„Ambitiös“ nannte Chancengleichheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) am Dienstag im hölzern getäfelten Sitzungssaal im Kulturministerium das Vorhaben der Dreierkoalition, bis 2019 40 Prozent der Posten in den Verwaltungsräten der öffentlichen Einrichtungen und Institutionen mit Frauen zu besetzen. Es sei ein „sehr ambitiöses Ziel“, befand dagegen Wirtschaftsminister Etienne Schneider, der ebenfalls zur Pressekonferenz erschienen war.
Es sollte die einzige kleine Meinungsverschiedenheit bleiben. Beide Minister übten den Schulterschluss, waren bester Laune, wähnen sie sich mit ihrem Projekt doch auf bestem Wege. Gegen Ende 2013 waren lediglich 19,7 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder in öffentlichen Einrichtungen weiblich, 2014 erhöhte sich die Quote laut Regierung auf 22 Prozent. Von den neuen Stellen, die zwischen Januar 2014 und März 2015, wurden 37,5 Prozent von Frauen besetzt.
Der erfreuliche Gegentrend sei Mutschs Entschlossenheit zu verdanken, schmeichelte Schneider seiner Parteikollegin. Richtiger wäre: Mit der neuen Regierung hat auch das Vergabeverfahren geändert. Jedes Ministerium muss bei einer vakanten Nominierung prüfen, wie die Zusammensetzung in besagtem Gremium ist. Sind Frauen in der Unterzahl (was in den meisten Fällen so ist), sollen Kandidatinnen bevorzugt werden – oder zumindest begründet werden, wie sonst Frauen gefördert werden können. Ein Verfahren, das sogar schon zu Ablehnungen männlicher Bewerber geführt haben soll.
Damit sich niemand herausreden kann, man würde ja gerne, es gebe aber leider, leider keine geeigneten Bewerberinnen, hat die Regierung eine Konvention mit dem „Female Board Pool“ abgeschlossen. Der von der Ex-Bankerin Rita Knott geleitete, vom Gleichstellungsministerium mit 36 000 Euro bezuschusste Pool ist eine Datenbank, in der Frauen, die Interesse an einem Sitz in einem Verwaltungsrat haben, ihr Profil eintragen lassen können. Suchende Firmen können sich an den Female Board Pool wenden, der die Vermittlung übernimmt. Eine Win-win-situation für die betroffenen Frauen, aber auch für die Unternehmen.
Jedenfalls theoretisch. Denn obwohl sich bereits 400 Frauen mit unterschiedlichen Profilen in die Datenbank gemeldet haben, davon ein Großteil aus der Finanzbranche, sie in Kursen von professionellen Trainern auf ihre Führungsaufgabe vorbereitet werden, lassen sich die Anfragen aus der Wirtschaft an einer Hand abzählen: Eine erfolgreiche Vermittlung nennt Rita Knott auf Nachfrage. Eine Frau aus dem Pool sei in den Verwaltungsrat einer Versicherung vermittelt worden, die Anfragen zweier weiterer Firmen aus dem Finanzsektor würden derzeit geprüft, sagte Knott dem Land.
Dass Unternehmer so zurückhaltend ist, liegt vermutlich daran, dass es hierzulande keine gesetzlich verpflichtende Frauenquote gibt. Die Regierung will zuerst ihre Hausaufgaben machen, sagte Lydia Mutsch am Dienstag, bevor sie der Wirtschaft eine Quote vorschreibe. In Wirklichkeit waren Forderungen der Grünen und Teilen der LSAP nach einer Frauenquote in den Verhandlungen im Dezember 2013 zum Koalitionsabkommen am energischen Widerstand der DP gescheitert. Als Kompromiss setzt die Dreierkoalition darauf, wenigstens den moralischen Druck zu erhöhen, indem sie mit gutem Beispiel vorangeht.
Die Hoffnung, dass männliche Chefs aus eigener Einsicht weibliche Führungstalente stärker fördern, dürfte in Luxemburg indes ähnlich vergeblich sein, wie anderswo: In Deutschland führte SPD-Frauenministerin Manuela Schwesig im März gegen nahezu hysterischem Widerstand der Wirtschaft eine 30-Prozent-Quote für rund 100 börsennotierte Unternehmen ein, nachdem die konservativ-liberale Vorgängerregierung auf eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft gesetzt hatte – und nichts geschah. In Frankreich zierten sich die Unternehmen ähnlich, bis die Regierung 2011 eine 40-Prozent-Quote bis 2017 für Verwaltungsräte großer Unternehmen beschloss.
