Maude: „Un professeur est censé encourager, non? Sortir le meilleur des gens?“ Leo: „Un professeur est censé dire la vérité, que ce soit agréable ou non.“ Mit diesem Dialog-Auszug aus David Lodges L’atelier d’écriture (The practice of writing) aus dem Jahre 1991 kann nur die Oberfläche des Dramas, nicht aber dessen Subtext im Kern erfasst werden.
Der zynische, zum Engagement überredete Amerikaner Leo Rafkin, die optimistische Bestsellerautorin Maude Lockett und ihr ebenfalls erfolgreicher, schmieriger Kollege Simon StClair leiten eine Art Creative-Writing-Workshop in einem alten Bauernhof des provinziellen Dorset. Teilnehmen an diesem Seminar werden – wie übrigens jedes Jahr – unter anderem Obdachlose und Rentner, die sich die Zeit etwas vertreiben wollen. Immerhin soll der Gründer dieses Kurses einmal am Glauben festgehalten haben, aus jedem noch so unliterarischen Individuum versteckte Talente herauskitzeln zu können. Stolz führt der an sich schusselige, aber stets bemühte Jeremy Deane seine Gäste durch die alten Gemäuer, in Vorfreude auf das literaturdidaktische Großereignis in diesem südwestenglischen Nest, Schauplatz zahlreicher Romane aus der Feder Thomas Hardys.
Autor David Lodge (76), der sich mit Romanen wie The man who wouldn’t get up oder Arbeiten über Henry James einen Namen gemacht hat, setzt sich in diesem Drama also nur vordergründig mit dem Potenzial auseinander, das in jedem noch so dilettantischen Sonntagsdichter schlummert. Vielmehr legt er einmal in seinen Dialogen zwischen den im Wohnzimmer eintreffenden Autoren, einmal in deren Lesungen vor gespannter Teilnehmerschaft jene Schwächen offen, die sich mit fortschreitendem (Miss-) Erfolg entwickelt haben: Neid und Missgunst angesichts hoher Auflagen der Konkurrenz, gegenseitig zugeschobene Verrisse und die Angst davor, das Geschriebene könne dem Autor tiefenpsychologisch angelastet werden, hinterlassen von diesem Promi-Trio den Eindruck literaturschaffender Kotzbrocken.
Literaturschaffende? In der Tat überschreiten so manche Verlage derzeit die Grenzen des guten Geschmacks angesichts der Veröffentlichung zahlloser Belanglosigkeiten, und so verraten sich auch Rafkin und StClair gerade in ihren Vorträgen als schiere Egomanen. Entpuppt sich Leos Romanheld als verkappter Hypersexueller mit Hang zur brutalen Glitsch-Pornografie (Hauptspielzeug ist Seife!), so erweist sich das neue Werk des Schönlings StClair als Parodie auf die heutige Marketingkultur des hochkommerziellen Anything Goes – 250 leere Seiten, dazu Fotos, Titel, Biografie und seitenlange Widmungen.
Im TOL hat sich Nathalie Ronvaux Lodges sprachlich sehr zugespitztem Kammerspiel auf die bestmögliche Weise genähert: Gerade dann, wenn die Handlung in den Hintergrund gerät und die raffiniert rhythmisierten Dialoge den Reiz des Zweiakters ausmachen, sollte sich die Regie dezent zurückhalten und im Subtilen wirken. Die Tapete mit Tartan-Muster im Wohnzimmer, die Einbindung einer schlichten Badezimmertür und der verstopfte Abguss bilden so eine liebevoll konzipierte Provinzialität, die auf den Notebook-Amerikaner Rafkin einwirkt. Die von Claude Frisoni auf den Anrufbeantworter gesprochenen unbeholfenen Hilferufe des intellektuellen Ehemannes aus dessen Haushaltschaos tragen ihres zur Steigerung des an sich schon urkomischen Wortwitzes bei.
Ronvaux lässt ihren Darstellern den nötigen Spielraum. Guy Roberts sonst zur übertriebenen Anspannung neigende Mimik passt zu dessen Figur Leo, Colette Kieffer und Emmanuel Leforgeur überzeugen in ihren Rollen als Maude und Simon. Die größte Spielfreude strahlt einmal mehr Bühnentalent Jean-Marc Barthélemy in seiner vermeintlichen Nebenrolle als Jeremy aus, der mit dem Egotrip seiner Gäste vollkommen überfordert ist. Gemeinsam mit Irinia Fedotova schöpft dieses Ensemble das Potenzial aus Lodges Satire im Dienste der Komik weitestgehend aus.
Zweimal spielt Lodge mit dem Ekel vor der schreibenden Zunft, den er im Publikum erregt hat. Als Leo eine talentfreie Autorin mit den Worten „Vous pourriez être comme nous un jour“ zum Weitermachen anspornt, beteuert diese: „Je ne suis pas sûre d’en avoir envie. (…) Et bien, vous n’avez pas l’air très heureux.“ Als Leo seinen eigenen, mit pornografischen Elementen durchsetzten Schund von der Festplatte löscht, verkündet er Maude seine neuen Pläne: „Une pièce? – Ouais, cinq personnes, plus un au téléphone“. Der Einfall ist komisch, verschiebt jedoch gleichsam die Perspektive. Haben wir eben Leos Inszenierung beigewohnt? Und ist er als Autor wirklich nur in der Lage, literarischen Exhibitionismus zu betreiben? Diese Fragen muss sich jeder Zuschauer selbst beantworten, nach dem Betrachten dieser überaus empfehlenswerten Produktion im TOL.