Pink Slip Party? Am vergangenen Donnerstag wird so mancher Besucher anlässlich der Uraufführung des neuen Dramas von Nico Helminger im Kapuzinertheater gerätselt haben, worauf er sich an diesem Abend einlassen werde: Auf etwas Anzügliches, Obszönes, eine Ästhetisierung der viel gescholtenen Spaßgesellschaft? Im Foyer des Hauses kleben die Empfangsdamen jedem Besucher ein Band um den rechten Arm, pink oder grün. Und so provoziert diese als Mitmachnummer befürchtete Geste einen unüberhörbaren Aha-Effekt, als die Definition des Titelbegriffs verlautet wird: Nicht nur in den USA gibt es seit der New Economy-Krise Partys, wo Arbeitsuchende mit pinkfarbenem auf potenzielle Arbeitgeber mit grünem Armband treffen und sich so eine neue Gelegenheit ergibt, Arbeitsverhältnisse zu schaffen. In seinem neuen Drama zeichnet Helminger das Schicksal von zehn Figuren nach, die sich auf ihre jeweils individuelle Art auf der Verliererstrecke befinden: erfolglose Schauspieler, vermeintliche Lottogewinner, gescheiterte Schlipsträger, hilflose Greisinnen.
Was für ein Ausgangspunkt! Welch Potenzial! In bewusster oder unbewusster Anlehnung an die Regie-Ikonen Robert Altman oder Alejandro González Iñárritu führt uns Claude Mangen in eine episodenhafte, jeweils mit Serge Tonnars melancholischem Fingerpicking unterbrochene Szenenfolge, die uns die Figuren in unterschiedlichen Konstellationen und Stimmungen exponieren. Die 33 einzelnen Episoden verdichten sich zusehends zu einem sozialen Gewebe, das illustriert, welche Aussicht ein Alleingang in Zeiten der Globalisierung bietet: Alle sind sie ineinander verstrickt, in Wohl und Weh. Anouk Schiltz’ mehrfenstriges Eckhaus fügt sich mit seiner abwechselnden Beleuchtung subtil in den Handlungsbogen ein.
Was für ein Ausgangspunkt! Welch Potenzial! Helminger jedoch wird sich selbst, seinem verdienten Batty-Weber-Preis, einigen Darstellern und dem Publikum nicht gerecht mit einem Text, dessen Schwächen die Stärken wie eine Flut mit sich reißen. „Andy, mein handy“, „Do gëss du geil, do kinns du op déng boom sprangen“, „Ech hätt der jo och blumme kaaft, awer déi kaschten der d’jicken aus dem sak“, „hatt ass psychologin, blanche, verstees de, déi gin ëmmer ganz wäit sichen“ bilden nur eine enge Auswahl an zahllosen Plattitüden auf billigstem Niveau, die das Publikum an diesem Abend ertragen muss und die die gesamte Produktion in den Keller schmettern.
Ohne Zweifel sind den Zuschauern an diesem Abend einige Szenen atmosphärischer Dichte gegönnt, die über den Anspruch einer Revue-Klamotte hinausragen. Ohne Zweifel sorgen vor allem jene Auftritte für Komik, in denen Annette Schlechter als schrumpelig-knurrige Großmutter von ihrem Enkelsohn, Nachwuchsschauspieler Thierry Mousset, betreut wird. Auch die textfreien Zwischenpassagen und die eingängigen Monologe des schwangeren Teenagers Lydie (Claire Wagner) lassen sich nicht plattwalzen.
Wer aber gerade fähigen Nachwuchsschauspielern wie Mousset, Anselin oder Wagner mit vielfältigen Schenkelklopfern der Güteklasse Dorfschwank entgegenzukommen glaubt, irrt gewaltig.
Doch nicht nur die Vorlage schwebt orientierungslos zwischen tragischem Gesellschaftsbild und Dilettantismus hin und her. Auch so mancher Darsteller von Gelhausen über Elvinger bis Kmiotek missbraucht die Kunst dramatischer Rhetorik im Irrglauben, jede einzelne Silbe bis zum Phonem hin präzise artikulieren zu müssen, damit auch die hintersten Zuschauerreihen den Text verstehen, bar jeder kommunikativen Natürlichkeit, ähnlich einer politischen Rede. Hier wird Schauspielkunst zu sehr mit Kabarett verwechselt. Ungelenke Frontalansicht und künstliche Sprechpausen lassen erahnen, die Akteure ließen dem Zuschauer Zeit zum Lachen, erheischten Applaus. Unfreiwillig komisch fällt der Begriff des „provënz-faust“, als sich Fred über Möchtegern-Darsteller Bernard lustig macht. Dass Schenkelklopfer im Publikum durchaus ihre Wirkung zeigen, muss nicht weiter verdeutlicht werden. Und doch hat es mehr verdient.
Existenzielle Gespräche werden von der Stimme des Drive-In-Verkäufers gestört: Mit oder ohne Ketchup, L oder XL? Neben solchen und ähnlichen durchaus gelungenen Seitenhieben auf die luxemburgische Gesellschaft darf man immerhin dafür dankbar sein, von Sprüchen über Juncker, Spritpreise oder die großherzogliche Familie verschont zu bleiben. Der Abend bietet jedoch eine weitaus wichtigere Erkenntnis von unschätzbarem Wert: Die Luxemburger Theaterwelt muss sich um ihren Nachwuchs wenig Sorgen machen. Er steht in den Startlöchern und hat den Block bereits verlassen. Er benötigt jedoch gelegentlich eine robustere Laufbahn.