Man wolle keine Polemik, sagten auf einer Pressekonferenz vor einer Woche Jean-Marie Halsdorf (CSV), Bürgermeister von Petingen und Präsident des interkommunalen Gemeindesyndikats, welches in Niederkorn das Hôpital Princesse Marie-Astrid (HPMA) unterhält, und Raymond Lies, medizinischer Direktor der Escher Clinique Ste Marie und Generaldirektor der Betreiberstiftung St François-Ste Élisabeth, zu der auch das im Bau befindliche Kongregationskrankenhaus auf dem Kirchberg gehören wird. Um die geplante Zusammenarbeit zwischen Ste Marie und HPMA war es gegangen. Eine Zusammenarbeit, die nicht politisch motiviert sei und nicht gegen andere Krankenhäuser gerichtet.
Es ist nicht die erste Partnersuche dieser Art in der Krankenhauslandschaft, und in den nächsten Monaten dürfte darüber noch mehr zu hören sein, weil zum 1. Oktober 2003 der Gesundheitsminister die Zulassungen für die Dienste der Kliniken gemäß dem neuen Spitalplan vergibt. Bis dahin müssen potenzielle Partner ihre Strukturen ordnen. Das hauptstädtische Centre hospitalier und die Clinique d'Eich wollen kooperieren, ebenso die Clinique St Louis in Ettelbrück und die Klinik in Wiltz; das Escher Hôpital de la Ville und das Düdelinger Gemeindekrankenhaus stehen vor einer Fusion.
Ein paar Besonderheiten bestehen in der Kooperation von HPMA und Clinique Ste Marie aber doch. Wären nicht alle drei Trägergemeinden des HMPA (Petingen, Differdingen und Bascharage) mittlerweile ohne LSAP-Präsenz im Schöffenrat, wäre das Zusammengehen des HPMA mit der Kongregationsklinik Ste Marie wohl weniger denkbar. Dass dem nun anders ist, überrascht nicht angesichts des Vorrückens der CSV im Süden und insbesondere im Korntal. Die LSAP, die nach der Wahlnie-derlage auf nationaler Ebene standhaft den in schwarz-roten Koalitionstagen ausgehandelten Deal "Kongregationskrankenhaus auf dem Kirchberg gegen Reha-Zenter in Düdelingen" verteidigte, es aber hinnehmen musste, dass der neue liberale Koalitionspartner der CSV diesen Handel in ein "Reha-Zenter in die DP-geführte Hauptstadt" um-kehrte, muss nun eine weitere Erosion ihrer gesundheitspolitischen Visionen für den Süden wegstecken: 1994 hatte der damalige sozialistische Gesundheitsminister Johny Lahure während der Diskussion des damaligen Plan hospitalier der Kooperation unter den Kliniken das Wort geredet; ins Krankenhausgesetz vom 28. August 1998 hielt ein Artikel Einzug, der den Kliniken die Bildung von "Groupements" nahe legt. Ganz in diesem Sinne unterzeichneten am 1. Juni 1994 die städtischen Krankenhäuser von Esch, Düdelingen und die Clinique Ste Marie eine Konvention zur Bildung eines Centre hospitalier du Sud mit dem Ziel, "à assurer aux patients (...) des prestations hospitaliers d'un niveau de qualité le plus élevé possible, et dans le but d'exploiter d'une façon plus ration-nelle les moyens techniques et d'uti-liser plus judi-cieu-sement les ressources humaines et compétences intellectuelles (...) qui se concrétise par un regroupement des services spécialisés et des équipements y attachés (...)".
Vorgesehen war, dass die Düdelinger Klinik in Erwartung des Reha-Zenters sich mit Basisdiensten in Innerer Medizin und Chirurgie beschied, mit dem Escher Stadtkrankenhaus jedoch auf eine Kooperation in den Bereichen Gynäkologie, Entbindung und Kindermedizin hinarbeiten sollte. Darüberhinaus sollte die Clinique Ste Marie aus dem nur wenige hundert Meter entfernten Stadtkrankenhaus die Hals-Nasen-Ohren-Behandlungen sowie die Augenmedizin übernehmen. Im Gegenzug sollten urologische Behandlungen nur noch im Stadtkrankenhaus erfolgen. An dessen SAMU- und Nachtdienst sollten Ärzte aus der Clinique Ste Marie beteiligt werden. Angestrebt wurde auch ein Beitritt des HPMA zur Konvention, doch mehr als einen Beobachterstatus erlangte die Niederkorner Klinik nie.
