Bestimmt ist es für keinen Autor leicht, seinen Roman für eine Verfilmung aus der Hand zu geben, also zuzulassen, dass Drehbuchautor und Regisseur Episoden streichen, Figuren vereinfachen und Dialoge umschreiben und verknappen. Vermutlich wird es ihm sogar noch schwerer fallen, Straffungen und Umdeutungen der Geschichte hinzunehmen, wo die Romanvorlage autobiografisch ist, es sich also um seine Geschichte handelt, die da eingängiger, plausibler und verständlicher gemacht werden soll. Kann er sich am Ende noch mit dieser Geschichte identifizieren? Wird er den Film als eine – wenn auch mehrfach vermittelte – Bebilderung seiner Erinnerungen verstehen können? Und muss er sich nicht seltsam verdoppelt vorkommen, wenn der Protagonist des Films, der auf einem Roman über seine Kindheit basiert, von seinem eigenen Sohn dargestellt wird?
Auf diese und ähnliche Fragen wird man unwillkürlich Antworten in einem Buch suchen, das ein Autor über die Verfilmung seines autobiografischen Romans geschrieben hat. Seine Dokumentierung des Werdegangs von Perl oder Pica vom Buch zum Film nennt Jhemp Hoscheit zwar eine Chronik; er wählt also nicht die literarische Gattung, von der man den größten psychologischen Tiefgang erwarten kann. Wo man aber sowohl für den Roman als auch für den Film große Sympathien hat, wird man natürlich trotzdem nach Antworten auf besagte Fragen suchen, und zwar selbst dann noch, wenn der Autor nicht so recht mit der Sprache herausrücken will und sich stattdessen in der minutiösen Mitteilung harmlosester Details ergeht.
Dabei mag es ja Leser geben, die sich für sämtliche technischen und organisatorischen Einzelheiten des Filmdrehs interessieren, die wissen wollen, wie genau in bestimmten Szenen die Beleuchtung gesteuert wurde, wer den Wasserschlauch hochhielt, als das Wetter mal nicht mitspielte und in welch unbequeme Ecke sich der Kameramann für diese oder jene Einstellung quetschen musste. Auf jeder Seite verrät sich Jhemp Hoscheit als Kinogänger, der aus Respekt vor dem enormen Arbeitsaufwand von Filmproduktionen bis zum Ende des Abspanns auf seinem Platz sitzen bleibt. Er macht sich die Mühe, selbst die Namen der Aushilfskostümiererinnen aufzuschreiben und würdigt die Geduld der Statisten, die stundenlang am Set verharren und nachher doch aus dem Film geschnitten werden. Akribisch beschreibt er die tagelangen Vorbereitungen für Szenen, die in der endgültigen Filmversion entfallen sind (und übrigens auch nicht auf der DVD zugänglich gemacht wurden). Aber – Hand aufs Herz – wer interessiert sich für die Qualität von Kaffee und Orangensaft am Frühstücksbüffet des Prager Hotels, in dem der Autor während der Aufnahmen für die Filmmusik übernachtete?
Trotz sporadisch eingefügter „Off-Sets“ – zum Teil ganz unterhaltsamen Anekdoten, die sich am Rande des Drehs zugetragen haben –, liest sich das Buch zum Film über weite Strecken wie ein ausformulierter Abspann (mit ähnlichem Informationsgehalt und Spannungspotential). Für diejenigen Leser, die nicht Mitglied der Filmcrew oder sonst wie an der Herstellung und Verbreitung des Films beteiligt waren, werden daher vor allem die wenigen Einträge von Belang sein, in denen der Autor auf seinen emotionalen Bezug zur Verfilmung zu sprechen kommt. Anfangs reagiert Hoscheit noch widerspenstig und verstockt auf die Veränderungen, die an der Romangeschichte vorgenommen werden sollen, vor allem, wo die Individualität der Handlung und der Charaktere einer allgemein gültigen Aussage des Films geopfert werden soll.
Mit seinem Verständnis für die filmische Darstellungsweise wächst auch die Entfremdung von der Geschichte. An manchen Stellen scheint es, als sträube sich Hoscheit geradezu, sich selbst in dieser Verfilmung wiederzuerkennen. Einer Identifizierung Jhemp-Norbi-Ben verwehrt er sich ohnehin. Gebetsmühlenartig kehrt er zur Entscheidung der Wiener Produktionsfirma zurück, die Rolle von Norbi mit seinem Sohn zu besetzen. Es habe dort niemand gewusst, dass Ben der Sohn des Autors sei, er selbst habe keinen Einfluss auf das Casting gehabt, usw. usw. Nicht nur diese als Angriff auf die Leistung Ben Hoscheits missverstandene Castingfrage gibt einen Ausblick darauf, um wie viel anregender Perl oder Pica. Vum Buch zum Film hätte werden können, wenn der Autor die Flut bedeutungsarmer Details mit ausführlicheren Einblicken in seinen Reflexionsprozess und sein affektives Verhältnis zur Verfilmung unterfüttert hätte.
Perl oder Pica ist ein schöner Roman. Pol Cruchtens Film zum Buch besticht sowohl durch eine liebevolle Inszenierung als durch schauspielerische Leistung. Das Buch zum Film zum Buch erscheint dagegen eher verzichtbar.