien und neun Prozent aus Mexiko. Billiger Stahl aus China, das für das globale Überangebot der vergangenen Jahre verantwortlich gemacht wird, wird aufgrund bereits geltender Anti-Dumping-Zölle kaum noch eingeführt. Sollte es für den Hauptlieferanten Kanada keine Ausnahmeregelung geben, meint Michel Wurth: „Dann ist unsere kanadische Einheit sicherlich negativ betroffen und in den USA muss man dann sehen, ob die Produkte, die bisher in Kanada hergestellt wurden, teilweise in den USA produziert werden können. So dass nicht klar ist, was der globale Effekt ist.“
In Mexiko produziert Arcelor-Mittal Halbzeug, das dann in die USA importiert wird, um dort zu Fertigprodukten für den US-Markt verarbeitet zu werden. Ein Warenfluss, der durch die geplanten US-Zölle unterbrochen werden könnte. Ob sich die Teilnahme am nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta für Mexiko und Kanada als Fluch oder als Segen entlarvt, bleibt abzuwarten. Denn im Verlauf der Tage unterstrich Donald Trump in seinen Twitter-Äußerungen zur Stahlbranche im besonderen und dem freien Handel insgesamt noch einmal, wie unzufrieden er mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen ist, und machte dessen Neuverhandlung zum Einsatz im Stahlstreit: „We have large trade deficits with Mexico and Canada. NAFTA, which is under renegotiation right now, has been a bad deal for U.S.A. Massive relocation of companies & jobs. Tariffs on Steel and Aluminum will only come off if new & fair NAFTA agreement is signed.”
Bis Redaktionsschluß hat Donald Trump seine Ankündigung nicht umgesetzt. In welcher Form, ob mit oder ohne Ausnahmen, Importzölle kommen, bleibt unklar. Jean Asselborn wollte am Montag einen letzten „optimistischen Hoffnungsschimmer“ nicht aufgeben, dass der US-Präsident einlenke. EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte aber am Mittwoch eine Sonderdiskussion der EU-Rats- und Regierungschefs bei ihrem kommenden Gipfel an.