Als Herr A. zur Welt kam, wurde er jugoslawischer Staatsbürger. Einen Balkankrieg später lebt er mit seiner Familie in Luxemburg und bekommt sogar Kindergeld. Nur eine Aufenthaltsgenehmigung hat er nicht. Bis zum 13. Juli hat er nun Zeit, in einem provisorischen Büro in der Industriezone Cloche d'Or einen Antrag zu stellen, um seine Papiere in Ordnung zu bringen. Denn er erfüllt die am 9. Mai vorgestellten Regierungskriterien für eine einmalige "Regularisierung". Er kennt die Kriterien irgendwie vom Hörensagen, und, so gebrochen wie er deutsch redet, scheint er sie zum Teil zu verstehen. Die selbst vielen Luxemburgern fremden Verwaltungsprozeduren müssen ihm wie ein Buch mit sieben Siegeln vorkommen.
Im Augenblick rennt er gegen die Zeit, um einen gültigen Pass zu bekommen. Ohne sich darüber zu beschweren, dass es wie der Gipfel der Perversion erscheint, von "sans-papiers" als erstes gültige Papiere zu verlangen. Bei ähnlichen Regularisierungsaktionen in anderen Staaten werden auch abgelaufene Pässe und andere Ausweispapiere akzeptiert. Nicht so in Luxemburg.
Insbesondere Flüchtlinge aus Kriegsgebieten oder zerfallenen Staaten, wie Herr A., haben oft keine gültigen Pässe mehr, und in vielen Fällen ist nicht sicher, ob sie bis zum Stichdatum vom 13. Juli neue Pässe beschaffen können. Denn die Mühlen der Konsulate, ausländischen Botschaften und Auswanderungsländer mahlen langsam. Antragsteller aus Bosnien-Herzegowina und verschiedenen afrikanischem, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten müssen damit rechnen, dass sie länger als zwei Monate auf ihre Pässe warten. Dann ist die einmalige Frist verstrichen.
Herr A. hat besonderes Pech. Angesichts der Zahl der Anträge wollen einzelne Konsularstellen nur die Gesuche jener Asylsuchenden bearbeiten, die eine Einladung der zuständigen Luxemburger Ministerien erhalten haben, eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Herr A. erfüllt zwar die Kriterien für eine Aufenthaltsgenehmigung, aber er war, trotz seiner blauen Mappe voller Papiere, nicht in der Kartei der Luxemburger Ministerien - wie zwangsläufig viele "Illegale".
Doch selbst die Interessenten mit einem Zettel der Regierung sind oft kaum besser dran als Herr A. Denn die zuständige Konsularstelle berechnet für einen jugoslawischen Pass rund
8 000 Franken Gebühren und Unkosten. Ein erwachsener Asylsuchender erhält eine staatliche Hilfe von monatlich 10 500 Franken. Für eine Familie mit Kindern können also alleine die Pässe 30 000 Franken und mehr kosten.
Allen Anträgen auf Regularisierung müssen neben den gültigen Pässen auch zwei beglaubigte Kopien der Pässe beigelegt werden. Dafür müssen die Antragsteller zu ihrer Gemeinde gehen, erneut Schlange stehen und Gebühren zahlen. "Weshalb sind nicht einfach die Beamten in dem Annahmebüro auf Cloche d'Or befugt, Fotokopien zu beglaubigen?", fragt die Asti.
