In der Schule müsste die Jugend lernen, investigativen Journalismus von suggestivem Journalismus zu unterscheiden, hatte Premierminister Jean-Claude Juncker zum Neujahrsempfang der Presse gemeint. Und damit zugleich klar gemacht, dass er von den jüngsten Enthüllungen von Journalisten rund um den Geheimdienst, Cargolux und Wickringen-Liwingen offenbar nicht viel hält.
„Der Premierminister ist in einer schlechten Position, Journalisten eine Lektion zu erteilen“, sagt Véronique Poujol, Journalistin vom Land, die den Stein zur Geheimdienstaffäre ins Rollen brachte. Immerhin sei es der Staatsminister selbst gewesen, der dafür gesorgt habe, dass Luxemburg als eines der letzten Länder in der EU noch immer über keinen Zugang für Bürger zu öffentlichen Informationen verfügt. „Wenn der Staat mit seiner Arbeit transparenter wäre, würde er sich vielleicht manche unangenehme Enthüllung ersparen“, findet auch Jean-Claude Franck, als Journalist beim Radio 100,7 ebenfalls mit der Geheimdienstaffäre befasst.
Unabhängig davon, wie die Regierung zur Transparenz steht – der investigative Journalismus erlebt derzeit in Luxemburg einen Aufschwung wie lange nicht. Zwar haben früher schon Journalisten Hintergründe zu Wirtschaftsskandalen recherchiert, Verwicklungen von Politikern in dubiose Machenschaften thematisiert, aber erst mit der von den RTL-Journalisten Marc Thoma und Nico Graf neu aufgerollten Bommeleeër-Recherchen und der vom Land und 100,7 berichteten Unklarheiten rund um das geplante Fußballstadion in Liwingen scheint der investigative Journalismus eine neue Dimension erreicht zu haben. Anders als manche vermutet haben, ist Luxemburg keine Insel der Glückseligen und Rechtschaffenden und gibt es nicht zuletzt am Finanzplatz für Enthüllungsjournalisten einiges zu entdecken.
Doch obwohl sich Teile der Presse verstärkt bemühen, den Regierenden und der Wirtschaftselite auf die Finger zu schauen – was das genau bedeutet und welche Chancen und auch Risiken für die Medien damit verbunden sind, ist kaum Thema. Außer im Magazin Forum, deren Redakteure Luxemburgs Hand voll investigativer Journalisten zu ihrer Arbeit befragten, gibt es wenig (selbst-)kritische Reflektion des eigenen Berufstandes und der Methoden und Prinzipien, derer er sich bedient. Das gilt nicht nur für den investigativen Journalismus, sondern allgemein.
Doch für Journalisten sind manche Recherchen durchaus mit Gefahren verbunden. Nicht etwa, weil ein Premierminister unter Druck die Arbeit launisch kommentieren könnte: Die Gefahr, dass Journalisten manipuliert werden könnten, ist real. Das Dilemma beginnt manchmal schon mit der ersten Fährte: Wie damit umgehen, wenn ein Anrufer sensationelle Informationen verspricht? „Wir sind ein kleines Radio. Wir suchen die meisten unserer Informanten selbst“, erzählt Jean-Claude Franck aus der Praxis. „Man kann mit dem Verbreiten von Gerüchten und schlecht recherchierten Informationen sehr viel kaputt machen“, warnt der Radiojournalist weiter. Stellt sich eine Information als falsch oder nur halbwahr heraus, könne das schnell eine „ganze Geschichte unglaubwürdig erscheinen lassen – und das ist gefährlich für den Ruf des Journalisten, der sie erzählt“. Oberstes Gebot für Investigativjournalisten ist daher dasselbe wie für andere Journalisten: Alle Fakten gehören genauestens überprüft, bevor sie publiziert werden. Zur Faustregel gehört, dass mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen, den Sachverhalt bezeugen können oder dass ein Schriftstück diesen Schwarz auf Weiß belegt. Lässt sich dennoch keine Gewissheit gewinnen, dann „lieber einmal warten als vorschnell damit herauszukommen“, warnt Véronique Poujol vom Land und spricht damit einen Aspekt an, der zentral ist für investigative Recherchen: Zeit.
