Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, Forschung und Praxis ist für jede akademische Einrichtung von größter Bedeutung. Gesellschaft und Öffentlichkeit erwarten, dass Wissenschaft Nutzen stiftet und somit dem öffentlichen Interesse dient: durch die Bereitstellung von Forschungsergebnissen, durch die Übernahme von Bildungsleistungen und Vergabe von Abschlüssen, durch die Zusammenarbeit mit der Praxis. Während Programme wie Pathways to impact in England gesellschaftlichen Nutzen sehr dezidiert einfordern, werden die Universitätsmitglieder zugleich aufgefordert, Wettbewerbsfähigkeit und Exzellenz unter Beweis zu stellen, und zwar anhand quantifizierbarer Kenngrößen. Beides, gesellschaftlicher Impakt und international wettbewerbsfähige Exzellenz, wird parallel erwartet. Dabei bleibt oft unklar, wie Nützlichkeit eigentlich genau definiert wird und vor allem: von wem. Diese Erwartungshaltung hat die Agenda der Universitäten in jüngster Zeit jedenfalls erheblich geprägt.
Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit grundlegenden Veränderungen im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, die in vielen Ländern zu beobachten sind. Die Beziehung von Forschung und Politik ist kritisch geworden: Das Lob für die Wissensgesellschaft ist allgegenwärtig und darf im politischen Raum bei keiner Festrede fehlen; dagegen sehen sich die Hochschulen – vor allem die klassische Volluniversität, vor allem kleinere Fächer, Humanwissenschaften – in ihrer Autonomie und Wertschätzung in Frage gestellt. Politische Imperative und insbesondere unternehmerische Ziele (wie Wettbewerb, Fundraising, Accountability, Befristung von Arbeitsverträgen) müssen in das eigene Handeln integriert werden. Damit verändert die Politik nicht nur das wissenschaftliche Arbeiten, sondern definiert vermutlich auch neu, was es zu erforschen gilt (und was nicht). Damit wird die Wissensbasis der Gesellschaften neu ausgerichtet.
Diese Tendenzen treten vermutlich umso direkter ins Bild, je überschaubarer die politisch-administrativen Verhältnisse jeweils sind. Kleinstaaten sind (auch) in dieser Hinsicht sehr spezifisch und zugleich ambivalent. Einerseits bieten sie schnellen Zugang zu Entscheidungsebenen und somit auch zum „Feld“ der Forschung an sich; in den Fällen, wo Hochschulneugründungen Teil einer forschungspolitischen Agenda sind, zeichnen sie sich durch stetige Expansion und großzügigen Mittelzufluss aus. Dies macht die Arbeit an solchen Standorten sehr attraktiv, deutlich reizvoller als an den ausgezehrten Hochschulen großer Länder, die bei politisch verordnetem Wachstum verstärkt um real stagnierende Mittel konkurrieren müssen.
Andererseits scheinen sich Kleinstaaten durch eine sehr exponierte, wenn nicht extraktive Haltung gegenüber ihren Wissensproduzenten auszuzeichnen. Der Soundtrack des „Uni – fir wat?“ ist hierzulande weit verbreitet. Entsprechend groß ist die Erwartung, dass die hohen Investitionen in die Universität und die öffentlichen Forschungszentren (CRPs) einen kalkulierbaren Return an Wissen, Patenten und Marktchancen zurückspielen. Sie ist oft linear, das heißt als Folge gewährter Investitionen werden vorab definierte Ergebnisse erwartet, was auf allen Ebenen (Medien, Parlament, Regierung) sehr direkt artikuliert wird. Diese Erwartung an sich ist aber noch kein Problem – das Problem ist die lineare Denkweise, ist die mechanistische Annahme, für x Input gäbe es y Output; zugleich gibt es Befunde und Deutungen, die der Praxis nicht gelegen sind (inconvenient knowledge). Insofern kommt es ganz auf die Bedingungen an, unter denen die skizzierten Erwartungen an die Wissenschaft gerichtet werden, und wie die Beteiligten damit umgehen.
Die Forderung an die Wissenschaft, gesellschaftlichen Nutzen zu stiften, gilt nicht für alle akademischen Disziplinen gleichermaßen. Grundlagenforschung in der Philosophie oder in den Naturwissenschaften wird erfahrungsgemäß anders bewertet als etwa die Ingenieurs- oder die Gesundheitsforschung, die sich selbst als praxisorientiert oder angewandt verstehen dürften. Der Teufel liegt meist im Detail der Praxis.
Nehmen wir als Beispiel Geografie und Raumplanung: Beide Felder sind mit dem Doppelcharakter von wissenschaftlichen und real-weltlichen Problemen befasst. Sie gehen sowohl Erkenntnisfragen als auch praktischen Herausforderungen nach, um Wissen zu identifizieren, Probleme zu bewerten, gegebenenfalls Lösungsansätze zu finden. Dabei stellt die Raumplanung einen Hybrid aus einer akademischen Disziplin und einem Ingenieurzweig dar: Planung zielt darauf ab, räumliche Beziehungen zu verstehen, vergleichend zu bewerten und schließlich auch zu optimieren. Eine positivistische, das heißt lineare Lesart dieser Annahme ist, dass Planung eine rational geordnete räumliche Umgebung schaffe, während die Geografie brauchbares Wissen für den damit verbundenen Transfer bieten kann. Eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Politik, Forschung und Praxis würde helfen, diese Ziele zu erreichen.