Acht Jahre nach Unterzeichnung der Konvention über das Centre Hospitalier du Sud stimmt die Chemie nur noch zwischen den Stadtkrankenhäusern Esch und Düdelingen. Im Rahmen ihrer Fusionspläne möchten beide Häuser eine gynäkologische und Entbindungsklinik in Düdelingen einrichten. Dass die Zusammenarbeit zwischen dem Escher Stadtkrankenhaus und der Kongregationsklinik Ste Marie "nie so richtig funktioniert" habe, erklärte Ste Marie-Direktor Raymond Lies am letzten Freitag, und Lydia Mutsch, Bürgermeisterin von Esch und Verwaltungsratspräsidentin des Stadtkrankenhauses nennt sie "leider eine reine Zweckbeziehung". Meinungsverschiedenheiten um die Beteiligung der Ste Marie am SAMU- und Nachtdienst im Stadtkrankenhaus sowie um die Übergabe der Urologiestation aus der Ste Marie ans Stadtkrankenhaus führten im Jahr 2000 bis vor Gericht.
Es ist nicht auszuschließen, dass der Konflikt zwischen den beiden Escher Krankenhäusern erneut eines Schiedsspruchs von außen bedarf. Im Mai kündigte das Stadtkrankenhaus wegen der anhaltenden Differenzen die Zusammenarbeit mit der Clinique Ste Marie, aber die Kündigungsfrist beträgt zwei Jahre laut dem Übereinkommen zum Centre Hospitalier du Sud. Noch arbeiten Ärzte aus der Ste Marie im Notarzt- und Nachtdienst des anderen Hauses, und aus der ihr 1997 vom Stadtkrankenhaus übergebenen HNO- und Augenmedizin möchte die Clinique Ste Marie ein Standbein machen. Eine Rückgabe der Dienste hielt Ste Marie-Chef Lies vor einer Woche für "wohl nicht möglich".
Immerhin sind sie in der künftigen Krankenhauslandschaft nach dem Ende April vergangenen Jahres in Kraft getretenen Spitalplan Geld wert, für die Klinik wie für die dort als Belegärzte tätigen freien Mediziner. Für Hals-Nasen-Ohren- und Augenpatienten ist nach der aktuellen Carte sanitaire 1999, die Aufschluss über die Leistungen der Krankenhäuser gibt, die mittlere Liegedauer der Patienten mit 2,97 bzw. 3,56 Tagen so niedrig wie in keiner anderen Disziplin und machte weniger als die Hälfte der Liegedauer über alle Dispziplinen aus, die 1999 7,47 Tage betrug. Der Durchlauf von Patienten kann daher groß sein, die Auslastung der Betten auf den Stationen hoch, und der behandelnde Arzt kann viele Behandlungsakte bei den Krankenkassen abrechnen.
Doch der Spitalplan unterscheidet zwischen hôpitaux généraux mit mehr als 175 Akutbetten und hôpitaux de proximité, die unter dieser Schwelle liegen. Die 127 Betten um-fassende Clinique Ste Marie ist ein solches hôpital de proximité; abgesehen von Basisdiensten, Poliklinik, Palliatifstation zur Sterbebegleitung und eingeschränkter Intensivpflege sind ihr Spezialdienste wie Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Medizin nur erlaubt, wenn sie mit einem hôpital général kooperiert. Nach der gescheiterten Partnerschaft mit dem Stadtkrankenhaus ist das nunmehr das HPMA.
Dass beide Häuser sich zu "centres de compétence" entwickeln könnten, meint HPMA-Präsident Jean-Marie Halsdorf. Die Clinique Ste Marie in der HNO- und Augenmedizin, das HPMA etwa im Bereich orthopädische Chirurgie. Chirurgische Spezialdienste soll das HPMA von der Ste Marie übernehmen, sehen die Abmachungen vor. Derartiges sei mit dem Escher Stadtkrankenhaus, mit dem das HPMA ab Frühjahr 2001 über eine Kooperation verhandelte, die über den Beobachterstatus im Centre hospitalier du Sud hinaus gehen sollte, nicht zu erreichen gewesen: "Das Stadtkrankenhaus hätte die wichtigen Behandlungen vorgenommen und uns den Rest überlassen." Unannehmbar für eine Klinik, die laut Spitalplan den selben Status hôpital général genießt wie ihre Verhandlungspartnerin.