Bei Nichteinhaltung der Quoten sind Ernennungen (außer die von Frauen) ungültig. Das Gesetz, das inzwischen sogar der Arbeitgeberverband Medef unterstützt, beinhaltet einen Sanktionsmechanismus mit der Möglichkeit einer zeitweisen Aussetzung der Sitzungsgelder in den Aufsichts- und Verwaltungsräten bei Nichteinhalten der gesetzlichen Regelungen. Und siehe da, plötzlich fanden sich kompetente Kandidatinnen für Spitzenpositionen.
Doch während das Tabu Frauenquote unter Konservativen und Unternehmern allmählich aufweicht, wird das neue Interesse an weiblichen Führungskräften von Feministinnen zunehmend skeptisch gesehen. Dass Politiker überall in Europa sich Forderungen von mehr Frauen in Spitzenpositionen zu eigen machen, betrachten sie mit Argwohn und Sorge, nicht weil sie gegen eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an wirtschaftlichen und politischen Spitzenämtern wären, sondern weil ihnen die Art der Teilhabe und die Gründe nicht behagen. Diese sind nämlich meistens ökonomisch: Mit dem Versprechen, Unternehmen mit gemischten Führungsspitzen erzielten höhere Gewinne, wusste schon die damalige Europakommissarin Viviane Reding für ihren Plan einer europaweiten 40-Prozentquote zu werben. Nicht mehr Gerechtigkeit für alle, sondern mehr Gewinn für einige wenige sollte die Unternehmerschaft überzeugen.
Lean in heißt das Buch einer der einflussreichsten Unternehmerinnen in den USA, Sheryl Sandberg von Facebook, das in den USA monatelang die Bestsellerlisten anführte. Darin beschreibt die Facebook-Geschäftsführerin, dass Frauen heute alles haben könnten: wenn sie sich nur genügend anstrengen und den Mut haben, ihren Platz in der Unternehmenshierarchie zu fordern. Das Lean-in, für das Sandberg Zuspruch von Frauen aber auch von Wirtschaftsbossen bekam, löste unter Feministinnen in den USA und anderswo eine teils heftig geführte Kontroverse aus: Während die einen Sandberg als Beweis für den unaufhaltsamen Vormarsch von Frauen anführen, die mit Top-Ausbildung und Selbstbewusstsein zu Recht auf die Chefsessel drängen, sehen andere die feministische Idee verraten und ans Big Business verkauft. Feminismus sei ursprünglich angetreten, um kapitalistische und patriarchale Machtstrukturen zu brechen und zu verändern, sagen Theoretikerinnen wie Nancy Fraser.
Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin warnt vor einer „gefährlichen Liaison zwischen Neoliberalismus und Feminismus“, vor einem „Corporate feminism“, der dem Kapitalismus dient, statt ihn zu verändern. Schuld daran sei eine elitäre, wieder salonfähig gewordene neoliberale Ideologie, die auf das individuelle Fortkommen setze statt das ungerechte System dahinter infrage zu stellen. Fraser glaubt nicht an das „Trickle down“-Prinzip, das Sandberg beschwört, nach dem Motto: Wenn Frauen verantwortliche Posten in Wirtschaft und Gesellschaft einnähmen, dann profitierten automatisch alle Frauen davon. Prominente Beispiele wie Margaret Thatcher und Angela Merkel, bekannt für ihr eisernes Festhalten an der neoliberalen Austeritätspolitik, beweisen jedoch, dass eine Frau an der Spitze nicht automatisch einen sozialeren und solidarischeren Führungsstil bedeuten.
Der Luxemburger „Female Board Pool“ dürfte mit einer feministischen Vision einer gerechteren Gesellschaft, in der es weniger Armut und Ausbeutung aufgrund von Geschlecht oder Herkunft gibt, so viel gemein haben wie ein Scheck eines Rotary Klubs mit wirksamer Armutsbekämpfung. Rita Knott und ihre Initiative haben unbestritten das Verdienst, qualifizierten ambitionierten Frauen beim beruflichen Aufstieg mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Als Gegenleistung jedoch ist Anpassung verlangt: an die Verhaltensregeln und ungeschriebenen Gesetze der (vorwiegend männlichen) Chefs, an die Logik der Gewinnmaximierung. Waren es vorher Männer, die dank Seilschaften weiterkamen, gibt es heute kaum einen Kurs für angehende Führungsfrauen, der nicht die enorme Wichtigkeit des Netzwerkens betont. Frauen schulen ihr Selbstbewusstsein, bekommen von anderen Frauen Tipps, wie sie sich in der Männerwelt behaupten können. Dabei zählen nicht nur forsches Auftreten und die richtigen Kontakte, auch das Styling will gelernt sein, suggerieren Initiativen wie die US-amerikanische „Dressed for success“, das einen Ableger in Luxemburg hat. Eine Unterstützerin ist Christiane Wickler, die nach einem kurzen Zwischenspiel auf dem Krautmarkt als Abgeordnete der Grünen sich wieder ganz auf ihren Job als Pallcenter-Direktorin konzentriert. Dass es aber kaum die Kleidung ist, weshalb Frauen der Durchbruch durch die gläserne Decke schwerer fällt als Männern, sondern real existierende Machtverhältnisse, unterschlagen solche Initiativen. Das falsche Versprechen „Dressed for success“ oder „Lean in“ lautet: Wer sich schick anzieht, wer sich hartnäckig anstrengt und genügend anpasst, dem gelingt auch der Weg nach oben.
