d’Lëtzebuerger Land: Professor Ottersten, das Institut, das Sie leiten und das dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert, heißt „Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust“. Man könnte glatt meinen, dort würde über soziale Werte geforscht. Tatsächlich geht es um ICT. Sind dort Sicherheit, Zuverlässigkeit und Vertrauen das, was besonders zählt?
Björn Ottersten: Das sind die Schlüsselbegriffe, die wir 2009 zur Gründung des Instituts benutzten. Ich finde sie heute noch relevanter.
Relevanter als Eigenschaften wie Bandbreite, Verarbeitungsgeschwindigkeit oder Speicherkapazität?
Die muss man beim Entwurf von ICT-Systemen natürlich in Betracht ziehen, aber Leistung muss unter Anforderungen an Sicherheit und Zuverlässigkeit geliefert werden. Das SNT ist kein Zentrum für IT-Sicherheit, unser Blickwinkel ist viel breiter. Mit „Zuverlässigkeit“ ist gemeint, dass ICT-Systeme fehlertolerant sein müssen, gleichzeitig keine Fehlerstellen enthalten sollten, und so fort. „Vertrauen“ wiederum ist ein menschlicher Aspekt: Die Nutzer müssen ein ICT-System für vertrauenswürdig halten. Deshalb modellieren wir in verschiedenen Projekten Mensch-Maschine-Interaktionen.
Es gibt an der Universität noch zwei andere interdisziplinäre Forschungszentren, das Luxembourg Centre for Systems Biomedicine und das Centre for Contemporary and Digital History. Beide Namen suggerieren akademische Forschung. SNT steht abgekürzt für „Security and Trust“. Das klingt wie eine Marke.
Der vollständige Institutsname ist zu lang. Wir wollten etwas Kurzes haben; wenn es leicht wiedererkennbar ist, umso besser. Akademische Forschung spielt bei uns eine große Rolle. Das „Modell SNT“ lautet, Forschungsresultate möglichst schnell praktisch anwendbar zu machen, Ideen aber gewinnen wir aus einem breiten Spektrum von Wissen und Problemen. Bei uns findet auch statt, was man Grundlagenforschung nennt, doch die ist stets durch die Praxis inspiriert. Wir arbeiten mit Praktikern zusammen. Was sie uns an Problemen und Fragen vortragen, führt zu neuen Forschungsthemen, aus deren Resultaten wir neue anwendbare Lösungen zu gewinnen versuchen. Das ist eine Feedback-Schleife zwischen den Praktikern und uns.
Das SNT unterhält Forschungspartnerschaften mit Firmen und Organisationen. 2015 waren es 25, 2018 schon 43. Partner sein heißt, in die Forschung des SNT zu investieren. Wie überzeugen Sie jemanden davon?
Das ist der Trick ... (lacht). Das Partnerschaftsprogramm ist ganz wichtig für uns. Die Tätigkeit des SNT muss im Kontext des Landes sinnvoll sein – darauf kam es mir bei seiner Gründung an. Wir könnten unendlich viele Themen bearbeiten, aber in Luxemburg müssen wir uns fokussieren. Wir entschieden uns für Gebiete, in denen sich Partnerschaften aufbauen lassen würden. Die Partnerschaften formen also unsere Forschungsrichtungen mit. Sie beeinflussen, wo wir investieren, welche Mitarbeiter wir einstellen, und so weiter. Letzten Endes versuchen wir, Synergien zwischen öffentlichen und privaten Investitionen herzustellen.
Das SNT entstand nicht ganz von Punkt Null aus. Ab 2002, noch vor Gründung der Universität, gab es Liasit, die „Luxembourg International Advanced Studies in Information Technologies“.
Damals waren drei oder vier Fakultäten ausländischer Unis interessiert daran, Forschung in Luxemburg zu entwickeln. Doktoranden aus dem Ausland arbeiteten mit hiesigen Firmen, bekamen ihren Titel aber von ihrer Heimat-Universität. So wurde ich involviert. Liasit war ein sehr lehrreiches Pilotprojekt. Als ich SNT-Gründungsdirektor wurde, wusste ich schon etwas von Luxemburg und seiner Innovationslandschaft, hatte mit Firmen wie SES und IEE gearbeitet.
Sie waren vorher Dekan des Bereichs Elektroingenieurwesen am Königlichen Institut für Technologie in Stockholm. Was führte Sie nach Luxemburg?
Ich lebe schon seit 20 Jahren hier. Meine Frau arbeitet an der Europäischen Investitionsbank, 1999 zogen wir mit der Familie hierher. Anschließend war ich zehn Jahre lang wöchentlicher Berufspendler zwischen Luxemburg und Stockholm. Das machte mir nichts aus, ich liebte meine Arbeit am KIT und hatte viel Energie in den Aufbau eines Forschungsteams investiert. Aber als die Möglichkeit sich bot, hier etwas Neues aufzubauen, war das die richtige Gelegenheit zur richtigen Zeit – wie das oft so ist.
