Könnte das neue Südspidol in Esch/Alzette für die Patienten teurer werden als jedes andere Spital im Land? Und könnte das neue CHL Centre zumindest teurer werden als das CHL heute?
Wer schon mal in einem Krankenhaus lag, weiß: Belegt man auf eigenen Wunsch ein Einbettzimmer, erhebt das Spital einen Aufpreis. Will man obendrein als „Erste-Klasse-Patient“ gelten, schreibt jeder Arzt um 66 Prozent erhöhte Honorare auf die Rechnung. Wohlgemerkt: Einfach so geschieht all das nicht, der Patient muss es gewünscht haben. Doch in den nächsten fünf Jahren erfährt die Krankenhauslandschaft einen Modernisierungsschub, wie es ihn zuletzt um die Jahrtausendwende gab, als zwischen 2000 und 2003 auf dem Kirchberg und in Ettelbrück ganz neue Spitäler entstanden. Nächstes Jahren sollen wieder zwei Großbaustellen in Angriff genommen werden: an der Route d’Arlon in Luxemburg-Stadt für ein neues CHL Centre und im Nordwesten von Esch/Alzette für das Südspidol. Das CHL Centre soll 2023 fertig sein und 60 Prozent Einbettzimmer erhalten. Das Südspidol soll schon ein Jahr vorher in Betrieb gehen und die Pläne des Centre hospitalier Emile Mayrisch (Chem) sehen für den Neubau ausschließlich Einbettzimmer vor. Da fragt sich schon, ob die Aufpreise und Zuschläge demnächst immer mehr zur Regel werden. Vor allem im Süden.
Das werde „natürlich nicht so sein“, betont der Sprecher von LSAP-Sozialminister Romain Schneider. Doch die vom Land schriftlich eingereichten Fragen, wie das verhindert werden soll, hatte das Ministe-rium bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels nicht beantwortet. Auch das Gesundheitsministerium antwortete bis dahin nicht auf Fragen.
Im CHL komme es eher vor, dass „Patienten sich beschweren, weil kein Einbettzimmer für sie frei ist“, sagt dessen Generaldirektor Romain Nati. „Dann sagen sie, da hab’ ich jahrelang in die Caisse médico eingezahlt, und wenn ich daraus Nutzen ziehen will, geht das nicht.“ Und selbst wenn das CHL in fünf Jahren über deutlich mehr Einbettzimmer verfügen wird als heute, „werden wir nicht in allen Zuschläge erheben können“. Die Unterbringung im Einzelzimmer könne auch „medizinisch angezeigt“ sein, und manchmal müsse ein Patient isoliert werden. „In all diesen Fällen erheben wir keinen Zuschlag“, so Nati, „und will ein Patient in einem Zweibettzimmer untergebracht werden, aber nur ein Einbettzimmer ist frei, ebenfalls nicht.“ Man könne ja niemanden zwingen, einen Zusatzkomfort anzunehmen und dafür zu zahlen.
Was Romain Nati schildert, entspricht dem, was die CNS und der Krankenhausverband FHL 2013 in einer Konvention vereinbart haben. Darin steht aber auch, abgesehen von den Fällen, in denen die Einweisung in ein Einbettzimmer medizinisch angezeigt ist, könne ein Spital einen Zuschlag berechnen, sofern ein Einbettzimmer über ein Waschbecken verfügt, über eine Toilette, die noch mit einem anderen Zimmer geteilt sein darf, über eine elektronische Rufanlage und über eine Fläche von mindestens elf Quadratmetern ohne die für Toilette und Bad. Weit reichen diese Anforderungen nicht. Wird demnach im Südspidol jedes Zimmer für einen Aufpreis in Frage kommen?
„Weil der Patient nicht die Wahl haben wird zwischen Einbett- und Zweibettzimmer, werden wir im Südspidol keinen Aufpreis auf die Unterbringung im Einbettzimmer nehmen“, erklärt Chem-Generaldirektor Michel Nathan. Stattdessen sei vorgesehen, in dem neuen Krankenhaus „andere frei wählbare Leistungen“ anzubieten, „die der Patient sich à la carte wird aussuchen können“. Der Chem-Direktor präzisiert noch, das Prinzip „hundert Prozent Einbettzimmer“ werde nur für die 402 Betten im Akutbereich gelten, die das Südspidol erhalten soll. Die 192 Betten für Geriatrie, Rehabilitation und Psychiatrie würden je zur Hälfte in Ein- und in Zweibettzimmern eingerichtet.