Ein Journalist braucht Zeit, um Hintergründe und Hintermänner/ -frauen einer Geschichte zu ermitteln. Zeit, die viele in Luxemburg nicht haben, weil das Alltagsgeschäft weiter gehen muss. Dass Journalisten sich frei nehmen können, um konzentriert an einem Thema zu arbeiten, wie es in den großen ausländischen Zeitungen wie Der Spiegel, The Guardian oder Le Monde geschieht, die eigene Investigativabteilungen haben und manche Journalisten gar den Luxus von Dokumentaristen genießen, die ihnen bei der Quellensuche behilflich sind, gibt es in Luxemburg nicht. „Wir versuchen teilweise, uns etwas Freiraum zu schaffen, um mal einige Tage am Stück an einem Thema zu arbeiten. Aber das geht nur, weil andere Kollegen unsere Alltagsaufgaben übernehmen“, beschreibt Jean-Claude Franck das Problem der engen Personaldecke, mit der eigentlich alle Redaktionen hierzulande konfrontiert sind.
Recherchen im Milieu von Geheimdiensten seien besonders aufwändig und kniffelig, „weil Geheimdienstler oft selbst manipulieren und das Spiel der Manipulation teils sehr gut beherrschen“, so Franck weiter. Zu durchschauen, was in dem Milieu wirklich gespielt wird, verlangt akribische Recherche – und eine professionelle Haltung gegenüber potenziellen Informanten. „Misstrauisch und skeptisch zu sein, ist das A und O in unserem Beruf“, betont Land-Redakteurin Poujol.
Dass Informanten eigene Interessen haben, ist eine Binsenweisheit im Nachrichtengeschäft. Ein Whistle-blower, ein Informant in einer Firma oder einer Verwaltung, gibt Informationen nicht unbedingt weiter, weil er oder sie unrechte Machenschaften aufdecken und beendet sehen will. Häufig spielen eigennützige menschliche Motive eine Rolle. „Eifersucht, Neid oder Rache sind starke Motoren“, weiß Poujol. Da nimmt ein Arbeitskollege einem anderen den Posten und Einfluss übel oder sieht sich bei der Beförderung übergangen und schon greift er zum Telefon, um den Widersacher zu diskreditieren. „Dass Whistle-blower aus philanthropischen Motiven handeln, ist eher nicht die Regel“, sagt Poujol trocken.
Eben das macht die Arbeit für den Journalisten so schwierig. Er oder sie muss sich sicher sein, dass die Informationen, die er geliefert bekommt, stimmen – und dass er nicht missbraucht wird, um beispielsweise alte Rechnungen zu begleichen. Denn nicht nur Journalisten nähern sich bestimmten Protagonisten gezielt, weil sie sich von ihnen bestimmtes Insiderwissen erhoffen. Auch Informanten suchen sich teils gezielt ganz bestimmte Journalisten heraus. Das kann sein, weil der oder die Journalistin bekannt ist für seine/ihre sorgfältige Arbeit und gute Kenntnis eines Themas. Es können aber auch andere Interessen sein, wie ein großes Ego, der Wunsch nach Ruhm oder versteckte Absprachen. Umso wichtiger ist es, vom jeweiligen Informanten, dem Wert und den Hintergründen seiner Informationen ein realistisches Bild zu haben.