Wie weit die Gespräche gegangen waren, ist nicht genau nachzuvollziehen, da Lydia Mutsch meint, das HPMA habe den Kontakt zu einem Zeitpunkt abgebrochen, da alle Optionen noch offen waren. Es st-ellt sich jedoch die Frage, ob die Partnerschaft des HPMA mit der Clinique Ste Marie tatsächlich zu einer starken werden kann. Mit Überlassung chirurgischer Leistungen rechnet das HPMA, laut Carte sanitaire aber war die Clinique Ste Marie 1999 das einzige Krankenhaus im Lande, dessen Behandlungen in allgemeiner Chirurgie zurückgingen. In orthopädischer Chirurgie gab es einen leichten Zuwachs, aber im HPMA selbst war die Zahl der Eingriffe noch immer vier Mal höher als in der Ste Marie. In der Thoraxchirurgie war der Rückgang der Be-handlungen in der Ste Marie doppelt so groß wie der Zuwachs im HPMA, desgleichen in der Viszeralchirurgie. Einzig in der Urologie, die künftig im HPMA zentralisiert werden soll, könnte die Clinique Ste Marie, die halb so viele Behandlungen durchführte wie das HPMA, dem großen Partner Wesentliches beisteuern.
Probleme könnten beiden Häusern jedoch auch von anderer Seite erwachsen: Der Spitalplan vom April 2001 hatte vor allem Bettenökonomie betrieben, über Spezialdienste nur allgemeine Ausagen gemacht. Dass Normen für die Einrichtung welcher Dienste an welchem Ort aufgestellt werden müssten, hatte der Statsrat in seinem kritischen Gutachten zum Spitalplan angemerkt. Derzeit arbeitet das Gesundheitsministerium an einer entsprechenden großherzoglichen Verordnung über die Strukturierung der Spezialdienste; die im Oktober 2001 als Vorarbeit dazu durch ein externes Audit erstellten Réflexions et propositions pour l'attribution des services médicaux aux hôpitaux kommen unter anderem zu dem Schluss: "La réus-site du traitement du patient est liée au fonctionnement effectif de la chaîne de prise en charge." Und: "les compétences, les équipements et les patients bénéficiaires de ces moyens sont à concentrer géographiquement à l'intérieur de chaque hôpital". Im Gesundheitsministerium wird in den "chaînes de prise en charge" bereits gedacht: ein Haus, das Hals-Nasen-Ohren-Be-handlungen durchführt, reiche für den Süden völlig aus. Doch: Noch immer und auch während der Partnerschaft zwischen Clinique Ste Marie und dem Escher Stadtkrankenhaus führte Letzteres in der Südregion rund 45 Prozent aller Hals-Nasen-Ohren-Behandlungen durch, weil es sich um Behandlungen an Kindern handelte und es über eine Kinderstation verfügt, auf welche die jungen Patienten nach der Spezialbehandlung verlegt werden. Die Clinique Ste Marie besitzt dergleichen nicht. Zwar gibt es eine Kinderstation im HPMA, die etwa an den Mandeln operierte Kinder aus der Ste Marie aufnehmen könnte. Aber sie ist derzeit ohne Kinderarzt.
Auch wenn die Vertreter beider Häuser sich vor einer Woche sehr zuversichtlich gaben und von "neuem Elan" sprachen: leicht werden die gewünschten Synergien nicht zu haben sein. Das dürfte sich vor allem der Leiter der Clinique Ste Marie und Präsident der Kongregationsstiftung wissen, der während der langen Debatten um den Bau des Kongregationspitals auf dem Kirchberg stets damit argumentiert hatte, die drei Kongregationshäuser in der Hauptstadt seien allein zu klein und müssten unter einem Dach regruppiert werden. Folgt man diesem Gedanken, dann führte kein Weg vorbei an einer engen Konzertierung aller Südkliniken. Was umso vernünfiger wäre, da jenseits der nahen Grenzen in letzter Zeit verstärkt große Klinikverbünde entstehen. Und es könnte ja sein, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch Krankenhausleistungen auf dem EU-Binnenmarkt so frei handelbar werden wie ambulante Behandlungen es jetzt schon sind.