Stolz wie junge Eltern erklärten das Luxemburger Wort und RTL am 21. November in einer knappen Pressemitteilung, dass sie ihre Kräfte vereint hätten, um das erste französischsprachige Radio in Luxemburg zu starten, „la Radio Francophone Pop-Rock“. Dieses Programm für eine französischsprachige Gemeinschaft werde sich zum Ziel setzen, seine Zuhörer zu informieren und zu zerstreuen. Geplant seien abwechslungsreiche Musiksendungen, die von Nachrichtenblöcken über die Aktualität in Luxemburg und der Großregion unterbrochen würden. Hinzu kämen aber auch Unterhaltungssendungen, das Ganze in Zusammenarbeit mit dem französischen Musiksender RTL 2. Das Programm werde ab Februar 2014 landesweit über die Frequenzen 102,9, 104,2 und 107,7 Megahertz ausgestrahlt.
Der Stolz der Firmen war verständlich, denn beide versprachen sich eine ganze Menge von dem Unternehmen. Der mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfende Sankt-Paulus-Verlag hoffte, nach der Einstellung verschiedener Zeitungstitel, wie Sonndesblat, La Voix du Luxembourg, Point 24 und der Wort-Regionalausgaben, endlich den seit mehreren Jahren gesuchten Weg gefunden zu haben, um möglichst elegant Den neie Radio (DNR) abzuschalten. Denn es waren drei DNR-Frequenzen, auf denen künftig das neue Programm gesendet werden sollte. DNR ist Jahr für Jahr defizitär, und das rückläufige Anzeigengeschäft machte alle Sparversuche zunichte. Der geplante gemeinsame Betrieb des neuen Programms durch RTL und Luxemburger Wort sollte dem Wort helfen, bei der Schließung von DNR das Gesicht zu wahren, und RTL, eine rechtlich Kontinuität bei der Ausbeutung der dem Konkurrenten zuerkannten Sendefrequenzen zu schaffen.
RTL freute sich seinerseits, einen Konkurrenten auszuschalten und die Kontrolle über weitere Sendefrequenzen zu erhalten. Damit kam der Sender seinem Ziel wieder ein Stück näher, sein Rundfunkmonopol wiederherzustellen, das die von ihm stets bekämpfte Radioliberalisierung aufgeweicht hatte. Durch die Benutzung von RTL 2 als Mantelprogramm hielten sich die Kosten zudem in Grenzen, und, wer weiß, vielleicht ließe sich sogar Werbung für französischsprachige Zuhörer und Grenzpendler gewinnen, die bisher an die Gratiszeitung L’Essentiel geht. Der Sankt-Paulus-Verlag wollte die Hälfte des Gesellschaftskapitals der DNR-Betreibergesellschaft an RTL verkaufen. Dafür sollte RTL-Luxemburg-Chef Alain Berwick Mitglied des Verwaltungsrats werden. Gleichzeitig sollte der Name DNR in „RTL 2“ umgewandelt werden. Das Programm sollte sich nicht mehr, wie im Lastenheft festgehalten, an ein luxemburgischsprachiges Inlandspublikum richten, sondern an französischsprachige Zuhörer, die hierzulande, aber auch in Lothringen und Wallonien wohnen.
Die einzige Frage, die noch offen blieb, betraf die rechtliche Kontinuität bei der Ausbeutung der Sendefrequenzen: Durfte die Betreibergesellschaft von DNR, die Société de radiodiffusion luxembourgeoise, die ihr zuerkannten Sendefrequenzen einem anderen Programm und teilweise einem anderen Betreiber überlassen, als in ihrem Lastenheft abgemacht? Deshalb war der Zeitpunkt für den Start des neuen Radioprogramms nicht schlecht gewählt – er schien in eine juristische Grauzone zu fallen. Die Commission indépendante der la radiodiffusion, welche für die Vergabe von Radiolizenzen zuständig war, war im August durch eine Gesetzesreform abgeschafft worden, das Nachfolgegremium Autorité luxembourgeosie indépendante de la radiodiffusion (Alia) hatte seine Arbeit noch nicht aufgenommen. Die Politik war zudem mit dem Regierungswechsel beschäftigt, und welcher Politiker wollte sich wohl unnützerweise mit RTL und dem Luxemburger Wort anlegen? Außerdem waren in der Vergangenheit die Bestimmungen des Mediengesetzes ungestraft missachtet worden.
