D’Lëtzebuerger Land: Herr Schneider, ihr Amtsvorgänger Jeannot Krecké sagte mal entschuldigend, die Zeit, in der Wirtschaftsminister von Promotionsreisen zurückkehrten und die Ansiedlung neuer Unternehmen bekanntgeben konnten, die Hunderte von Arbeitsplätzen schaffen würden, sei vorbei. Nun konnten Sie in den vergangenen Jahren neue Industrieinvestitionen ankündigen und stehen deshalb eher in der Kritik, als dass Ihnen gratuliert wird. Hätten Sie gedacht, dass Joghurt ein dermaßen polarisierendes Material sein könnte?
Etienne Schneider: Nein, denn als ich das Mandat von Jeannot Krecké als Wirtschaftsminister übernahm, hatten wir Wachstumsraten von einem Prozent, und wir hätten alles dafür getan, mehr Wachstum zu schaffen. Zumal wir in der vorherigen Legislaturperiode die Staatsschuld verdreifachen mussten, weil durch das niedrige Wirtschaftswachstum nicht ausreichend Einnahmen generiert wurden, um die Ausgaben des Sozialstaates zu decken. Wir haben also alles versucht, um mehr Wachstum zu schaffen, um wieder wettbewerbsfähiger zu werden, und ich glaube sagen zu können, dass uns dies geglückt ist. Ich verstehe nicht, wie man ein derart kurzes Gedächtnis haben kann, um innerhalb von drei Jahren, in denen es besser geht, zum Schluss zu kommen: Eigentlich brauchen wir dieses ganze Wachstum nicht, es geht uns ohne besser. Das ist eine Verzerrung der Wirklichkeit.
Worauf führen Sie das denn zurück?
Ich denke, ich verstehe, was die Leute am Wachstum stört, nämlich hauptsächlich das Verkehrsaufkommen – das stört mich selbst. Aber man muss andere Lösungen finden, um das Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten. Diesen Prozess haben wir mit der Rifkin-Studie angestoßen und die enthält viel mehr, als die meisten Leute glauben, was auch daran liegt, dass nur wenige die Ergebnisse gelesen haben.
Bleiben wir erst einmal bei den konkreten Fällen Fage und Knauf. Ihnen, beziehungsweise ihrem Ministerium wird vorgeworfen, diese Unternehmen aktiv angeworben zu haben.
Das ist definitiv nicht der Fall. Diese Firmen haben uns aufgesucht, weil ihre Marktanalyse ergeben hat, dass Luxemburg ein idealer Standort für sie ist. Fage hat seinen Firmensitz schon länger in Luxemburg und hat in den vergangenen zwei Jahren über 60 Millionen Euro an Steuern gezahlt, ohne hier einen Becher Joghurt hergestellt zu haben. Wir haben aber als Regierung gesagt, wir wollen in Luxemburg keine Briefkastengesellschaften, sondern Substanz hierher bringen. Das war für die Firma ein gewichtiges Argument mehr – um ihren Firmensitz hier zu halten, bringt sie Substanz nach Luxemburg. Außerdem bietet Luxemburg ein attraktives Umfeld, um eine derartige Anlage zu bauen. Deshalb haben sie uns kontaktiert, nicht wir sind an sie herangetreten, um sie um den Bau einer Joghurtfabrik zu bitten. Wir haben nur generell gesagt, wir wollen keine Briefkastenfirmen, sondern Substanz.
Stellt sich die Frage der wirtschaftlichen Substanz auch im Fall Knauf?
Nicht dass ich wüsste. Herr Knauf selbst ist wohl teils davon beeinflusst, dass die erste Firma der Gruppe in Luxemburg ansässig war; die Familie stammt aus dem Saarland und es gab wohl schon länger den Wunsch, wieder hier aktiv zu werden, zumal der Standort attraktiv ist. Außerdem hat mir Herr Knauf erklärt, dass die Nachfrage nach Steinwolle durch die europäische Politik zur Gebäudeisolierung ständig steigt und das Unternehmen deshalb in Lieferengpässe gerät. Daher die Notwendigkeit, eine neue Produktionsanlage zu bauen, und in diesem Kontext hat die Firma Luxemburg als idealen Standort ausgewählt. Sie hat aber auch an anderer Stelle die Prozeduren zum Bau einer Anlage eingeleitet, da die Verantwortlichen merken, dass es hier Widerstand gibt.