Um den Zuschlag nicht auf den Zimmertyp, sondern auf andere Extras zu erheben, muss eine Vereinbarung mit der CNS getroffen werden. Der Krankenhausverband sei dabei, darüber mit der Kasse zu reden, deutet FHL-Generalsekretär Marc Hastert an, „noch ist aber nichts ausformuliert“. Auf jeglichen Zuschlag auf den Unterbringungspreis ganz einfach verzichten kann ein Krankenhaus natürlich auch. Die Einnahmen daraus aber gehören zu den wenigen, die nicht von der CNS abhängen und die frei kalkuliert werden dürfen. Publik machen die Spitäler die Aufpreise nicht. Nur kurz verlautete im November letzten Jahres, in den zehn 40 Quadratmeter großen Zimmern der „Pre-
mière classe supérieure“ in der Bohler-Klinik würden 250 Euro pro Nacht genommen, in den anderen Einbettzimmern der Klinik 92,50 Euro. Der Tagessatz, den jeder Patient für einen Klinikaufenthalt zuzahlt, liegt zurzeit bei indexgebundenen 21,45 Euro.
Wann ein Krankenhaus auf Einbettzimmer einen Aufpreis erhebt und wann nicht und auf welche Ex-tras das in fünf Jahren im Südspidol geschehen könnte, ist allerdings der einfachere Teil des Problems. Schwieriger ist, dass die Krankenhausversorgung in Luxemburg strikt getrennt ist in die Leistungen, die das Spital erbringt, und in die, die der Arzt erbringt. Wozu das führen kann, wenn da Zuschläge erhoben werden sollen, schrieb 2010 der damalige Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) in den Motivenbericht zu seiner Gesundheitsreform. Es gebe „difficultés d’interprétation, comme par exemple si chaque chambre à un lit peut être considerée comme première classe ou si un seul patient acceuilli en chambre double peut être consideré comme patient en première classe“.
Verglichen mit den Einbettzimmer-Aufpreisen, die ein Spital erheben kann, ist der 66-Prozent-Zuschlag auf der Arztrechnung für „Erste-Klasse-Patienten“ die politisch viel delikatere Angelegenheit. Wenngleich der Patient sich die „Erste Klasse“ genauso gewünscht haben muss wie ein Einbettzimmer, gilt der Aufenthalt im Einbettzimmer als eine Voraussetzung für „Erste Klasse“. Wer in einem Einbettzimmer liegt, und das nicht aus medzinisch angezeigten Gründen, signalisiert gewissermaßen, sich ein Extra zu gönnen und eine „Erste Klasse“ durch den Arzt.
Dazu trägt auch bei, dass die Kostenübernahme für Einbettzimmer-Aufpreise und Erste-Klasse-Zuschläge durch die Caisse médico-complémentaire mutua-liste, die CMCM, geradezu als Volksversicherung gilt. Schätzungen zufolge haben allerdings nur rund 52 Prozent der Bevölkerung eine Zusatzversicherung, sei es bei der Mutualität Caisse médico oder sei es bei einem Privatversicherer.
Lydia Mutsch schwante vor zwei Jahren schon, dass über die anstehenden Klinikneubauten der Erste-Klasse-Zuschlag immer mehr „zur Regel werden“ könnte – was, wie sie fand, „aber nicht sein darf“. Was auch deshalb einleuchtet, weil Lydia Mutsch als Escher Bürgermeisterin Präsidentin des Chem-Verwaltungsrats war. Würden ausgerechnet im Südspidol die 66 Prozent besonders häufig, fiele das womöglich eines Tages auch auf sie zurück. Dabei begannen die Planungen für das Südspidol schon 2010, zur Zeit der Gesundheitsreform, und damals hieß es, der 66-Prozent-Zuschlag auf die „Erste Klasse“ werde „abgeschafft“. Was aber nicht geschah. Im Juni 2015 teilte Lydia Mutsch RTL Radio mit, CNS und AMMD seien dabei, „über die Abschaffung des Zuschlags zu verhandeln“.
Doch das entsprach mehr Wunschdenken als der Realität: Schon Mitte Dezember 2014 waren Verhandlungen zwischen Kasse und Ärzteverband über eine neue Konvention ergebnislos zu Ende gegangen. Der Richter Georges Ravarani erklärte sie als offiziell bestellter Vermittler für „gescheitert“. Dabei ging es auch um den 66-Prozent-Zuschlag. Anschließend hätte der Sozialminister mit einer großherzoglichen Verordnung festlegen können, wie Arztleistumgen jeglicher Art zu entgelten wären. Doch Romain Schneider zog es vor zu erklären, er sehe noch „Verhandlungsspielraum“, und es änderte sich nichts.