Nach mehr als einer Dekade Lehr- und Forschungserfahrung im Großherzogtum kann man diese bewährten Vorstellungen über die Interaktion von Wissenschaft und Politik durchaus hinterfragen. Dass das Terrain der gemeinsamen Arbeit zwischen Universität und Praxis noch ausbaubar ist, liegt womöglich am Charakter des wissenschaftlichen Diskurses, der nach strukturellen Problemdimensionen sucht, prinzipiell kritisch und offen ist. Dagegen hebt der Ansatz der Politik auf Konsens und direkt verwertbare Lösungen ab – vor allem auf solche, die in den Mainstream des politischen Betriebs passen. Dabei wird die Bringschuld für tragfähige Ansätze primär bei der Wissenschaft verortet; Startpunkt möglichen gemeinsamen Nachdenkens sind durchgängig die Problemsichten der Praxis. Im Licht der strukturellen Herausforderungen der Raumentwicklung Luxemburgs (siehe etwa das anhaltende Wachstum) wäre es aber schon ein Gewinn, innezuhalten und verschiedene Interpretationen des Problems zuzulassen, bevor es um Lösungen geht.
Was tun? Ein populärer Ansatz hat sich auch hierzulande unter dem Begriff der „Ko-Produktion“ von Wissen entwickelt. Die These ist, dass die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen durch Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit die Kreativität des Prozesses und eine damit verbundene Innovation des Resultats gewährleistet. Unterstellt wird, dass kollektives Handeln Pläne besser macht als zuvor. Dabei wird Verantwortung in zunehmendem Maße auf die Öffentlichkeit verlegt: Partizipation gilt als vorerst letzter Schrei einer neuen Planungskultur. Das damit einher gehende Versprechen ist jedoch nicht leicht einzuhalten. Es ist mit komplexen, nicht-trivialen Problembündeln konfrontiert, die sich nicht einfach kommunizieren, geschweige denn auflösen lassen.
In dieser Gemengelage könnte die Forschung den Diskurs erheblich inspirieren. Doch bei vielen, auch in Luxemburg zunehmend populären, Workshops und Kreativlaboren wird die Situation immer wieder neu beschrieben, praktisch von Null auf – ohne dass bestehende, sehr konkrete wissenschaftliche Expertise zur Einordnung des Problems abgerufen würde. Zugleich werden Interessenkonflikte sowie die harten Rahmenbedingungen des politischen Entscheidens außer Acht gelassen. Partizipation ernst genommen setzt aber voraus, dass Macht thematisiert und geteilt wird. Insofern ist offen, ob laborähnliche, konsensorientierte Strategien es Wissenschaftlern und Praktikern erlauben, sich im oft chaotischen und trivialen Umfeld der Politik, ihren „trüben“ Wassern souverän zu behaupten. Erfolgreiche Ko-Produktion erfordert, mit Herausforderungen wie Hierarchie, Macht und institutionellem Powerplay robust umgehen zu können, das Nicht-Sagbare zu thematisieren. Auch hier könnte man empirisch fundiertes wissenschaftliches Wissen in lokale Diskurse einspeisen – eine Möglichkeit, die Staat und Gemeinden im Land zumindest mit Blick auf Raumplanung und Urbanismus bis vor kurzem kaum genutzt haben.
Positiv formuliert, sind die Kriterien für eine produktive Bespielung der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik klar: Man muss die jeweiligen Handlungsbedingungen beider Seiten kennen und anerkennen; es muss ein wechselseitiges Interesse an, beziehungsweise Respekt vor den Problemsichten der beteiligten Akteure geben; Offenheit für begründete Kritik ist unerlässlich, um aus dem gemeinsamen Diskurs einen tragfähigen Weg für die Praxis zu machen; schließlich muss in einer gemeinsamen Sprache kommuniziert werden. Das Resultat wäre ein im Kern reflexives Zusammenspiel der jeweiligen Akteure, in dem die VertreterInnen der Politik die Rolle der „reflective practitioners“ übernehmen, während die Wissenschaft eine ebenso gründliche wie umfassende Sensibilität für Probleme der Praxis an den Tag legt.
Allerdings wäre es ein Missverständnis, von der Forschung per se zu erwarten, dass sie Probleme löst. Niklas Luhmann zufolge ist es Aufgabe der Wissenschaft, die richtigen Fragen zu stellen – mit Blick auf eine zunehmend als komplex wahrgenommene Umwelt. Über das gemeinsame Ausloten von Handlungsspielräumen ließen sich dann Pfade des Wandels aufzeigen – während man zugleich akzeptiert, dass Wissen kontingent (das heißt offen, nicht eindeutig bestimmbar beziehungsweise planbar) und immer auch lokal gebunden sowie sozial beziehungsweise politisch konstruiert ist. Diese Einsichten an sich zu akzeptieren, könnte man schon als lohnenden Erkenntnisgewinn verbuchen – und zwar für Wissenschaft und Politik. Voraussetzung ist, dass beide dies wollen.