Die Titel der Anthologie, die seit 2003 jedes Jahr anlässlich der Walfer Bicherdeeg herausgegeben wird, lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Die einen orientieren sich an einem Thema, wie Sport oder Natur, die anderen an einer literarischen Gattung, wie dem Krimi oder dem Reisebericht. Dieses Jahr lautete die thematische Vorgabe: Musik.
Wie der Titel des Bandes, Saz fir Saz, richtig anzeigt, ist die Musik für die Literatur aber mehr als ein beliebiges Thema. Die Musik ist schließlich nicht nur aus etymologischer und historischer Hinsicht der Ursprung für eine Vielzahl der literarischen Gattungen. Das gilt nicht weniger für die Lyrik als für die Tragödie, den „Bocksgesang“, wie Botho Strauss einmal übersetzt hat, oder das Epos, das gerne auch als „Heldenlied“ wiedergegeben wird (wie in Nibelungenlied oder in Chanson de Roland usw.). Die Bedeutung der Musik für die Literatur geht sogar so weit, dass die mousikê noch in der römischen Antike jegliche musische Fertigkeit meinte, also noch weit mehr als das, was man heute unter dem Begriff der „Kunst“ versteht. Literatur ist also in gewissem Sinn Musik.
Weil dieser enge Bezug zwischen Literatur und Musik besteht, konnte sich die Musik zu einer der wichtigsten Metaphern für literarische Sprache entwickeln. Man kann literarischen Texten einen Rhythmus nachsagen und eine eigene Komposition, man kann sie nach klanglichen Elementen wie Alliterationen oder Assonanzen untersuchen. Insbesondere Gedichte, als musikalische Texte par excellence, lassen sich meist gut unter solchen handwerklichen, d. h. poetischen Gesichtspunkten auf ihre Machart hin betrachten. Von den zweiundzwanzig Texten in Saz fir Saz ist nur ein einziger ein Gedicht, nämlich Lambert Schlechters Petit panthéon musical, das in pointierten Vierzeilern Zusammenhänge zwischen den Biographien von Musikern und ihrem Werk andeutet. Dass man aber bloß dem Layout nicht auf den Leim geht: Die restlichen einundzwanzig Texte sind keine poèmes en prose, sondern „nur“ Prosatexte, mal gut und mal etwas weniger gut, wie das bei Anthologien so ist.
Die sprachliche Verteilung zwischen Französisch, Luxemburgisch und Deutsch fällt dabei ziemlich ausgewogen aus; zwei Texte sind auf Englisch. Die meisten Autoren versuchen, wirklich etwas zum Thema zu schreiben, beschäftigen sich etwa mit dem Klischee von der gemeinschaftsstiftenden Kraft der Musik, dem Zusammenhang zwischen Musik und Emotionalität, der Möglichkeit von Kommu-nikation über und durch Musik. Nur sehr wenige benutzen das Thema als reinen Vorwand um etwas ganz anderes zu erzählen, eine Provinzposse zum Beispiel.
Saz fir Saz enthält also hauptsächlich das, was der Untertitel ankündigt, nämlich Texter iwwer Musek, vornehmlich inhaltlich ausgerichtete Ausein-andersetzungen mit der Musik. Die schönsten Ausnahmen finden sich in dem Beitrag von Jean-Michel Trei-nen („Zakatatzaschhhh. Wömöhmö-möhm. Uii.Schbratz. Kawongg.“ usw.) und Lex Jacoby, der mit seinem „Leierkasten“ ein sehr erheiterndes postmodernes Anagramm-Spekta-kel veranstaltet („INSERATEKEL“, „SILENRA-KETE“, usw.). Claudine Munos Text merkt man zumindest die Bemühung an, einen rhythmischen Duktus zu schaffen und mittels Blockschrift Unterschiede in der Lautstärke herzustellen.
Einerseits muss man also bedauern, dass der Zusammenhang zwischen Musik und Literatur offenbar nicht komplexer vorgegeben worden ist, so dass vielleicht mehr Autoren in diesen Chor berufen werden können, die selbst einen engeren Bezug zur Musik und zur Musikalität der Literatur pflegen. Unter den gestandenen Dichtern wäre unter diesem Gesichtspunkt womöglich Jean-Paul Jacobs eine gute Wahl gewesen, unter den jüngeren Luc Spada, der sich seit einiger Zeit einen Namen als Slampoet gemacht hat und in entsprechenden Veranstaltungen auch anderen oral poets eine Bühne für ihre Kunst zur Verfügung stellt.
Es wäre sicher nicht zum Nachteil der nächsten Anthologie, wenn sich die Verantwortlichen dazu durchringen könnten, dem Herausgeber größere Befugnisse einzuräumen. Statt eines nichtssagenden und mit zu vielen Fehlern und Absurditäten gespickten Vorworts des Bürgermeisters wäre ein Vorwort des Herausgebers zur Stand-ortbestimmung und Umgrenzung des Themas sicher sinnvoller gewesen. Eben dieser Herausgeber sollte sich auch nicht scheuen, grammatische Fehler und stilistische Unarten zu berichtigen. Ein Chor braucht einen Dirigenten.