Die Frage ist, ob Luxemburg ausreichend Fläche hat, damit Unternehmen wie Fage hier Substanz aufbauen können. Ihnen wird vorgeworfen, solchen Unternehmen Grundstücke in Industriegebieten zur Verfügung zu stellen, während einheimische, mittelständische Betriebe keinen Platz finden. Unter welchen Bedingungen erhalten Unternehmen wie Fage solche Grundstücke?
Zu den Kriterien, die wir analysieren, gehören die Investitionssumme, die Anzahl an Arbeitsplätzen, die geschaffen werden, und der Mehrwert, der sich für die Luxemburger Wirtschaft insgesamt ergibt. Wir reservieren diese Flächen dann unter der Bedingung, dass alle Prozeduren, Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Betriebsgenehmigung für klassifizierte Einrichtungen („Commodo“) und so weiter abgeschlossen werden. Sind alle Genehmigungen da, werden die Grundstücke verpachtet, indem die Unternehmen eine einmalige, auf den Hektar berechnete Prämie zahlen und danach einen jährliche Miete. Jeder wird von uns gleich behandelt und erhält Grundstücke, so wie sie verfügbar sind. Das Problem ist natürlich, dass der Sektorplan für die Gewerbegebiete immer noch nicht vorliegt, durch den rund 600 Hektar neue Flächen zur Niederlassung von Unternehmen ausgewiesen würden, die derzeit fehlen. Wir hatten in der letzten Zeit viel Erfolg, daher sind die Gewerbegebiete ziemlich ausgelastet und gibt es nur noch wenig freie Parzellen. Die, die uns verbleiben, haben wir vorgemerkt für kleinere und für größere Betriebe. Die Frage ist, ob wir die Grundstücke, die für große Unternehmen vorgesehen sind, zerstückeln, um dort KMU anzusiedeln oder nicht? Wir verfolgen da eine klare Strategie und das bedeutet, dass wir nicht immer allen Anträgen stattgeben können, aber jede Anfrage wird aufgrund der gleichen Kriterien bewertet.
Wenn mehr Flächen ausgewiesen werden, würde das heißen, dass noch mehr Unternehmen sich niederlassen können.
In der Regierungserklärung steht, was ich auch als Wirtschaftsminister immer gesagt habe: Luxemburg braucht Industrie. Wir können kein Mickey-Maus-Land sein, das nur einen Finanzplatz hat und Dienstleistungen anbietet. Wir brauchen die Industrie, auch um nach außen als vollwertiges Land anerkannt zu werden, daher bleibt es für mich wichtig, auch in Zukunft Industriebetriebe in Luxemburg anzusiedeln.
Die Vereinigung Mouvement écologique, die Ihren Koalitionspartnern Déi Gréng nahesteht, hat Ihnen vergangene Woche in einem Schreiben vorgeworfen, Projekte wie die von Fage, Knauf oder Google würden keinen Mehrwert für die Luxemburger Wirtschaft schaffen und seien nicht „Rifkin-konform“. Bereuen sie mittlerweile, Herrn Rifkin engagiert zu haben?
Nein, das tue ich nicht. Davon abgesehen, dass die beiden Unternehmen sich an uns gewandt haben, bevor die Rifkin-Strategie entstand, und daher unmöglich Rifkin-konform sein können, gibt es innerhalb der EU die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen. Wir können keiner Firma verbieten, sich hier niederzulassen, wenn alle Umweltauflagen erfüllt und alle Prozeduren abgeschlossen sind. Das wäre gegen europäisches Recht.
Ihr Kollege, Infrastrukturminister François Bausch (déi Gréng) meint, der Staat als Grundstückseigentümer könne ganz einfach die Grundstücke für solche Projekte verweigern.
Das könnten wir machen. Und dann? Kaufen die Firmen privaten Grundstückeigentümern Parzellen ab? Wir weisen doch Industrie- und Gewerbegebiete aus, um diese Aktivitäten dort zu konzentrieren und einen Wildwuchs zu verhindern, wo sich Firmen hier und da niederlassen. Das wollen wir doch nicht. Ich wiederhole: In der EU gilt die Niederlassungsfreiheit nicht nur für Personen, sondern auch für Firmen. Was wir machen können, ist den Standort Luxemburg insgesamt unattraktiver zu machen, damit sich weniger Firmen niederlassen wollen.
