Als Elke Heidenreich Soazig Aarons Le non de Klara in ihrer Literatursendung Lesen! im Februar des Jahres 2004 über den grünen Klee lobt, hat der Roman in Frankreich bereits einen zweijährigen Erfolg gefeiert, ohne Frage getragen von der Auszeichnung „Bourse Goncourt du premier roman“.
Wohl mit dieser Erfolgswelle begründet, reiht Autorin Virginie Marouzé den Prosatext nunmehr ein in jene Riege großer Werke (etwa Die Buddenbrooks, Professor Unrat, Ruhm), deren Bühnenfassung chronisch hohe Erwartungen weckt, zugleich aber Anstoß erregt – geht der Literaturfreund doch von der Annahme aus, dass sich jeder Autor ganz bewusst und wohl aus gutem Grunde zu Gunsten dieser und eben nicht für jene Gattung entschieden hat.
Le non de Klara ist ein starker Roman, der von zwei starken Frauen handelt. Erzählt wird die Rückkehr von Klara, die das KZ Auschwitz überlebt hat, aus der Sicht ihrer Schwägerin Angélika. Diese hat die Gerettete in einem Pariser Hotel aufgespürt und hält ihr kurzes Zusammenleben in ihrem Tagebuch fest. Klara lehnt es ab, die von Angélika erwünschte Seelenschau zu betreiben, lehnt es ab, ihre Tochter zu sehen, stößt sich daran, die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen. Millionen Leser haben die Erzählerin beim unnachgiebigen Versuch begleitet, Klaras Leid und die Ablehnung verstehen zu lernen, waren gebannt von der Titelfigur, die sich nicht vereinnahmen lässt, sich ihrer Mutterrolle verweigert, sich jedoch zugleich mit schweren Schritten ihrer Schwägerin anvertraut und dunkle Geheimnisse offenbart.
Coco Bernardis und Marie Combois mimen Angélika beziehungsweise Klara in Marouzés minimalistischer Regieführung. Zwei Dutzend Stühle umkreisen die Bühne im Escher Stadttheater. Klara steht starr und steif in der Mitte, trägt einen kleinen Lederkoffer; zu ihren Füßen liegt eine verschlissene Pelzstola auf grauem Zement. Ihre Weste, in deren Übergröße sie nahezu zu versinken droht, hängt wie Gefangenenkleidung an ihr herab. Im Halbdunkel verzieht sie anfangs keine Miene. Mit geometrischer Präzision bewegt sich Bernardis um sie herum, richtet sich mit rezitierten Tagebucheinträgen an das Publikum, um später wiederum in einen schleppend verlaufenden Dialog mit ihrer Schwägerin zu wechseln. In diesen Anfangsszenen erzeugt die Regie mit dem Potenzial, das auch die Vorlage bietet, intensive Spannung. Zwei Frauen mit völlig unterschiedlichen Lebenserfahrungen stehen sich gegenüber. Bis hierhin verspricht die Inszenierung einen gelungenen Abend.
Leider beeinträchtigen störende Elemente die Inszenierung maßgeblich. Die Tontechnik spielt regelmäßig Geräuschkulissen ein. Es sind Geräusche, die anfangs von so manchem Zuschauer als Tonproblem vermutet werden, sich später jedoch als kaum identifizierbare Mischung aus Schritten, Schreien und Explosionen herausstellen. Sie klingen zu diffus, zu verwischt, um einen kritischen Deutungsversuch zu starten. Schauder erzeugen sie nicht, im Gegenteil, ohne sie wäre die Wirkung der verbalen Auseinandersetzung noch stärker.
Im Gegensatz zur überzeugenden darstellerischen Leistung von Bernardis wirkt Combois Interpretation zudem bisweilen unfreiwillig komisch. Sie setzt einen derart gekünstelten deutschen Akzent auf, dass sie sich auf diese Diktion völlig versteift. Gepaart mit der figurenpsychologisch nachvollziehbaren, mimischen Kälte wirkt dieser endlose Schwall an Glottal Stops wie die Parodie einer deutschen Lageraufseherin in zweitklassigen Holocaust-Filmen. So überrascht es wenig, dass die Vorstellung erst wieder an Fahrt gewinnt, als Combois diese gekünstelte Stimmführung dem psychologisch intensiven Ende hin ablegt – bewusst oder unbewusst.
Marouzé und Colin schöpfen sicherlich aus dem Konfliktpotenzial der sich physisch gegenüberstehenden Protagonistinnen. Die oben genannten Elemente schaffen aber aus einer eigentlich sehr viel versprechenden Ausgangslage eine für knappe 80 Minuten überraschend langatmige Theatervorstellung.
Die Umarbeitung eines Werkes in eine andere Gattungsart mag von so manchem Literaturfreund als redundant und nutzlos erachtet werden. Anstatt sich jedoch im Prinzip zu verbeißen, sollte man die Sinnhaftigkeit einer solchen Transformation am Ergebnis messen. Liefert die dramatisierte Umgestaltung einen Mehrwert? Le non de Klara ist kein Fehlgriff. Ein Gewinn lässt sich jedoch kaum erkennen, weder ästhetisch noch im Sinne dramaturgischer Unterhaltung.