Land-Leser kennen das Foto vermutlich: Liebevoll rückt die Liberale Anne Brasseur dem frisch gebackenen Bürgermeister der Hauptstadt Xavier Bettel die Krawatte zurecht. Ein Bild aus dem Jahr 2009, das mehr als tausend Worte sagt: Die Burschen übernehmen das Zepter. Es ist, wie einige Parteimitglieder später sagen werden, der Beginn einer Wachablösung. Die Herrschaft der Grandes Dames der DP, Anne Brasseur, Colette Flesch und Lydie Polfer, ist vorbei. Der Nachwuchs verlangt mehr Einfluss. Es sind ambitiöse Männer in blauen Kostümen um Chefdenker Claude Meisch.
„Nur weil jetzt die Männer dran sind, ist das kein Schritt nach hinten für die Frauen“, sagt Lydie Polfer energisch. „Das ist eine normale Entwicklung.“ Für die Hauptstadt-Kulturschöffin steht fest: Frauen haben bei den Liberalen weiterhin gute Karten, politisch Karriere zu machen. „Unsere Wähler haben den Frauen immer das Vertrauen ausgesprochen. Ich hoffe, dass der positive Trend anhält.“
Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Es sieht so aus, als täte sich die DP nach einer Zeit starker Frauen zunehmend schwer, weibliche Kandidaten für sich zu gewinnen. Mit der Spitzenkandidatin Maggy Nagel im Osten sowie Simone Beissel, Anne Brasseur und Polfer im Zentrum stehen vier erfahrene Politikerinnen zur Wahl. Die Gescäftsfrau Corinne Cahen dürfte, neben RTl-Journalisten trotz Newcomer-Status Joëlle Hengen, gute Chancen haben. Ansonsten sind weibliche Liberale rar: Im Norden befindet sich unter neun Kandidaten eine Frau, im Osten sind von sieben drei Kandidaten weiblich. Schlusslicht bildet die Südliste, wo fünf der 23 Kandidaten Frauen sind.
Dass sich die Lage der Kandidatinnen vor den diesjährigen Wahlen nicht verbessert hat, moniert auch der nationale Frauenrat CNFL. Seiner Analyse zufolge wünschen sich die Wähler durchaus mehr Frauen in der Politik. Aber wünschen hat für die Frauenfrage noch selten etwas gebracht. Seit Jahren untersucht der Rat die Beteiligung von Frauen in Politik und Wirtschaft, ermahnt Parteien, für mehr Ausgewogenheit auf den Listen und bei den Parteiämtern zu sorgen. Trotzdem dümpelt der Frauenanteil an politischen Ämtern 2013 immer noch bei einem Viertel bis einem Drittel.
Bei der LSAP, bekannt für eine notorisch geringe Beteiligung von Frauen in politischen Führungsämtern, trotz gestandender Politikerinnen wie die scheidende Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres, die Escher Bürgermeisterin Lydia Mutsch oder die ehemalige Abgeordnete und amtierende Ombudsfrau Lydie Err, versprach Spitzenkandidat Etienne Schneider in einem Radio-Interview kürzlich, paritätische Quoten gesetzlich festlegen zu wollen. Skeptische (Frauen-)Stimmen aus seiner Partei begrüßen dies, fragen aber, warum die Parteiführung dem guten Vorsatz nicht gleich Taten auf den Listen folgen gelassen hat. Obwohl sich unter den Sozialisten etliche neu Gesichter tummeln, ist der Frauenanteil geradezu beschämend gering. Nur 15 der 60 LSAP-Kandidaten sind weiblich.
„Wir versuchen, Frauen so gut zu fördern, wie es geht“, beteuert LSAP-Fraktionspräsident Lucien Lux. Viele Frauen hätten keine Zeit, sich politisch zu engagieren. Diejenigen, die kandidieren, fördere man nach Kräften, etwa durch Pressekonferenzen, bei denen sich die Neulinge erste Sporen verdienen dürfen. Entgegen mancher Zickereien neidischer Parteikollegen, die fürchten, im späten Frauenfrühling zu kurz zu kommen. Andere sollten parteiintern, etwa über den Weg im parlamentarischen Sekretariat, aufgebaut werden – und sprangen unterwegs dann ab. Myriam Schanck etwa. Gerüchte halten sich, andere Frauen hätten der ehemaligen Fraktionssekretärin den wachsenden Einfluss nicht gegönnt.