Dass neoliberalen Unternehmen dieser umdefinierte Feminismus zupass kommt, ist nur logisch, aber dass selbst Grüne dazu beitragen, die Mär vom selbstverdienten Erfolg weiterzutragen, zeigt, wie weit sich diese Partei von ihrer einstigen Fundamentalkritik an kapitalistischen und patriarchalen Machtverhältnissen entfernt hat. Ist man erst Mitglied eines elitären Klubs (oder einer Regierung), geht der Blick für die Nöte und Bedürfnisse der breiten Bevölkerung schnell verloren. Lean in eben. Zugespitzt, richtet sich der derzeitige Fokus der Genderpolitik an Frauen mit Führungsambitionen, während Putzfrauen und Erzieher_innen leer ausgehen. Dass für viele „Mentoring“ und „Gendermainstreaming“ nichts als leere Floskeln sind, wird ausgeblendet. Ebenso dass Frauen, die heute in Businessanzügen ihrem persönlichen Erfolg nachstreben, dies nur können, weil ihnen andere Frauen, meistens Einwandererinnen, zuhause den Rücken frei halten, in dem sie den Haushalt erledigen, die Kinder betreuen und einkaufen gehen.
Dabei merken viele Frauen nicht einmal, dass das Ideal der Frauenbewegung der 1970-er und 80-er Jahre – die Emanzipation der Frau vom Mann durch berufliche und finanzielle Autonomie – durchaus Schattenseiten hat, wie die wachsende Armut von alleinerziehenden Müttern (und deren Kindern) und geschiedenen älteren Frauen belegt: Der Mann als Alleinernährer der Familie mag ausgedient haben, Feministinnen haben zu Recht die Ideologie des „paternalistischen Sozialstaats“ angeprangert, wie Nancy Fraser analysiert. Doch die Emanzipation hat ihren Preis: Frauen verdienen heute meist nicht genug, um allein für die Familie zu sorgen. Zur Erwerbsarbeit kommt der Druck des Arbeitsmarktes hinzu: Flexibilisierung und Prekarisierung betreffen Frauen in der Regel stärker als Männer.
Spätestens wenn die Kinder kommen, wird auch der Letzten klar, dass eine gute Ausbildung keine Garantie ist für das berufliche Weiterkommen. Vom Karriereknick können Mütter ein Lied singen. Die schwarz-rote Regierung investierte massiv in Betreuungseinrichtungen, um so die Vereinbarkeit vom Beruf und Familie zu verbessern. Die Frauenerwerbsquote hat sich seitdem auf über 60 Prozent erhöht. Doch der Boom der Kindergärten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Väter sich weiterhin damit schwertun, ihren Teil der Erziehungsarbeit zu übernehmen. Firmen gehen davon aus, dass Babys zu wickeln und Kinder in die Schule zu bringen, nach wie vor Frauensache ist und sie die Männer dafür nicht zu entlasten oder freizustellen brauchen. Die blau-rot-grüne Regierung hat angekündigt, den Elternurlaub zu flexibilisieren, in der Hoffnung mit kürzeren Zeiten und höherem Elterngeld verstärkt Männer zu locken. Doch erstens wird die Summe, die der sorgende Vater für den dann vier- statt sechsmonatigen Elternurlaub bekommt, kaum den Lohnverlust ersetzen. Zweitens hätten Unternehmen künftig einen noch besseren Hebel, die Elternurlaubszeit so kurz wie möglich zu halten.
Während all diese ernüchternden Entwicklungen im Ausland kritisch hinterfragt werden, gibt es in Luxemburg kaum Gegenstimmen. Ob das daran liegt, dass die meisten Feministinnen von einst heute selbst weit über 40 Jahre alt sind, in gesicherten Positionen sitzen und für jüngere Generationen der Feminismus ein F-Wort ist? Oder ist die Gleichgültigkeit strukturell bedingt?