Wuchs das SNT aus Liasit heraus?
Vor allem spielten äußere Umstände eine Rolle bei der Gründung nicht nur des SNT, sondern auch des LCSB. Das LCSB war eine Initiative des Wirtschaftsministeriums, das SNT ging stark auf die Industrie zurück: Sie fand, dass es dieses Zentrum geben sollte. Einen Transfer vom Liasit zum SNT gab es nicht, eher ein Aufbauen auf bestimmten Erfahrungen.
Unter den Partnern des SNT sind Technologiefirmen, Unternehmen aus der Finanzbranche, Verwaltungen, Organisationen. Wirken sie alle zusammen, via SNT?
Die Partnerschaftsabkommen sind bilateral, wir arbeiten mit jedem Partner auf bestimmten Projekten. Dass wir ein Projekt mit mehreren Partnern verfolgen, ist die Ausnahme. Die Partner achten in der Regel sehr auf ihre Daten und Systeme und wollen die nicht mit anderen teilen. Wir respektieren das. Entwickeln wir für einen Partner eine Technologie, ist das eine Schlüsseltechnologie: Sie hat zu tun mit dem, was für ihn besonders sensibel ist. Das SNT arbeitet aber auch in Konsortien an EU-Projekten mit. Da kooperieren viele Akteure.
Kamen die ersten Partner aus der Finanzbranche?
Nein, das waren Firmen wie SES, die Post oder Telindus. Mit der Finanzbranche hatten wir vor zehn Jahren noch nicht viel Erfolg, ihr Interesse an Technologie und Digitalisierung ist erst seit rund fünf Jahren mit Fintech gewachsen, sehr schnell allerdings. Wir haben in dieses Gebiet gezielt investiert. Vor etwa drei Jahren begann sich das auszuzahlen, als wir gleich mehrere Partner aus der Finanzbranche gewannen. Mittlerweile haben wir 14 Partner von dort und dieser Bereich wächst besonders schnell.
Sind Firmen in der Regel an kurzfristigen Lösungen interessiert, und ist es schwierig, sie an etwas Längerfristiges zu binden?
Eine typische Partnerschaft wird für vier Jahre abgeschlossen, was für den Privatsektor recht lang ist. Doch das SNT ist nicht einfach ein Dienstleister. Wir wollen Probleme angehen, zu deren Lösung Forschung nötig ist, und neben der Problemlösung auch wissenschaftlich exzellent sein. Dazu braucht man Projekte mit längerer Laufdauer, und es ist eine der Haupt-Herausforderungen, die Partner zu überzeugen, dass das interessant für sie ist. Erfreulicherweise sind fast alle, die wir gewinnen konnten, nach wie vor Partner und erneuern ihre Projekte immer wieder. Vor ein paar Jahren kam BGL BNP Paribas hinzu, startete gleich drei Projekte mit uns und ein Jahr später drei weitere. Nun ist diese Partnerschaft eine der intensivsten.
Könnte das SNT an Fokus verlieren, wenn immer mehr Branchen ICT zu nutzen beginnen und das Institut parallel mitwächst?
Berechtigte Frage. Wir begannen 2009 mit Operateuren, System-Integratoren und Cloud-Dienstleistern. Dann kamen Partner aus dem Finanzsektor hinzu. Vergangenes Jahr schlossen wir eine Partnerschaft mit einer großen Anwaltsfirma ab und eine mit einem Versicherungsunternehmen. Aber während wir tatsächlich immer neue Sektoren erschließen, sind die Technologien, um die es jeweils geht, solche, in denen wir über Expertise verfügen. Wir haben zwei große Teams in Software Engineering. Wir haben Expertise in Machine Learning, in natürlicher Sprachverarbeitung, in Kryptologie. Wir haben Automatisierung, Robotik und Signalverarbeitung. Im internationalen Vergleich sind wir noch nicht groß.
Der Jahresbericht 2018 erwähnt, das SNT sei präsent in drei von vier europäischen Netzwerken für Cybersicherheit, mehr als jedes andere Institut. Das klingt beeindruckend, wie gelang das?
Diese Netzwerke hat die EU-Kommission eingerichtet, um mit der Forschungswelt über das nächste EU-Forschungsrahmenprogramm, Horizon Europe, zu sprechen. Cybersicherheit soll darin einen wichtigen Pfeiler bilden, deshalb haben wir uns bemüht, in so vielen Netzwerken wie möglich präsent zu sein. Wird der nächste Forschungsrahmen mit Inhalten gefüllt, sind wir hervorragend positioniert, um Projekte mit den richtigen europäischen Akteuren zu starten. Das ist auch für Luxemburg wichtig: Im Gespräch ist, einen physischen Hub für Cybersicherheit in Europa einzurichten. Bislang funktioniert das virtuell. Nun erwägt die Kommission, ein Zentrum für Cybersicherheit zu schaffen, wo geforscht, Strategien und Methoden entwickelt würden. Vielleicht könnte Luxemburg dafür ein Kandidat werden.