Das Argument von Frauen, die sich in Machtspielchen zerreiben oder sich Politik nicht zutrauen, erklingt immer wieder. Und fragt man die Frauen, scheint etwas dran zu sein. Christine Schweich, LSAP-Schöffin in Monnerich, von der Parteimitglieder lobend sagen: „Von der werden wir noch hören“, ist erstmalig bei den Parlamentswahlen dabei. „Mich hat Politik schon im Lyzeum interessiert. Aber wenn mich Dan Kersch nicht gefragt hätte, wäre ich diese Wahlen eher nicht mitgegangen“, gibt Schweich offen zu. Die 29-jährige Anwältin gehört wie Taina Bofferding, Catia Conçalves und Tess Burton zu einer neuen Generation sozialistischer Frauen, die Aufwind verspüren. „Ich kenne viele junge Menschen, die politisch interesssiert sind“, glaubt Schweich, für die das Durchsetzen von Frauen in der Politik auch eine Frage des „Charakters und des Willens“ ist. Und von männlichen Mentoren. Die Zentrumskandidatinnen Francine Closener und Isabelle Medinger verdanken ihre Nominierungen ebenfalls männlichen Förderern.
Doch die Anstrengungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Frauenproblem bei den meisten Parteien gerade auch ein Führungsproblem ist und bleibt: Ob Partei oder Fraktion, an der LSAP-Spitze geben Männer den Ton an. „Wir haben selbstverständlich auch Frauen gefragt, aber sie wollten nicht“, verteidigt sich Lucien Lux. So sitzen auf dem Podium auf Parteitagen meist nur Männer um die 50. Als die LSAP auf ihrem Nationalkongress den neuen Spitzenkandidaten kürte, verschwand die einzige Frau auf dem Podium, Schatzmeisterin Jeanne Welter plötzlich aus dem Bild der Web-Kamera. Nicht absichtlich, aber die kumpeligen Männerszenen sagten viel über die fehlende Diversität der Partei aus. Nicht nur in punkto Frauen. Parteimitglieder mögen laut und schief in Videoclips die Internationale trällern: Aber die LSAP bleibt trotz 50 Prozent Ausländer - und Frauenanteil in der Bevölkerung weiß und männlich.
Mit dem Problem sind die Sozialisten freilich nicht alleine. Die CSV-Fraktion wird von einem Mann geführt, ebenso die Partei. Die 30-Prozent-Frauenquote für Parteiämter und -listen einzuhalten, ist den Christlich-Sozialen dieses Jahr schwerer gefallen als in den Jahren zuvor: Ausgerechnet im Norden, einstige Hochburg der Ex-Chancengleichheitsministerin Marie-Josée Jacobs, befindet sich unter neun Gesichtern nur eine Frau. Stattdessen wurde Promi-Kandidat RTL-Journalist Fränk Kuffer nominiert, zum Ärgernis vieler Parteimitglieder. Nicht aber für Christine Doerner. Nach Jahren aktiver Frauenförderung sei nun vielleicht die Zeit gekommen, „wo keine fiktiven Frauen mehr auf den Listen stehen“, so die CSV-Südkandidatin. „Die Quote will nicht viel heißen.“
Dass paritätische Quoten in der Tat kein Garant sind für mehr Frauen in der Politik zeigt das Beispiel von déi Lénk, die mit 29 von 60 Kandidaten den höchsten Frauenanteil verbuchen kann. Dort prägten in den vergangenen Jahren vor allem Männer das Bild: Neben dem Abgeordneten Serge Urbany die hauptstädtischen Gemeinderäte David Wagner und Justin Turpel. Mit Fabienne Lentz soll nun eine Frau nach vorne gepusht werden, allerdings muss die 34-Jährige an ihrem Auftreten feilen, wie ein Interview im Fernsehen zeigte. Die Luxemburger Piratenpartei teilt das Schicksal ihrer deutschen Kollegen: Auch wenn das Programm verspricht, die Piraten stünden für eine „zeitgemäße Geschlechterpolitik“, erscheint die Partei von außen eher unzeitgemäß: Junge IT-affine Männer bis 30 Jahre stellen die überwältigende Mehrheit der Parteimitglieder. Von Diversity keine Spur, Geschlechterquoten gelten überzeugten Piraten als Teufelswerk.