„Ich versuche zunächst, meine Quellen dafür zu gewinnen, sich mit ihrer Aussage oder ihren Informationen zitieren zu lassen“, erzählt Véronique Poujol. „Das macht die Geschichte glaubwürdiger für den Leser. Und für mich.“ Das sei aber nicht immer möglich, manchmal, wie im Srel-Dossier, seien es vertrauliche Informationen, auf deren Weitergabe Strafen stehen oder bei denen der Überbringer seinen Job oder Schlimmeres riskiert. Dann fragen Informanten, zu Recht, vor Enttarnung geschützt zu werden, so wie es das Pressegsetz vorsieht. „Wir versuchen, möglichst viele Leute zu einem Sachverhalt zu befragen. So können wir Fakten und Versionen abgleichen. Darüber hinaus sagen wir unseren Informanten auch, dass wir die Fakten selbst analysieren“, so Jean-Claude Franck. Über den Äther geschickt werden in der Regel die Versionen einer Geschichte, „die deckungsgleich sind. Die anderen halten wir lieber noch eine Weile zurück und versuchen die Informationen zu präzisieren. Schon aus dem Grund, um später keine Klage zu riskieren“, erzählt Franck. Ansonsten gelte ein Leitsatz: Folge dem Geld. Bei vielen politischen und wirtschaftlichen Affären, siehe Liwingen, Cargolux oder auch Srel, geht es nicht selten um große Summen, die sich, mit etwas Mühe, nachrecherchieren lassen. Weshalb die Gegenseite oft mit allen Mitteln versucht, Zusammenhänge zu verschleiern, falsche Fährten zu legen, oder, wenn das nichts hilft, allzu hartnäckigen Reportern mit dem Anwalt zu drohen.
Dass die Drohung vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt die Klage gegen den RTL-Journalisten Nico Graf. Ein Beamter aus dem Wirtschaftsministerium hat den Journalisten auf eine Million Euro Schadensersatz wegen Rufschädigung verklagt, weil dieser ein Foto veröffentlicht hatte, das den Beamten mit seinem Gesicht zeigte. Dadurch könne er seinen Beruf nicht mehr in vollem Umfang ausüben, auch habe seine Familie Morddrohungen erhalten. Die Klage ist anhängig, in der Sache aber stellte sich die Chefredaktion hinter seinen Journalisten.
Wie wichtig die Unterstützung durch die Chefetage sein kann, ist auch beim Klassiker über den Enthüllungsjournalismus zu Watergate, eine Korruptionsaffäre Ende der 60er-Jahre unter US-Präsident Richard Nixon, nachzulesen, der schließlich zum Rücktritt des Präsidenten führte. Die Chefredaktion der Washington Post hatte alle Informationen der damals noch jungen Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein sorgfältig gegengeprüft – und sich, teils aus Furcht vor Klagen, das eine oder andere Mal entschieden, Brisantes nicht oder noch nicht zu veröffentlichen. „Für kleine Zeitungen kann eine Klage schnell existenzbedrohend sein“, gibt Véronique Poujol zu bedenken. Allein die Anwaltskosten summieren sich schnell in die Tausende. Wegen der wachsenden Zahl an Klagen sind in den USA einige Investigativjournalisten und Verleger dazu übergegangen, mit Informanten im Vorfeld Deals abzuschließen, bis zu welcher Gerichtsebene der Informant geschützt wird – und ab wann die Quelle identifiziert werden kann.
Manipulation von Journalisten kann noch sehr viel subtilere Züge annehmen, etwa in dem persönliche Schwächen des Journalisten gezielt ausgenutzt werden: „Vieles ist eine Gefühlssache. Die Menschenkenntnis kommt mit der zunehmenden Erfahrung“, meint Véronique Poujol. „Vertrauen muss sich aufbauen, das muss sich der Journalist verdienen“. Um sich zusätzlich abzusichern, arbeiten beim Radio 100,7 bewusst zwei Journalisten zu brisanten Themen. Auch Marc Thoma und Nico Graf von RTL haben im Kontext der Bombenleger-Affäre Informanten zu zweit getroffen. „Das hat den Vorteil, dass wir uns nachher über den Eindruck, den ein Informant hinterlassen hat, austauschen können“, erklärt Franck vom 100,7. Andere arbeiten lieber alleine, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, oder auch um ihre Informanten besser zu schützen. „Im kleinen Luxemburg machen Namen schnell die Runde“, warnt Land-Journalistin Véronique Poujol. Das ist gefährlich für den Informanten und den Journalisten, der seine Quelle schützen will. Aber eben auch für diejenigen, die meinen, etwas erfolgreich zu verbergen. Die Frage ist: für wie lange?