Fotografie

Straßenbebilderung

Sascha Weidners unbeschwerte Fotografien junger Leute in der Natur
Foto: Boris Loder
d'Lëtzebuerger Land vom 25.08.2017

Fotografie in Clervaux? Denken die meisten an die Family of Man, so gibt es außerhalb des Schlosses eine Vielzahl zeitgenössischer Fotografien zu entdecken. Der 2009 gegründete gemeinnützige Verein Cité de l’image versucht einen Konterpunkt zur historischen Ausstellung im Schloss zu setzen, der sich der Vermittlung fotografischer Arbeit im öffentlichen Raum verschreibt. Betreut durch die künstlerische Leiterin Annick Meyer und die Pressesprecherin Justine Blau zeigt der Verein das ganze Jahr über an sieben Orten um das Schloss auf wetterresistenten Drucken die Arbeiten internationaler Fotografen. Daneben bietet Cité de l’image eine Künstlerresidenz an, im Zuge derer Yvon Lambert, Christof Weber oder aktuell Andrés Lejona die Region dokumentieren.

Unter dem Titel Contes d’images ist die aktuelle Saison der narrativen Dimension der Fotografie gewidmet. Zu Beginn des Rundgangs im Garten des Bra’haus sind auf gläsernen Trägern beidseitig die traumartig inszenierten Bilder der Fotografin Corinne Mercadier angebracht. Die körnigen, verschwommenen Fotografien, gescannte Polaroidaufnahmen, zeigen Menschen in Kleidern, die die Künstlerin selbst angefertigt hat. Ihr atmosphärisches Werk ist kein Abbild der Realität, sondern ein inszenierter Verweis auf Vergänglichkeit. Ort und Inhalt interagieren: Die gezeigten Personen sind in die Natur eingebettet und die Drucke fügen sich gleichsam in den Garten.

Der Fiktion Mercardiers steht im Schlossgarten mit Tamas Dezsos Notes for an epilogue eine Reportage märchenhaft anmutender Folklore gegenüber. Ein Junge im Bärenfell, Teppichverkäufer in Tracht, eine karge Zauberlandschaft, die ein von Kupferminen verseuchtes und überschwemmtes Dorf zeigt – Deszo hält das bedrohte traditionelle Landleben Rumäniens sehr ansprechend im Spannungsfeld aus Poesie und Realismus fest.

Auf andere Weise dokumentarisch sind die Fotografien, die entlang des Gartens gegenüber dem Bra’haus an holzkistenartige Stützen montiert sind. Die Bilder stammen aus dem Metzer Conservatoire C’était où ? C’était quand ?, das sich als Archiv für Familienalben versteht und aus Einsendungen privater Fotografien besteht. So sind in bunter Zusammenstellung Hauskatzen, Winterspaziergänge und Urlaubsorte aus vergangenen Jahrzehnten zu sehen. Auch hier findet ein Wechselspiel mit dem Ort statt: Auf einem Bild aus den 70ern ist eine Familie zu sehen, die freudig vor dem Sherman-Panzer vor dem Schloss posiert.

Entlang der Grand-Rue hängen über parkenden Autos Christian Tagliavinis Voyages extraordinaires, technisch perfekt inszenierte Bilder, die von Jules Verne inspirierte Charaktere in aufwändigen Kostümen zeigen.

Die Treppe hinauf findet man am Fels hinter der Kirche Sascha Weidners unbeschwerte Fotografien junger Leute in der Natur. Teenager, die im Kapuzenpulli einen Fluss durchwaten oder kopfüber von einem Ast hängen – die naturromantisch wirkenden Bilder, teils von der örtlichen Vegetation überlagert, zeigen Momente der Jugend. Der 41-jährig verstorbene Weidner betitelte sämtliche Motive mit dem Zusatz „II“, da für ihn der erlebte Moment der Nummer „I“ entsprach. Weidners bemerkenswerte Arbeit verweist somit auf die Vergänglichkeit dieser unbeschwerten Momente und auf die Fragilität des Lebens.

Die Montée de l’Église hinab hängt die Serie Sacred bird des Finnen Janne Lehtinens, die den Künstler mit verschiedenen kurios improvisierten Flugapparaten wie Lampions oder Regenschirmen zeigen und humorvoll den ewigen Traum vom Fliegen inszenieren.

Zum Abschluss vermischen sich am Marktplatz wieder Fakt und Fiktion. Eine großformatige Marslandschaft hängt im Efeu des Schlossfelsens, daneben ein Astronautenhelm und Wissenschaftler in weißen Schutzanzügen. Was in Vincent Fourniers erstaunlicher Serie Space project wie Science Fiction wirkt, sind real existierende Orte der Weltraumforschung, die der Fotograf besuchte und mit Referenz auf Einflüsse wie Stanley Kubricks 2001 inszenierte.

Resultat des Rundgangs ist ein Einblick in hochwertige und sorgfältig kuratierte fotografische Arbeiten, deren narrativer Charakter breit gefächert ist. Die Darbietung der Bilder auf Einweg-Drucken ist sicher nicht mit einer musealen Ausstellung zu vergleichen, in der Materialität und Auflage eine Rolle spielen. Dies ist auch nicht der Anspruch des Vereins, dem es um die Visibilität dieser Arbeiten geht. So bietet Cité de l’image den Touristen und Besuchern, die es nicht bis in die Museen und Galerien der Hauptstadt schaffen, Einblicke in die zeitgenössische Kunstfotografie im Wechselspiel mit der Umgebung. Ob und mit welchem Grad an Aufmerksamkeit die Bilder im Vorbeigehen wahrgenommen werden, lässt sich freilich nicht sagen. Der Profilierung der Gemeinde Clervaux als Bilderstadt hilft es allemal; wie Justine Blau betont, können Besucher im und um das Schloss problemlos zwei Stunden nur mit dem Betrachten von Fotografien verbringen.

Contes d’images bis 29. September in Clervaux. Gruppenführungen und Führungen speziell für Kinder buchbar. Weitere Informationen: clervauximage.lu / Sammlung der Cité de l’image mit den Fotografien aus den Künstlerresidenzen: www.collection.clervauximage.lu

Boris Loder
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