Die Stadt Luxemburg, die in Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerkreisen seit langem dafür bekannt ist, besonders schikanös zu sein, verweigert neuerdings die Ausstellung der beglaubigten Kopien. Sie schickt die Leute, die sich für illegal halten und ständig in Angst vor der Polizei leben, aufs Polizeikommissariat. Wo manche schon prompt die wertvollen Pässe nicht kopiert, sondern beschlagnahmt bekamen. Offensichtlich informierte das Innenministerium die Kommissariate nicht angemessen über die laufende Regularisierungsprozedur. "Wir haben bisher 400 bis 500 Antragsteller gesehen, und die meisten haben Schwierigkeiten wegen ihrer Pässe", heißt es bei der Asti. Die Association de soutien aux travailleurs immigrés betont, dass die Regierung gewarnt worden war und sich kulanter zeigen müsse. Sie bedauert auch, dass die Regierung kaum Anstrengungen unternommen hat, um den Leuten in dem ganzen Papierkrieg beizustehen, sondern private Vereinigungen behilflich sein müssen. Eine Politik, die an die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts erinnert, als die Prozedur eher darauf angelegt schien, die Interessenten abzuschrecken, als sie zu ermutigen.
Zu hart findet die Asti es auch, dass Leute, die sich als letzten Ausweg einen gefälschten Pass kauften, von vornherein von jeder Regularisierungschance ausgeschlossen bleiben. Sie weiß beispielsweise von Kapverdianern, die für viel Geld einen gefälschten portugiesischen Pass kauften, um als angebliche EU-Bürger im Land bleiben zu können und inzwischen eine perfekt angepasste Existenz mit Familie, Arbeitsplatz und Eigenheim führen. Sie von vornherein auszuschließen, sei bedenklich, weil bisher noch niemand wegen gefälschter Papiere rechtskräftig verurteilt worden sei. "Oder gilt die Unschuldsvermutung nur für Generaldirektoren von Clearstream?", fragt Serge Kollwelter.
Ein anderes Problem besteht für all jene, die nachweisen müssen, dass sie sich durch jahrelange Schwarzarbeit perfekt integrierten. Sie müssen belegen, dass sie seit dem 1. Januar 2000 regelmäßig arbeiteten und entlohnt wurden. Denn längst nicht alle zur Schwarzarbeit Gezwungenen haben das Glück, bei der Sozialversicherung angemeldet zu sein. Und Schwarzarbeiter erhalten in der Regel weder einen Arbeitsvertrag noch einen Lohnzettel.
Selbst die gutwilligen Arbeitgeber zögern aber, das illegale Beschäftigungsverhältnis zu bezeugen. Sie fürchten, dass sie nachträglich die Rechnung dafür vorlegt bekommen, dass sie Leute schwarz beschäftigten und weder den Mindestlohn noch Sozialversicherung oder Steuern zahlten. Diese Angst ist um so größer, als es keinen rechtskräftigen Text mit den Spielregeln der Regularisierung gibt.
Für Frauen sind diese Bedingungen besonders schwer zu erfüllen. Denn sie arbeiten oft stundenweise in verschiedenen Privathaushalten und müssen dann gleich vier oder fünf mutige Arbeitgeber finden, die ihnen bescheinigen, dass sie insgesamt mindestens 37 452 Franken monatlich schwarz verdienten.
Auf diese Weise laufen jedoch viele Leute, die seit Jahren hierzulande leben und arbeiten, Gefahr, ausgewiesen zu werden, bloß weil sie keine Belege für ihre Arbeit aufbringen können.
Eine andere Schwierigkeit ist, dass Eltern von Kindern mit einem Luxemburger Ausweis zwar regularisiert werden können. Aber andererseits bekommen Kinder von Müttern ohne Aufenthaltserlaubnis keinen Luxemburger Ausweis, wenn ihr Luxemburger Vater nicht im Haushalt lebt.
Alles in allem schien der Regierung ziemlich mulmig zu Mute gewesen zu sein, als sie eine einmalige Regularisierung eines Teils der abgewiesenen Asylsuchenden und illegal Eingewanderten beschloss. Weshalb sie auch nicht zugeben wollte, dass es einfach eine soziale, wirtschaftliche und politische Notwendigkeit ist, Tausende von Menschen, die hierzulande leben, nicht länger als Unpersonen zu ignorieren. Doch statt diesen Leuten Rechte zu schaffen, will sie ihnen lediglich eine Gnade gewähren. Auch wenn die CSV-Justizminister immerhin 15 Jahre brauchten - so lange fordert der OGB-L eine solche Maßnahme -, um gemäß dem Matthäus-Evangelium (18,21-35) Gnade vor Recht walten zu lassen.
