Unter den zehn meistverkauften Büchern in Luxemburg 2011 befinden sich drei Kochbücher. Soviel Literatur ist nicht einmal unter den ersten zwanzig Titeln aufzustöbern. Man kann sich sogar fragen, ob überhaupt ein im engeren Sinn literarischer Titel auf dieser Bestenliste aufgeführt wird. Völlig normal! Essen muss man, lesen nicht. Kochen ist außerdem circa hundertmal schwieriger als lesen; neben der allgemeinen Fähigkeit, ein Rezept in ein Gericht zu verwandeln, braucht man Übung, Feinfühligkeit, Improvisationsvermögen, das richtige Gerät und Gemüse undsoweiter. Was da nicht alles schiefgehen kann! Der Umgang mit dem literarischen Buch ist dagegen immer gleich und immer simpel: Bleistift bereithalten, Welt ausknipsen, los. Man braucht sich also gar nichts darauf einzubilden, wenn man besser lesen kann als kochen.
Ohnehin bringt es nichts, Kochbücher nach literarischen Kriterien zu beurteilen. Man muss sie gebrauchen, um herauszufinden, ob sie für die je eigenen Zwecke und Essgewohnheiten taugen. Da wäre einmal die „new and improved“-Version des Standardwerks von Ketty Thull, dann Cucina mia, ein Buch mit Familienrezepten italienischer Einwanderer, und Die Welt zu Tisch, eine Sammlung von Rezepten luxemburgischer Meisterköche. Leider kann ich circa hundertmal besser lesen als kochen. Das mache nichts aus, sagt die Mutter, die auch unabhängig vom Klischee, dass immer die eigene Mutter am besten kocht, wirklich ganz fabelhaft kochen kann. Man müsse ja nur tun, was im Rezept steht.
Wir blättern und suchen ein Menü für das kommende Familienessen aus. Wir blättern und blättern. Es passiert, was immer passiert, wenn man in Kochbüchern blättert und blättert: Man bekommt ganz übel Hunger. Lass uns schnell eine Pasta kochen, sagt die Mutter. Aber ohne Fleisch, sage ich. Cucina mia ist nach italienischen Regio[-]nen eingeteilt, nicht nach Arten von Gerichten. Wenn man Zeit zum Lesen hat, kann man sich anhaltend mit diesem Buch beschäftigen. Die Kapitel werden mit Einzelporträts der Köche und ihrer Familien sympathisch eingeleitet und durch zahlreiche Bilder aus Familienalben und Wohnzimmern ergänzt, so dass eine Mischung zwischen einem Kochbuch und einer kulturgeschichtlichen Darstellung entsteht. Ich finde keine vegetarischen Nudeln und nehme Speck in Kauf. „Pasta e piselli“, streng nach Rezept. Und der Pfeffer? fragt die Mutter. Kein Pfeffer, sage ich. Wir essen schweigend. Das ist nicht unsere Art. Nun ja. Ich hole den schwarzen Pfeffer. Besser.
Das Sonntagsmenü beginnt mit einem „Safran Risotto“ aus dem von Carlo Sauber überarbeiteten Buch von Ketty Thull. Zunächst läuft alles nach Plan. Pfeffer? fragt die Mutter beim Rühren. Kein Pfeffer, sage ich und diktiere: „Butterstückchen und den Parmesan zugeben.“ Welchen Parmesan, will die Mutter wissen. In der Zutatenliste fehlt in der Tat der Parmesan. Kein Problem, sage ich, ich habe ja noch das alte Buch.
Leider hilft das nicht. Es gibt dort kein Rezept für Risotto. Wir verfahren also nach Gusto und es wird am Ende ganz gut. Die „Médaillons de veau, cerises rôties et blancs de poireau“ nach dem Rezept eines „luxemburgischen Meisterkochs“ folgen als Hauptgericht (die Großmutter erwartet Fleisch beim Sonntagsessen). Trotz unspektakulärer Zutaten schmeckt dieses Gericht großartig. Die Mutter freut sich über die präzise Anleitung und die genauen Mengenangaben. Das ganz traditionell und übersichtlich konzipierte Buch eignet sich insgesamt hervorragend zur Auswahl eines festlichen Hauptgerichts, wobei eine Vielzahl der vorgestellten Rezepte mit einem vernünftigen Budget zu bewerkstelligen ist. Wer mit Hummer und Trüffeln prunken will, wird hier aber genauso bedient.
