Seit dem Wirbel um die Schulreform haben die Pauker, wenn man verschiedensten Presseorganen glauben darf, die Banker als unbeliebteste Bevölkerungsgruppe überholt. Kein Wunder. Schon bevor sie in ihrer allseits bekannten Eigenschaft als manipulative Schufte ahnungslose Schüler aufwiegelten, hatte das Klischee sie längst des Schlendrians verdächtigt. Dieses Klischee lautet: Immer spazieren Lehrer unter der Woche am helllichten Tag gemächlich durch die Supermärkte, wenn Normalarbeitende noch den täglichen Büromief aussitzen müssen, und jedes Jahr verplempern sie etliche Sommermonate, in denen sie rein gar nichts zu tun haben, mit Langschläferei und tollen Reisen. Klausuren werfen sie gewöhnlich einfach die Kellertreppe hinab, um anhand der Stufen, auf denen das Geschmiere der Schüler liegen bleibt, die Höhe der Note zu eruieren. Sie lieben nicht ihre Arbeit, sie lieben nur das Geld und den Müßiggang. Ungefähr so.
Der Schriftsteller Roland Harsch (geb. 1951) und der Zeichner Carlo Schmitz (geb. 1959) sind Gymnasiallehrer und mit den entsprechenden Klischees sicher bestens vertraut. Wenn man ihrem Buch Duda. Kurioses aus dem Rotstiftmilieu aber eines entnehmen darf, dann das: Schüler zu unterrichten ist für diese Lehrer vieles, aber keinesfalls nur ein blöder Job, den es zwischen den Ferien möglichst aufwandfrei zu bewältigen gilt. Eher scheint es sich in diesen beiden Fällen so zu verhalten, dass zwar der Lehrer hin und wieder die Schule verlässt, aber so gut wie nie die Schule den Lehrer.
Duda enthält, neben den wunderbar gewitzten und feinen Zeichnungen, Gedichte und kurze Prosatexte, die den Schulalltag in verschiedenen Hinsichten, aber vor allem aus der Hinsicht des Lehrers, betrachten. Weil Selbstbetrachtungen Distanz zum eigenen Selbst erfordern, bieten sie eine ausgezeichnete Plattform für Ironie: Da steht der Deutschlehrer in seinem kleinkarierten Hemd, deklamiert den „Prometheus“, den er zu allem Überfluss auch noch als „größtes Revolutionsgedicht aller Zeiten“ ausgegeben hat, und hofft und bangt, dass der performative Widerspruch seiner Tertia nicht auffällt (vgl. S. 53ff.). Da eröffnet die gar nicht mehr so neue neue Rechtschreibung harte Unterscheidungskriterien zwischen Bettagen und Betttagen, die sich trefflich mit einem Büchner-Zitat unterlegen lassen.
Überhaupt, die Zitate: Es rilkt und schillert und goethet in Harschs Texten, dass es eine Freude ist. (Wenn sich aus „Caspar David Friedrich“ ein halbwegs vernünftiges Verb basteln ließe, könnte man Ähnliches von Schmitz’ Zeichnungen behaupten.) Was er unterrichtet, ist beileibe kein trockener „Stoff“, mit dem er höchstens ganz äußerlich zu tun hätte. Die Zitate sind hier kein Signum angeberischer Pseudo-Intellektualität, sondern wirken produktiv, indem sie sich in immer neuen Variationen abwandeln und parodieren lassen. Sie sind das Zeichen dafür, dass hier jemand mit Leib und Seele Lehrer ist, auch wenn es ihn grämt, dass sein Arbeitsplatz manchmal eher einem „Automatengetränkeumsatzsteigerungsinstitut“ gleicht als einer Schule (vgl. S. 112) und dass das Korrigieren nur einen bedingten Nutzen aufweist. So wird Duda zum teils heiteren, teils verdrießlichen (aber meistens heiteren) Selbstporträt der Autoren.
Sein Leben so luftdicht mit seiner Autorpersona zu verschränken, verwirrt natürlich die Literaturwissenschaftler, die stets fest damit rechnen, dass das sogenannte „lyrische Ich“ mit dem Ich des Autors nicht identisch ist. Das macht in diesem Fall aber gar nichts; der Anspruch ist nämlich nicht, große Literatur zu produzieren, sondern den Leser mit einer klugen Selbststilisierung zu unterhalten. Wer seinen Rilke so gut kennt, stoppelt nämlich bestimmt nicht unbedacht holprige Reimverschen zusammen (z. B. „Ja, in so mancher kalten Schule/ lässt walten man und schalten Coole.“, S. 111). Hier werden sämtliche Klischees vorgeführt, die das Fach im Kielwasser mit sich führt: Ein Gedicht ist, wenn’s reimt, und um des Versmaßes willen darf der Dichter (aber nur er) der Syntax einen Knacks verpassen. (Oder das neuere Klischee: In einem ernst zu nehmenden Gedicht darf keinesfalls gereimt werden.)
Duda. Kurioses aus dem Rotstiftmilieu ist eine Buch gewordene Liebeserklärung an die jeweiligen Fächer und an den Lehrerberuf insgesamt. Mehr noch aber ist es eine verstohlene Sympathiebekundung für die vielen „Dudas“, die Schüler, denen sich der Lehrer in seiner Laufbahn gegenüber sieht und die ihm – das muss man ihm durchaus glauben –, sehr am Herzen liegen, auch wenn er sich nicht alle Namen merken kann.