Nicht wenige Feministinnen heute assoziieren mit der „ersten“ Frauenbewegung die bürgerliche Frauenbewegung um die Jahrhundertwende, die insbesondere das Wahlrecht für Frauen forderte. Französische und britische Arbeiterinnen wollten dagegen nicht nur formal gleiche Rechte, sie hinterfragten grundsätzliche Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, etwa den Ausschluss von Frauen aus politischen und wirtschaftlichen Machtzirkeln und die Zementierung von Arm und Reich. Für sie war der Ausschluss von Frauen kein Zufallsprodukt, sondern begründendes Element des bürgerlich-kapitalistischen Systems. Die bürgerlichen Feministinnen und ihren „Emanzipationismus“ kritisierten sie als kurzsichtig und nicht weitgehend genug.
Inzwischen gibt es in Europa keine nennenswerte Arbeiterbewegung mehr und selbst viele Gewerkschafter haben sich von grundsätzlicher Gesellschaftskritik weitgehend verabschiedet. Feministinnen, die das kapitalistische System von Grund auf hinterfragen, wie Nancy Fraser oder die schwarze US-Amerikanerin Bell Hooks, gehören zu einer schwindenden Minorität. Das macht ihre Beobachtungen nicht weniger wertvoll. Auch in Luxemburg sind es kaum die Interessen von Arbeiterinnen, Zuwandererinnen, Grenzpendlerinnen und Frauen aus landwirtschaftlichen Familienbetrieben, die Gegenstand feministischer Forderungen und Ak-tionen sind. In Luxemburger Frauenorganisationen, wie das zeitgemäß um den Zusatz „Frauen und Gender“ erweiterte Cid-femmes oder im Conseil national des femmes, sitzen überwiegend weiße Akademikerinnen und Frauen der Mittelschicht.
Gefragt, wie sie zur Diversitätsbestrebungen stehe, also dazu, nicht nur Frauen, sondern weitere diskriminierte Gruppen wie Menschen anderer Hautfarbe oder Behinderte zu berücksichtigen, stellte Ministerin Mutsch klar, es gehe ihr bei der 40-Prozent-Quote nicht um „Frauen und andere Minoritäten“. Priorität haben die Frauen. Ex-Bankerin Rita Knott wird noch deutlicher: Bei dem Diversity-Konzept handele es sich darum, die Bedürfnisse des Unternehmens zu bestimmen, um „den jeweils richtigen Mix“ zu finden. Also den, der am meisten Gewinn verspricht? Mit dem Diversitätsverständnis schwarzer Feministinnen wie Bell Hooks, die seit Jahren die Blindflecken westlicher Feministinnen kritisiert und zu mehr internationaler Solidarität von weißen Mittelschichtsfrauen mit sozial und bildungsbenachteiligten Frauen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe aufruft, hat das klar nichts zu tun.
Die einseitige Fokussierung auf Frauen der gleichen sozialen Herkunft spiegelt sich übrigens auch in der Pionierinnen-Ausstellung wider, die die Fédération des femmes cheffes d’entreprise kürzlich in der Handelskammer zeigte: Das Gros der Frauen waren Luxemburgerinnen bürgerlicher Herkunft. Eine führte die Autogarage ihres Vaters allen Widrigkeiten zum Trotz weiter, eine andere übernahm ein Hotel oder eröffnete selbst ein Geschäft. Wenige hatten studiert, doch die meisten hatten finanzkräftige Eltern oder einen unterstützenden Ehemann an ihrer Seite. Was die Leistung dieser Frauen nicht schmälern soll, jedoch belegt, dass der Weg „nach oben“ für die Mehrheit der Frauen eben nicht die Regel ist, sondern individuelle Ausnahme bleibt. Und dass Chancen in diesem Wirtschaftssystem ungleich verteilt bleiben.
Die US-Feministin Nancy Fraser weist einen Ausweg aus dem kapitalistischen Klammergriff und der neoliberalen Vereinnahmung: wenn Feministinnen sich darauf besännen, dass Arbeit nicht alles ist, dass andere Arbeit als die klassische Lohnarbeit, wie Erziehungs- und Pflegezeiten, aufgewertet würden, sodass Frauen und Männer mehr Zeit für die Familie bekämen. Wenn Frauen zweitens, statt der neoliberalen Ideologie der individuellen Leistung zu folgen, solidarisch für die Belange und Nöte anderer Frauen einträten, deren Ausbeutung die Produktions- und Lebensverhältnisse im Westen erst ermöglichen, wenn sie sich drittens für partizipatorische Demokratie einsetzten, damit andere (Frauen-)Stimmen gehört werden (Wahlrecht für Ausländerinnen?) und sie dafür sorgten, dass das Primat der Wirtschaft über die Politik gebrochen würde. Aber wollen das die Frauen überhaupt? Und welche Frauen?