Doch am 17. Januar wurde der Verwaltungsrat der neuen Aufsichtsbehörde Alia ernannt, und nur eine Woche später ließ er die DNR-Betreiber ein erstes Mal zu sich kommen. Statt des für Februar angekündigten Sendestarts kam dann am 28. Februar das Urteil der Alia: Es verbot unmissverständlich der DNR-Betreibergesellschaft, ihr Gesellschaftskapital und ihre Leitungsgremien zu ändern, also RTL zur Hälfte zu beteiligen und ihren Programminhalt und ihren Programmnamen zu ändern. Denn um ein Radioprogrammkonzept durch ein anderes zu ersetzen, sei eine öffentliche Ausschreibung nötig. Dass der DNR-Betreiber bereit war, im Interesse der Pressevielfalt auf seine zwei schwächsten Frequenzen, 104,2 und 94,3 Megahertz, zu verzichten, konnte die Alia nicht beeindrucken. Sie verdächtigte sogar RTL, das Gesetz umgehen zu wollen und mit RTL 2 ein Programm mit internationaler Ausstrahlung für die Großregion zu planen.
Doch über die Ablehnung des Antrags von Luxemburger Wort und RTL hinaus gibt die Entscheidung der Alia auch ein Urteil über den Rundfunkpluralismus ab. Und sie betont, dass in Artikel zwei des Gesetzes von 1991 gleich dreimal vom Pressepluralismus die Rede geht. Schließlich sei die Pressevielfalt nicht nur ein wichtiger Bestandteil der Demokratie, sondern spiegele auch die kulturelle und soziologische Vielfalt der Bevölkerung wider und sei eine Grundlage für die Wirtschaftssparte Presse. Doch das Urteil über die Radioliberalisierung, so wie sie seit über 20 Jahre praktiziert und von der Alia-Vorgängerinstanz, der Commission indépendante der la radiodiffusion, im Inland geregelt wurde, liest sich ziemlich vernichtend.
Denn um den Pluralismus zu wahren, schrieb das Gesetz 1991 vor, dass niemand direkt oder indirekt mehr als 25 Prozent des Kapitals eines „programme à réseau d’émission“, wie DNR, das Jugendprogramm Eldoradio, das Ausländerprogramm Latina und das alternative Ara, und nicht von mehr als einem Radio kontrollieren dürfe. Doch im Laufe der Jahre hielten sich die Mediengruppen nicht mehr an das Gesetz, und die Commission indépendante der la radiodiffusion konnte oder wollte sie auch nicht in ihre Schranken verweisen. Deshalb schuf das Parlament Ende 2010 mit den vereinten Kräften von CSV, LSAP, DP, Grünen und ADR die Kapitalbeschränkung ersatzlos ab. In der Begründung des Gesetzentwurfs hieß es, dass die Regelung zwar ursprünglich sinnvoll gewesen sei, um „originelle“ Kapitalzusammensetzungen zu fördern, doch nun sei sie zu einer „Behinderung“ der Radios und ihrer Aktionäre geworden. Außerdem habe sie die Pressevielfalt nicht sonderlich geschützt, da man schon mit 25 Prozent des Kapitals die redaktionelle Ausrichtung eines Radios kontrollieren und zudem auf die Unterstützung gleichgesinnter Mitauktionäre zählen könne.
Drei Jahre später legt die Alia nun die Zwischenbilanz der so geförderten Konzentration vor: Der Sankt-Paulus-Verlag habe bei der Gründung der DNR-Betreibergesellschaft 20 Prozent des Kapitals kontrolliert und der Rest sei im Besitz von 15 anderen Kapitalgebern gewesen. Doch im Laufe der Zeit sei der Anteil der Sankt-Paulus-Beteiligung gestiegen und mache seit dem 14. Dezember 2012 praktisch 100 Prozent, nämlich 99 329 von 99 330 Aktien aus. Hinzu komme noch, dass der Sankt-Paulus-Verlag 55,5 Prozent des Kapitals der Betreibergesellschaft von Radio Latina kontrolliere. Und die Alia rechnet vor, dass der Verlag mit 38,8 Prozent auch Marktführer bei der Tagespresse und mit 25,5 Prozent bei der Wochenpresse ist. RTL ist dagegen laut Alia mit RTL Radio Lëtzebuerg, das 40,6 Prozent der Bevölkerung erreiche, Marktführer im Rundfunkgeschäft und kontrolliere auch noch 75 Prozent des Kapitals des Betreibers des zweitgrößten Radios, Eldoradio, das 17,9 Prozent der Bevölkerung erreiche. Vom Fernsehen gar nicht zu reden.
Die Radioliberalisierung in den Neunzigerjahren war, wie der Versuch von Videotext, auch der weitgehend gescheiterte Traum der Tages- und Wochenpresse, ein Stück vom RTL-Kuchen zu erwischen und ein neues Glück im Rundfunkgeschäft zu finden. Sie war mit dem hehren Ziel des Rundfunkpluralismus gerechtfertigt worden. Aus diesem Blickwinkel bleiben nach der Darstellung der Kontrollinstanz derzeit noch der staatliche Sender 100,7 und Radio Ara, denen TNS-Ilres eine Reichweite von zusammen fünf Prozent der Bevölkerung bescheinigt. Die Restauration des RTL-Monopols kommt, notfalls mit Unterstützung des Sankt-Paulus-Verlags, rasch zu ihrer Vollendung.