Anders Déi Gréng, die dank einer konsequenten Quotierung neben einem Parteisprecher auch eine Parteisprecherin haben. „Wäre ich nicht von Fränz Bausch gefragt worden, hätte ich mich aber vielleicht nicht so schnell zur Wahl gestellt“, räumt Sprecherin Sam Tanson ein. Für sie ist die Quote ein „Kerngedanke grüner Politik“. „Sie zwingt uns dazu, aktiv nach Frauen zu suchen“. Das sieht Carole Dieschbourg, grüner Shooting Star im Osten, ebenso. Sie fand den Weg zur Umweltpartei durch den Biobauern Romain Aendekerk, mit dem sie 2008-2009 gemeinsam die Ostsektion gründete. Selbstverständlich quotiert. „Wenn man sich umschaut, finden sich genügend Frauen“, weiß Dieschbourg aus Erfahrung.
Die Vize-Geschäftsführerin der Echternacher Mühle, für Déi Gréng im Parteivorstand aktiv, hat keine Kinder. Ein klarer Vorteil, denn Sitzungen finden oft abends nach der Arbeit oder am Wochenende statt. Zur Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie kommt für politisch aktive Mütter eine weitere Belastung hinzu: „Um sich neben Beruf und Familie politisch zu engagieren, braucht es einen verständnisvollen Partner und eine perfekte Organisation“, weiß Sam Tanson, Mutter eines vier Monate und eines zwei Jahre alten Sohnes. Babys sind auf grünen Parteikongressen zwar keine Seltenheit, trotzdem schränken manche Frauen – und vermehrt auch Männer – ihr politisches Engagement ein, sobald der Nachwuchs kommt. Für Kinderlose ist es etwas leichter. Andere haben zwar Zeit, finden jedoch nicht den Mut, sich wie viele ihrer männlichen Kontrahenten ins Rampenlicht zu drängen. Das müssen sie aber, zumal im Wahlkampf. Denn am Ende zählen die persönlichen Stimmen und sie bekommt, wer Flagge zeigt: auf Dorffesten, bei Einweihungsfeiern oder bei Podiumsdiskussionen in Funk und Fernsehen.
Gerade bei Letzteren herrscht chronischer Frauenmangel: Die Moderation der Talk-Runden liegt bei RTL meist fest in Frauenhand, aber geht es nach den TV-Auftritten der vergangenen Tage und Wochen, könnte der Eindruck entstehen, als gebe es bei dieser Wahl keine Frauen: Bei den Geprächsrunden der Spitzenkandidaten bleiben die Herren Juncker, Meisch, Bettel, Bausch und Schneider unter sich, obwohl die DP mit Maggy Nagel auch eine weibliche Spitzenkandidatin hat. Sogar bei der Bildungspolitik, ein Feld, das Frauen wie kein anderes dominieren, war es eine Frau unter neun Männern. Im Fernsehen waren mit der Grünen Viviane Loschetter und Sandra Kerth von der vom Ex-ADR-Abgeordneten Jean Colombera gegründeten Partei fir integral Demokratie (PiD) zwei Frauen vertreten. Beim Thema Wettbewerb waren die Männer dann wieder unter sich.
Das sagt einiges über die Aufgeklärtheit der Wahlkoordinatoren aus, denn die Parteien bestimmen oft selbst, wen sie vor Kamera und Mikro schicken. Es entspricht aber auch der vorherrschenden Meinung in der Bevölkerung: Laut CNFL-Umfrage traut die Mehrheit der rund 500 befragten Frauen und Männern Politikerinnen eher die Leitung „weiblich“ assoziierter Ministerien, wie das Familien-, Bildungs- oder das Gesundheitsministerium, zu als von so genannten harten „Ressorts“, wie das Finanz- oder gar das Staatsministerium. So dass es am Ende womöglich (auch) die Frauen sind, die mehr Frauen in der Politik verhindern: Wenn sie ihre Stimme vermeintlich kompetenteren Männern geben.