Doch Gnade vor Recht heißt auch Gnade statt Recht. Die Regierung beschloss, die Regularisierung zu einem Verwaltungsakt zu machen. Auf diese Weise verzichtete sie auf jeden Gesetzes- oder Reglementstext, der die Prozedur und Kriterien festlegt. Dadurch konnten weder Berufskammern, noch Staatsrat oder Con-seil national des étrangers Gutachten abgeben. Aber vor allem fehlt den Antragstellern jede schriftliche Grundlage, auf die sie sich berufen können. So erinnert der Gnadenakt in seiner unverschriftlichen und damit auch unüberprüfbaren Form eher an Zeiten absolutistischer Willkür als an rechtsstaatliche Prinzipien.
Die Anträge, von denen in Wirklichkeit jeder anders und Zeugnis unterschiedlicher individueller Schicksale ist, werden von einem Komitee von Beamten aus Arbeits-, Justiz- und Familienministerium entschieden nach Kriterien, die bestenfalls sie selber kennen und deren Details sie teilweise während der Überprüfung erfinden müssen. Weil es keine schriftlich fixierten Kriterien gibt, bekommen die Antragsteller auch keine Kriterien genannt, wenn ihre Anträge abgelehnt werden. Ein abschlägiger Bescheid kann sich nur auf das Ausländergesetz von 1972 und dessen Gummiparagraphen, wie die Bedürfnisse der öffentlichen Sicherheit oder des Arbeitsmarkts, berufen. Das Einspruchsrecht der Antragsteller gegen den Verwaltungsentscheid, auch ein rechtsstaatliches Prinzip, ist also stark eingeschränkt.
Andererseits erlaubt das der Regierung, im Laufe der Prozedur je nach Zahl der Antragsteller den Hahn mit den Aufenthaltsgenehmigungen auf- oder zuzudrehen. So laufen bei den Asylsuchenden Tausende Gefahr, ausgeschlossen zu bleiben. Weil nur Asylsuchende eine Aufenthaltserlaubnis bekommen sollen, die vor dem 1. Juli 1998 einen Antrag stellten, beziehungsweise vor dem 1. Januar 2000, wenn sie "einer ethnischen Minderheit des Kosovos angehören", wie es während der Pressekonferenz vom 9. Mai hieß. Das heißt, ein Rechtsstaat tut genau dasselbe, was er den einzelnen jugoslawischen Kriegsfraktionen vorwarf und unternimmt eine "ethnische" Auslese unter den Antragsstellern.
So gibt es dann aus der Sicht der Regierung gute und schlechte, künftige legale und illegale Rassen von Kriegsflüchtlingen. Schlechte sollen beispielsweise Albaner aus Nord-Mitrovica oder Serben aus Pristina sein. Auch Montenegriner und Kosovo-Albaner sind schlechte, wenn sie nach dem 1. Juli 1998 um Asyl ersuchten. So als diente die Regularisierungsprozedur nicht zuletzt dazu, aus dem Marienland die islamischen Einwohner des Sandschak zu entfernen.
Das bedeutet, dass nach Abschluss der Prozedur rund 3 000 Asyl suchende Männer, Frauen und Kinder abgeschoben werden sollen, weil sie der Regierung "ethnisch" nichts ins Konzept passen. Hinzu soll noch eine unbekannte Zahl ohne Aufenthaltsgenehmigung im Land Lebender und Arbeitender kommen. Das Parlament gab bereits mit seiner Entschließung über die Regularisierung vor zwei Monaten grünes Licht für die Abschiebungen.
Jene, die nicht ausgewiesen werden sollen, müssen nach dem Wettlauf um gültige Papiere bis zum 15. Januar ihren Integrationswillen durch Arbeit unter Beweis stellen. Das ist dann der Wettlauf um einen Arbeitsplatz - Fortsetzung folgt.