Da wären wir dann bei der Wachstumsdebatte angelangt. Wie würden Sie das denn machen?
Das könnte man machen, indem man die Steuern für die Unternehmen anhebt. Aber die CSV beispielsweise, die nun das Wachstum eindämmen will, hat unsere Steuerreform im Parlament nicht mitgetragen, unter anderem mit dem Argument, wir hätten nicht genug für die Unternehmen getan. Dann muss man sich entscheiden: Will man einerseits weniger Wachstum und weniger wettbewerbsfähig sein, kann man nicht andererseits die Steuern für Unternehmen attraktiver machen wollen. Über solche Instrumente regelt man die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum. Ober beispielsweise indem man die Infrastrukturen verkommen lässt. Man könnte die Fördermaßnahmen für Forschung und Entwicklung streichen. Aber wollen wir das? Und vor allem: Was wären die Folgen für alle bereits hier ansässigen Unternehmen? Die würden ja alle in Mitleidenschaft gezogen. Ich möchte ausdrücklich vor den Folgen für bestehende Firmen warnen, die solche Maßnahmen zur Begrenzung des Wachstums haben können. Das würde zu Betriebsschließungen führen und ich glaube nicht, dass das jemand will. Ich bin darüber hinaus davon überzeugt, dass keine Regierung solche Maßnahmen ergreifen würde, egal welche Parteien ihr angehören.
Stichwort Steuern – das Mouvement écologique meint im Dossier Google, da es auf EU-Ebene Pläne für einen anderen Besteuerungsmodus solcher Unternehmen gibt, würde sich ein Datenzentrum nicht bezahlt machen für die Staatskasse. Zusammengefasst: Das Projekt würde eine große Fläche beanspruchen, Energie und Wasser verbrauchen, aber keine Steuern zahlen, daher entstünde gar kein Mehrwert.
Ich bin ziemlich erstaunt über die Stellungnahme des Mouvement écologique. Man hat sehr lange nichts von ihnen gehört, aber nun sind wir in Wahlkampfzeiten, da muss man den grünen Kollegen wahrscheinlich helfen, ihr Profil zu schärfen. Wie kann man solche Behauptungen ohne jegliche Grundlage aufstellen? Wir haben noch nicht einmal ein Projekt von Google erhalten, wir wissen nicht, wie viele Quadratmeter sie bauen würden oder welche Aktivitäten die Firma hier ansiedeln möchte, wir wissen eigentlich nichts, außer dass Google selbst Grundstücke gekauft hat.
Die Regierung hat beim Grundstückskauf doch geholfen.
Wir haben geholfen, indem das Landwirtschaftsministerium beim Tausch von Grundstücken vermittelt hat. Das haben wir gemacht, weil wir davon überzeugt sind, dass Google ein wichtiges Projekt für Luxemburg sein wird. Der Staatsminister und ich haben die Initiative Digital Luxembourg gestartet, um die Branche der Informations- und Kommunikationstechnologien nach Luxemburg zu ziehen. Ein Anker wie Google würde unglaublich viel Aufmerksamkeit auf Luxemburg lenken. Die Aufmerksamkeit von Hightech-Firmen, die keinen Dreck machen und keine tausende Leute beschäftigen, die dann auf den Straßen unterwegs sind. Das ist übrigens auch ein Paradox: Im Fall Google wird mir vorgeworfen, es entstünden keine Arbeitsplätze. Bei anderen Projekten wird mir vorgeworfen, es entstünden welche und zusätzlicher Verkehr. In Belgien hat man analysiert, welche Folgen die Niederlassung von Google hatte, und kam zum Schluss, dass die Investitionssumme, die Google beigesteuert hat, durch andere Unternehmen verdreifacht wurde. Das ist doch der wichtige Punkt: Wir stehen hier vor der größten Einzelinvestition, die je in Luxemburg getätigt wurde, und das in einem Hightech-Sektor, also genau in der Richtung, in die wir das Land weiterentwickeln wollen. Da können wir doch nicht sagen: Das wollen wir nicht. Wir wären doch verrückt! Das Mouvement écologique behauptet, das Land wäre zu klein für solche großen Unternehmen – wo wäre das Land denn heute, wenn wir nicht große Unternehmen wie Goodyear oder Dupont hier angesiedelt hätten? Wo wären wir ohne Arcelor-Mittal? Es würde uns gar nicht geben. Dass man sich selbst so kleinmacht in dieser Debatte, das kann ich beim besten Willen nicht verstehen.