Dabei hat die Regierung sich im Koalitionsprogramm vorgenommen, den 66-Prozent-Zuschlag „nach und nach abzuschaffen“ – wie schon ihre Vorgängerin das wollte. Grundsätzlich scheinen alle großen Parteien für die Abschaffung zu sein, wissen aber nicht, wie. Die „Konsultationen mit der Ärzteschaft“, für die vorige wie für die aktuelle Regierung eine Voraussetzung für die Abschaffung der 66 Prozent, wurden lieber der CNS überlassen. Die sah sich, als sie das ab 2012 versuchte, einem Katz-und-Maus-Spiel des Ärzteverbands ausgesetzt: Damit es beim Status Quo bliebe, forderte die AMMD kühn, festzuschreiben, der Zuschlag solle nicht im „Erste-Klasse-Zimmer“, sondern im „Einbettzimmer“ berechnet werden können, von 66 auf 187,5 Prozent angehoben und auch auf die ambulante Chirurgie ausgedehnt werden. Nicht mal kleine Änderungen konnte die CNS erreichen. In der Praxis darf der Zuschlag auch berechnet werden, wenn ein Patient auf die Intensivstation verlegt werden muss und sein Erste-Klasse-Zimmer in der Zeit nicht in Anspruch nimmt. Und falls man zuerst in einem Zweibettzimmer lag und später in ein Einbettzimmer mit „Erster Klasse“ wechselte, kann der Zuschlag rückwirkend erhoben werden.
„Wir sind nicht bereit, über eine Abschaffung der Ersten Klasse zu reden“, sagt AMMD-Präsident Alain Schmit dem Land. „Früher“ seien diese Tarife „Normaltarife gewesen“, heute sichere der Zuschlag dem Patienten eine „besonders personalisierte Betreuung durch den Arzt, den er gewählt hat“. Dass die Patientevertriedung behauptet, sie bekomme „oft“ zu hören, auch Erste-Klasse-Patienten habe „irgendein Arzt aufgesucht, der Moien sagte, nicht viel tat, aber 66 Prozent mehr auf die Rechnung schrieb“, hält Alain Schmit für „nicht objektiv“: Die ASBL erfahre nur, wenn Patienten unzufrieden sind. „Die meisten aber sind zufrieden.“ Mehr Einbettzimmer zu schaffen, sei übrigens keine Idee der AMMD gewesen. „Das wollten die Spitäler. Führt das zu Problemen, kann man nicht uns dafür verantwortlich machen.“
Dass die aktuelle Regierung aus all dem weitreichende politische Schlüsse zieht, ist sehr unwahrscheinlich. Nicht nur, weil weder Romain Schneider noch Lydia Mutsch vor den Wahlen Lust auf Krieg mit der AMMD haben dürfte. Was der Ärzteverband als einen acquis verteidigt, ist ein tatsächlich schon ein gutes halbes Jahrhundert altes Zugeständnis an die Ärzte, im öffentlichen System ein wenig Privatmedizin betreiben zu dürfen, ohne das so nennen zu müssen. Schwer abzuschaffen ist der Zuschlag auch, weil die Kostenübernahme per CMCM zwar keine Volksversicherung ist, aber weit verbreitet, und sie ebenfalls für Zuschläge aufkommt, die in Spitälern im Ausland erhoben werden und noch viel höher sein können als 66 Prozent. Kann ja sein, ein Luxemburger braucht eines Tages eine Klinik, mit der die CMCM einen Vertrag hat.
Doch wenn mit Klinikneubauten immer mehr Einbettzimmer entstehen, wird die Frage nicht verschwinden, welche Gegenleistung man für Zuschläge bekommt. Genau genommen, steckt hinter ihr die, wie solidarisch die Gesundheitsversorgung beschaffen sein soll, wie viel Staat und wie viel Markt man in ihr will und inwiefern es angeht, Patienten „Erster Klasse“ und „Zweiter Klasse“ hinzunehmen. Die nächste Regierung wird auf sie gestoßen werden, wenn die beiden Spitäler mit den vielen neuen Einbettzimmern im Bau sind.