Mit Erleichterung hat die Union des caisses de maladie (UCM) zwei Urteile aufgenommen, die der Europäische Gerichtshof am Donnerstag letzter Woche gefällt hat. Thema der Affären Geraets und Vanbraeckel war die Frage, inwiefern medizinische Leistungen dem Gebot der freien Handelbarkeit auf dem EU-Binnenmarkt unterliegen, und ob die Krankenkassen Bürgern eines Mitgliedsstaates, die sich zur Behandlung in einen anderen begeben, die dabei anfallenden Kosten selbst dann rückerstatten müssen, wenn die Behandlung im Ausland nicht vorab durch die Kasse genehmigt wurde.
Dass für ambulante Behandlungen ein Vorabentscheid nicht nötig ist, hatten die Europa-Richter bereits im April 1998 entschieden. Das Urteil vom 12. Juli hinegen bezieht sich auf Krankenhausbehandlungen. Die, so der EUGh, seien zwar ebenfalls als Ware auf dem Binnenmarkt anzusehen. Berücksichtigt werden müsse jedoch, dass innerhalb der Mitgliedsstaaten eine jeweils eigene Hospital-Infrastruktur besteht, die nicht in ihrem Bestand gefährdet werden darf. Die Kosten für eine Behandlung im Ausland seien deshalb ohne Vorabentscheid von den Kassen nur dann zu übernehmen, wenn im Heimatland des Patienten die Behandlung entweder gar nicht oder nur in unangemessenem Maße angeboten wird.
Eine Frage, die von den Patienten allein freilich kaum zu beantworten sein wird. Allerdings würden laut UCM bereits heute nur fünf Prozent aller Anfragen auf stationäre Auslandsbehandlung abgelehnt, und das seien Fälle, die in Luxemburg nicht nur bewältigt werden könnten, sondern für welche Kliniken und Ärzte auch über ausreichende praktische Erfahrung verfügten.
Vorrangig pekuniäre Erwägungen sind es ohnehin nicht, die die UCM bewegen. Schon der Richterspruch von 1998 in der Affäre Kohll-Decker legte fest, dass die Krankenkassen ambulante Auslandsbehandlungen nur in Höhe des daheim üblichen Honorarsatzes erstatten müssen - rein rechnerisch müsste die UCM dabei nichts verlieren. Was sinngemäß auch zugetroffen hätte, wären die Richter am 12. Juli ebenfalls zu einem gegenteiligen Urteil gelangt: die Lohnkosten in Luxemburg sind im EU-Vergleich hoch genug, dass die Kassen die Bezahlung einer Auslandsbehandlung sogar billiger zu stehen kommen kann als eine im Inland.
Dennoch: Wäre vor einer Woche jeder Klinikaufenthalt für frei handelbar erklärt worden, hätte das am Luxemburger status quo gerüttelt. Da 80 Prozent der Krankenhausbehandlungen im Rahmen der Klinikbudgets verrechnet werden, gibt es dafür keine Tarife, die auf Auslandsbehandlungen anwendbar wären. Ein Richterspruch für mehr Liberalität hätte eine unmittelbare politische Implikation gehabt: Schon das Urteil von 1998 hatte nicht nur die Diskussion um die Qualität des hiesigen Gesundheitswesens angeheizt, sondern seitens der frei praktizierenden Mediziner Forderungen nach der Zulassung von Privatbehandlungen laut werden lassen, wie sie derzeit noch ausgeschlossen sind. Wäre diese hochpolitische Diskussion auf den Klinikbereich ausgedehnt worden, hätte Gesundheits- und Sozialminister Carlo Wagner sich nach Spitalplandebatte und Rententisch wohl auf einen gesundheitspolitisch heißen Herbst einstellen müssen.