Sie sprechen Goodyear und Dupont an. Wenn man deren Investitionsprojekte betrachtet, fällt einem auf, dass das Verhältnis zwischen Investitionssumme und Arbeitsplätzen bei rund einer Million Euro pro Job liegt. Ist das die neue Norm?
Da sind wir genau beim Thema Industrie 4.0 und bei Rifkin. Als frischgebackener Minister war ich bei Goodyear in den USA zu Besuch und sie haben mir erklärt, die spezialisierte Lastwagenreifenproduktion in Luxemburg wäre nicht in Gefahr. Es war hingegen undenkbar in Luxemburg weitere Reifen herzustellen, weil die Arbeitskosten im Vergleich zu den Margen zu hoch waren. Außerdem galt der Markt als gesättigt, weil weniger neue Autos gekauft wurden. Daher, wurde mir erklärt, sei es günstiger, in Asien zu produzieren und die Reifen nach Europa zu verschiffen. Das war vor fünf Jahren. Jetzt baut Goodyear in Luxemburg die modernste Reifenproduktionsanlage, die sie weltweit haben, die erste dieser Art, die hunderttausende Reifen mit 70 Mitarbeitern produziert. Das ist die neue Realität. Was vor fünf Jahren noch aufgrund der hohen Lohnkosten unvorstellbar war, ist heute aufgrund der Digitalisierung und der Automatisierung möglich: Dass Produktionen, die nach Asien ausgelagert wurden, nach Europa zurückkehren. Das ist genau das, was Herrn Rifkins Thesen besagen. Die Frage wird also in Zukunft nicht mehr sein: Wie schaffen wir Wachstum, denn Wachstum werden wir haben. Die Frage wird lauten: Wie schaffen wir Arbeitsplätze, für die Leute, die durch Roboter ersetzt werden. Die Diskussion, die jetzt noch verschiedene Leute führen, darüber, dass Wachstum immer nur über zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wird, die von Grenzpendlern besetzt werden, diese Diskussion ist dabei, sich völlig zu verändern. In zehn Jahren werden wir feststellen, dass wir Wachstum haben, aber uns fragen, wie wir die Leute beschäftigen.
François Bausch hat im Kontext von Fage gemeint, er habe ja nichts gegen Grenzpendler, aber wenn man tausende Arbeitsplätze schaffe, nur damit sie von Grenzpendlern besetzt würden, würde das auch nichts bringen. Sind Sie mit dieser Aussage einverstanden?
Falls François Bausch das denn wirklich so gesagt und gemeint haben sollte, dann bin ich überhaupt nicht mit ihm einverstanden! Erstens, weil Fage seit Herbst 2016 mit den Umweltbehörden in Kontakt ist, denen das Projekt also seither bekannt ist. Man muss sich also fragen, ob der plötzliche Aufruhr nicht doch anderen Umständen geschuldet ist, als allein dem Wasserverbrauch. Zumal das Mouvement écologique im Vergleich verhältnismäßig still im Bezug auf den geplanten Autobahnausbau ist. Das, obwohl er von einem Minister der Partei bewerkstelligt wird, die sich immer vehement gegen den Ausbau des Straßennetzes gewehrt hat. Zweitens sind Arbeitsminister Nicolas Schmit zusammen mit der Adem und ich in Kontakt mit den Unternehmen, die sich niederlassen, um gebietsansässige Arbeitslose auszubilden und einzustellen. Es gibt Sonderabkommen zur Ausbildung von Mitarbeitern, während die Fabriken gebaut werden, ob darin Joghurt oder Steinwolle hergestellt wird, und die sind verbindlich. Wir sind doch nicht dumm! Wir versuchen doch auch an erster Stelle, Jobs für Gebietsansässige zu schaffen. Letztlich können wir nicht ständig die Grenzpendler verdammen und ihnen die Schuld für jedes Problem geben, das wir in Luxemburg haben. Wenn es ein Problem gibt, dann dass die Landesplanung der Vorgängerregierungen nicht aktiv genug war und nicht genug investiert wurde, zum Beispiel in den öffentlichen Transport, ein Umstand, den die aktuelle Regierung mit Minister Bausch seit nunmehr vier Jahren versucht zu ändern. Ich verweise da wieder auf die Rifkin-Studie und die Schlussfolgerungen im Bezug auf die Telearbeit. Wenn alle Beschäftigten in Luxemburg, nicht nur die Grenzpendler, in Zukunft im Schnitt einen Tag in der Woche zuhause arbeiten könnten, würden wir nicht nur das Verkehrsaufkommen auf den Straßen auf einen Schlag um 20 Prozent senken, sondern auch die Lebensqualität der Beschäftigten verbessern.