Als Nachtisch soll es einen Klassiker geben. Das italienische Buch machen wir wieder zu, nachdem wir auf einen Kuchen gestoßen sind, für dessen Füllung allein man vierzig Eier braucht. Davor graust es die Mutter, das lassen wir sein. Nach diesem Schock lässt sie sich auch für Ketty Thulls Île flottante nicht mehr begeistern. Allein kann ich die nicht zubereiten, weil mir sofort klar ist, dass bei der nur ungefähren Angabe: „Zucker mit dem Zitronensaft schmelzen und karamellisieren lassen, ohne umzurühren und daraus Karamellfäden herstellen.“ eine unbeschreibliche, klebrige Katastrophe herauskommen wird. Wir einigen uns auf Ketty Thulls Apfelsoufflé, das auch im alten Buch enthalten ist. Die Innovation: Fünf Gramm weniger Mehl und die Äpfel werden gewürfelt, statt in feine Scheibchen geschnitten. Nachher wissen wir: Das schmeckt nicht schlecht, aber wir wollen das beim nächsten Mal trotzdem anders machen, – eher Vanille statt Zitrone, weniger Mandeln, ein guter Schuss Calvados und unbedingt die Scheibchen. Die Scheibchen müssen sein.
Bei den italienischen Keksen („Ciam[-]belletti all’anice“) geht etwas schief. Die Maschine rührt und rührt, doch der Teig bleibt zu flüssig. Die Mutter googelt und sagt, nicht das Rezept sei schuld, sondern ich. Das Rezept besteht aus drei Sätzen. Ich bin zerknirscht. Mit ein bisschen gutem Willen und Mehl wird der Teig schließlich doch noch formbar. So schön rund wie auf dem Foto werden meine Ciambelletti natürlich nicht und der Buttergeschmack ist auch nicht mein Fall (nächstes Mal: nur Öl). Immerhin knuspert der Vater eifrig, obwohl er Anis sonst nicht leiden kann.
Beim Kochen nach Kochbüchern scheint es zu sein – wie beim Kochen: Auf jeden Topf passen nur bestimmte Deckel. Wer sich ein schmuckes Kochbuch mit traditionellen Gerichten leisten will, greife zu Carlo Saubers Ketty Thull. Es ist ein sehr schönes, aber auch ein sehr unhandliches Buch, das viele einfache Rezepte enthält. Den Zweck des Originals erfüllt es nur bedingt. Es ist nicht mehr das umfassende Nachschlagewerk, das man hauptsächlich dazu benutzt, die Mengenangaben zu überprüfen, bevor man sich an eine eigene Interpretation des Rezepts macht. Wer die gute alte Ketty noch im Schrank hat, sollte sie nicht in den Papiercontainer werfen.
Cucina mia ist das interessanteste der drei Kochbücher, allerdings als Kochbuch nur mittelgut geeignet. Wer in diesem Buch nach Rezepten sucht, wird schnell merken, dass die Porträts der Köche mindestens so ansprechend sind wie die Kochanleitungen. Es fehlt ein nach Menügängen geordnetes Register, das die Planung eines größeren Essens erheblich erleichtern würde. Die Rezeptauswahl orientiert sich an der traditionellen italienischen Küche und wirkt daher notgedrungen sehr fleischlastig. Sie wird vor allem die Liebhaber herzhafter Mahlzeiten beglücken.
Am meisten Kochbuch für sein Geld bekommt der Hobbykoch bei Die Welt zu Tisch. Das Buch ist handlich, enthält zu jedem Gericht ein Foto mit den Zutaten und eines mit dem angerichteten Teller und bietet in genau beschriebenen Arbeitsschritten wenig Raum für Irrtümer. Für Anfänger ist es eventuell zu anspruchsvoll.