Wenn sich Jean-Paul Jacobs im Eifer seiner Eingebungen einen Vogel anlacht, dann beileibe keine Meise. Auch mit nur einem Vogel begnügt er sich nicht. Warum auch? Der Dichter ist schließlich kein Pirat! Der Titel seines neuen Gedichtbandes, Die Perücke des Zephyrvogels, bezeichnet dabei gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs. Was für exquisites Federvieh allenthalben! Ein „in all seiner sich / aufplusternden pracht/ und sinnlichkeit von meisterhand/ gemalter pfau“ aus den Bergen von Bhutan und der überaus höfliche und liebe „storch in einer/ dunkelblauen livrée mit goldbordüren“ bevölkern nebst vielen, vielen weiteren gefiederten Wundergestalten des Dichters lyrische Voliere. Auch von ganz anderem phantastischem Getier ist zu lesen, vom Zauberhummer etwa, auf den man besonders achten muss, damit er einem nicht unversehens das Tagebuch zerfleddert, oder von melancholischen Schafen, oder gar von schnarchenden Kamelen in einer zerfallenden Karawanserei.
Was für ein Aufwand zur Bespaßung der hehren Damenwelt, mag man sich da denken! Ob Lucie von Hardenberg und die Kaiserin von China das exotische Aufgebot wohl zu würdigen wissen? Natürlich tun sie das, denn in Wahrheit sind sie, mitsamt der Marchesa auf ihrem Kanapee in Volterra und der Frau Hutmacherin, selbst Teil desselben.
Die in Jacobs’ Gedichten in aller Form zelebrierte Galanterie und Finesse versteht sich genauso wie die Heraufbeschwörungen dieser märchenhaften Figuren als Antithese zu einer durch und durch, einer höchstens ausnahmsweise einmal nicht prosaischen Welt, in der sich die „hirnlosen und/ brutalen discotürsteher“ leider nicht von findigen Beschimpfungen wie „verkommener rilke“ oder „dreckiger mozart“ beeindrucken lassen. Was bleibt, ist Traum und Zuflucht in die Dichtung, die vage Hoffnung, es möge noch Zeit bleiben, sich wenigstens „das paradies schön zu schreiben“. Aber selbst das Schreiben ist eine Last, der Gegenstand des Gedichts entzieht sich oft genug dem Versuch, ihn schriftlich festzuhalten, so dass dem „drolligen/ poesiezeremonienmeister an seinem leeren/ und schwierigen schreibtisch“ nicht viel übrig bleibt als Ironie und Achtung vor dem Geheimnis, das er nicht zu lüften vermag.
Dabei scheinen die Katastrophen, die dem Dichter begegnen, auf den ersten Blick vergleichbar klein zu sein. Es findet also bedauerlicher Weise das berühmte Huhn aus der Normandie, die Zierde und der Stolz seines Dorfes, ein unrühmliches Ende als labbriges Etwas „auf dem teller eines/ vollidioten“. Der Dichter indigniert sich hier gegen einen als Stümperei missverstandenen Dilettantismus, gegen die nachlässige Missachtung des Details und des Beiwerks. Die Verschnörkelung ist bei Jacobs gerade keine weglassbare Dekoration. Zwischen den „bordüren“, „girlanden“ und „draperien“, wie die Unterteilungen des bei Phi erschienenen Bandes heißen, finden sich immer wieder prägnante poetologische Standortbestimmungen, in denen der Autor sein Schreiben und sein Verständnis von Dichtung reflektiert. Er misstraut vor allem der Selbstdarstellung und der Überhöhung des Ich in der Literatur, der Distanzlosigkeit zum Selbst, aber auch zum Gegenstand: „wer von sich selbst so eingenommen ist/ dass er sein geschlechtsleben zu papier/ bringen muss/ macht eros zu einem desaster“ („die eitlen“). Jacobs sagt die Dinge nicht, indem er versucht, ihnen ihr Wesen zu entreißen, ihren letzten Grund akribisch auszuleuchten und sie vor aller Welt zu entblößen.
Die Perücke des Zephyrvogels fügt sich mit diesem Gegensatz zwischen heiterem Traum- und Fantasiereich und abgestumpfter, trister Alltagswelt nahtlos in die Reihe von Jacobs’ bisherigen Lyrikveröffentlichungen ein. Vielleicht ist dieses Buch einen Ticken heiterer, vor allem dort, wo sich der Dichter – zweifellos in einem Anflug nahezu sokratischer Selbstverkleinerung – in einen Rollentausch mit einem Kneipenwirt oder mit seinem Kammerdiener begibt. Der offeriert prompt eine Probe seines poetischen Talents, indem er sich darüber wundert, „das de schmätterlenge u. crocotille/ in moynem schlofcabinet/ zetzo erbürmlig waynen täten“. Dieser komische Vogel scheint durchaus dazu geeignet zu sein, für Jacobs einzuspringen, wenn der Dichter, wie er über den Verlag verlauten ließ, der Lyrik demnächst für eine Weile den Rücken kehren will. „entrechats! pas de deux! lala la la la“!