Wie würden Sie das denn mit den europäischen Entsenderichtlinien vereinbaren?
Es ist hautsächlich ein Problem der Steuern, die im Heimatland gezahlt werden müssten, wenn die Grenzpendler von zu Hause arbeiten würden. Mit zwei unserer Nachbarländer haben wir bereits Abkommen abgeschlossen, um dieses Problem zu regeln, wenn die Beschäftigten während 20 Tagen im Jahr Telearbeit leisten. Wir müssten Abkommen verhandeln, um einen Verteilungsschlüssel für Steuern und Sozialabgaben nach 20 Tagen zu finden, um diese Einnahmen mit den Nachbarregionen zu teilen. Dann würden die Arbeitnehmer seltener im Stau stehen. Und diese Einnahmen zu teilen, wäre für Luxemburg wesentlich günstiger als zusätzliche Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur.
Sie sagten, die Frage sei, wie man in zehn Jahren trotz Wachstum Arbeitsplätze schaffe. Welche Möglichkeiten sehen Sie denn?
Der Arbeitsmarkt wird sich meiner Meinung nach besonders in zwei Richtungen entwickeln. Der eine Bereich ist die Hightech-Branche, darauf muss sich das Bildungswesen einstellen. Der andere Bereich, in dem es massiven Personalbedarf geben wird, ist der Pflege- und Gesundheitsbereich, da die Bevölkerung altert. Ältere und kranke Menschen pflegt man nicht mit Robotern.
Wenn die Vollautomatisierung die Rückverlagerung der Industrieproduktion von Asien nach Europa möglich macht, wie Sie das am Beispiel Goodyear beschrieben haben, bedeutet das ja, dass die Kapitalintensität steigt und deshalb die Lohnkosten als Standortfaktor weniger ins Gewicht fallen. Sie gehören zu denen, die eine Mindestlohnerhöhung befürworten.
Die Arbeitgeber streichen immer hervor, die Produktivität steige nicht schnell genug. Dabei vergessen sie aber meistens zu sagen, dass die Produktivität in Luxemburg auf sehr hohem Niveau ist und dass wir mit Produktivitätszugewinnen von bis zu einem Prozent jährlich die höchsten Zugewinne in der OSZE haben. Aber davon abgesehen: Wenn man bei Wirtschaftswachstumsraten von fünf Prozent nicht von den Arbeitgebern verlangen kann, dass sie etwas beim Mindestlohn unternehmen, dann verstehe ich die wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht mehr. Dabei bin auch ich Volkswirt und glaube zu erkennen, was man den Unternehmen zumuten kann und was nicht. Zumal wir gesagt haben, die Mindestlohnerhöhung um netto 100 Euro, die wir für den 1. Januar 2019 fordern, könnte teils über eine Steuerbefreiung bewerkstelligt werden, wodurch die Last nur zur Hälfte von den Arbeitgebern getragen werden müsste. Dem Mindestlohnbezieher ist es im Endeffekt doch egal, wo die 100 Euro zusätzliche Kaufkraft netto herkommen. Nun gibt es jene, die meinen, eine solche Mindestlohnerhöhung komme vor allem Nichtwählern zu Gute und sei daher wahltaktisch ungünstig. Ich halte sie dennoch wichtig für den sozialen Zusammenhalt im Land. Die aktuelle Regierung hat versucht, das Land makroökonomisch in die Balance zu bringen. Das ist uns gelungen. Daher muss es aber Aufgabe der nächsten Regierung sein, dafür zu sorgen, dass die Schere zwischen Arm und Reich wieder zusammengeht, die während der Krisenjahre weiter aufgegangen ist, und das leider überall in Europa.