„Ils ont attrapé un nègre. Ce n’était pas le bon. Ils l’ont lynché tout de même.“ Ein lakonischer Satz veranschaulicht die politische Stimmung, in die der französische Existenzialist Jean-Paul Sartre den Zuschauer eintaucht. Der Schauplatz: „Une chambre dans une ville américaine du Sud“. Weiterer kontextueller Aufklärung bedarf es kaum, um den thematischen Rahmen des Rassenkonflikts in La putain respectueuse vorzugeben.
Hass prägt die Südstaaten, Hass die weiße Elite, für die der schwarze Bevölkerungsteil minderwertig ist. Ist der eben gelynchte „Nigger“ tatsächlich der entkommene Komplize einer vermeintlichen Vergewaltigung der Prostituierten Lizzie? Ist er dabei gewesen, als zwei einflussreiche Weiße den Mittäter niederschossen? Das Amerika der Jahrhundertmitte ist kein Amerika der Argumente, sondern der blinden Rassentrennung. Geht es nach dem Willen des Senators und dessen Sohnes, soll ein Mord von zwei Weißen an einem Schwarzen vertuscht werden. Die Prostituierte soll vor Gericht aussagen, sie sei in der Tat vergewaltigt und vom Neffen des Senators durch die Schüsse gerettet worden. Die grundlegende Frage nagt an ihrer Substanz: Soll sie diese Falschaussage leisten oder in Kauf nehmen, dass man sie der Prostitution überführt? Die gezahlte Handvoll Dollar liegt als Beweis auf dem Nachttisch des Zimmers, in dem Fred ihre Dienste in Anspruch nahm und sie damit in eine Falle hat tappen lassen.
Die heruntergelassenen Fensterläden und das grüne Neonlicht mit der Aufschrift „Motel“ tauchen das Zimmer der „putain respectueuse“ in kaltes Licht. Schwarz, Weiß und jenes kalte Grün bestimmen das Bühnenbild. Schlapphüte, Trenchcoats mit hochgetragenem Kragen und halbbelichtete Gestalten verleihen der Inszenierung eine unmissverständliche Aura des in den Vierzigern angesagten Film noir. Die Wahl der Bühnengestaltung von Jasna Bosnjak und der damit verbundenen Lichttechnik von Zeljko Sestak ist sofort ersichtlich.
Offen bleibt jedoch, inwiefern die anstrengende Wiederholung des Wortes „Nègre“ in Sartres Vorlage und die in Teilen überraschend oberflächliche Auseinandersetzung – streckenweise ausschließlich auf der Ebene einer politischen Intrige – die Inszenierung im Jahre 2011 noch rechtfertigen. Durchaus ist die Rassenproblematik in den USA auch heute noch von Belang, die Handlung und die Entlarvung des Konflikts als „Problem der Weißen“ (und eben nicht als solches der Schwarzen) war jedoch lediglich in den Vierzigern brisant, ist heute ein alter Hut. Während der Autor sich in seinem restlichen Werk überwiegend mit zeitlosen Fragen der Existenz angesichts einer gottfreien Welt befasst, greift er hier zeitgebundene Probleme auf, die heute wohl niemanden mehr vom Hocker reißen. Die sich aufdrängende Form untermauert diese Einschätzung, lenkt ab von dem sich zusehends erhärtenden Verdacht, dass die Regie sich mit einer sehr fokussierten formalen Gestaltung darüber hinwegsetzt, dass La putain respectueuse in eine Zeit gehört, in der die Auseinandersetzung mit dem Fremden ein weitestgehend unausgesprochenes Tabu war. Die Debatten um französische Kärcher, deutsche Bundesbankvorstände und eine stetige Mediatisierung des öffentlichen Diskurses lassen Sartres Drama alt aussehen.
Auch stimmt die Chemie zwischen Pitt Simon (Fred) und Valérie Bodson (Lizzie) anfangs zu wenig, und die beiden zwingen sich über die Bühne. Insbesondere im zweiten Teil verdichtet sich die Dramaturgie jedoch zu einem intensiveren Konflikt. Auch und gerade kommt die Inszenierung mit Marco Lorenzinis selbstironischer Darstellung des Senators richtig in die Gänge.
Substanzielle Fragen sind dem Ende vorbehalten, dann, wenn mit blinder Gewalt und pervertierter Sexualität eine Parallele zwischen Frauenbild und Xenophobie gezogen wird: „Tu es le Diable“, klagt Fred Lizzie an. „Tu m’as jeté un sort. J’étais au milieu d’eux, mon revolver à la main et le nègre se balançait à une branche. Je l’ai regardé et j’ai pensé: j’ai envie d’elle. Ce n’est pas naturel.“ Auch die alternativen Schlussszenen, die Anne Simon dem Publikum zur Wahl vorlegt (einmal Sartres pragmatische Vorlage, einmal die filmisch-idealistische Umarbeitung), liefern differenzierende Verfremdungseffekte und verlangen dem Zuschauer eine unbequeme Entscheidung ab: Ist es realistischer, sich der politischen Klasse anzubiedern oder prinzipientreu zu bleiben?
Die Krux liegt jedoch in der Wahl einer Vorlage, die gealtert ist und deren konkrete, zeitgebundene Ausrichtung Theaterfreunde wohl überrascht haben dürfte. Die Inszenierung im TNL illustriert letztendlich das Problem, diese Schwächen zu überbrücken.