Was sind besonders heiße Themen in der Cybersicherheit derzeit und demnächst?
Eines ist, für Sicherheit zu sorgen, obwohl sich der Perimeter von ICT-Systemen viel schwerer abgrenzen lässt als früher. Früher wusste man, wie weit ein Netzwerk reicht, und konnte diesen Perimeter verteidigen. Heute haben die Leute Laptops, Smartphones und immer häufiger Geräte im „Internet of things“. Die sind alle angreifbar, den Perimeter zu definieren, ist beinahe unmöglich geworden. Ein Ausweg können Sicherheitssysteme sein, die kontinuierlich den Datenfluss überwachen, Anomalien aufspüren und daraus Rückschlüsse auf Angriffe ziehen. Das wird mit Machine Learning versucht, ein anderes Wort für künstliche Intelligenz.
Interessieren die Partner aus der Finanzbranche sich für die Blockchain?
Ja, und wir sind darin sehr aktiv. Das kam vor ein paar Jahren auf. Wir arbeiten an mehreren Nutzen-Szenarien für den Finanzsektor. Das ist spannend.
Luxemburg bemüht sich, Hightech-Nischen aufzubauen, nicht zuletzt in ICT. Fokussieren ist forschungspolitisch gewollt, wirtschaftspolitisch weniger: Man will offen und reaktiv sein. Würden Sie sagen, dass das der richtige Ansatz ist, um als Standort attraktiv zu sein, oder sollte man doch fokussieren?
Ich bin kein Experte in der Bewertung von ICT als industriellem Sektor. Bisher war Luxemburg, denke ich, ganz erfolgreich: Infrastrukturinvestitionen in Vernetzung und in Datenzentren wurden kombiniert mit regulatorischen Entscheidungen, aber auch mit Investitionen in die öffentliche Forschung. Und ein bisschen opportunistisch muss man vermutlich sein. Bieten Gelegenheiten sich, kann Luxemburg erfahrungsgemäß sehr schnell und agil sein, und sie nutzen. Wenn ich einen Rat geben sollte, würde ich empfehlen, die Aktivitäten fester hier zu verankern. Indem man betont, wer sich hier niederlässt, sollte in bestimmtem Maß Forschung und Entwicklung betreiben. Das macht es weniger wahrscheinlich, dass die Firmen eines Tages weggehen könnten.
Das SNT bezog dem Jahresbericht 2018 zufolge zwei Drittel seiner Einnahmen aus Drittmitteln. Das ist viel.
Ja, und es bereitet mir gewisse Sorgen. Besser wäre, unsere Einnahmen kämen je zur Hälfte aus Drittmitteln und von der Universität.
Was wäre dann anders?
Wenn wir neue Mitarbeiter rekrutieren, müssen wir sie davon überzeugen, dass bei uns zu arbeiten attraktiv ist. Zwei Drittel der Einkünfte aus Drittmitteln kann im internationalen Vergleich wie eine Menge und nach wenig Grundlagenforschung aussehen. Dass unsere Partner längerfristige Projekte mitfinanzieren, geht daraus nicht hervor. Und regelrechte Grundlagenforschung ist das nicht; Grundlagenforschung wird auch aus EU-Quellen meist nicht finanziert, sondern zum einen von der Universität und zum anderen vom Forschungsfonds FNR. Deshalb würde eine ausgewogenere Lage uns für Rekrutierungen attraktiver machen.
Der Bericht 2018 sieht auch so aus, als decke die Uni nur die Hälfte der Personalkosten des SNT und das Institut müsse Jahr für Jahr darum kämpfen, seinen Staff aus Drittmitteln bezahlen zu können.
Weil unsere Finanzierung stark projektbezogen ist, wie ich sagte. Hinzu kommt, dass die meisten Mitarbeiter Zeitverträge haben. Der Anteil der Festangestellten liegt bei 15 Prozent. Das ist ziemlich wenig, darin unterscheiden wir uns von den meisten anderen Forschungseinrichtungen. Wir steigern diesen Anteil, aber sehr langsam, denn wir wollen sicher sein, dass wir in festen Verträgen die Besten anstellen. Deshalb bringen wir viele junge Leute als Doktoranden oder Postdoktoranden ans SNT und behalten am Ende einen kleinen Teil. Hochbegabte Leute zu finden, ist in der Praxis ein Problem. Fänden wir mehr, könnten wir noch schneller wachsen.
2017 stellte eine externe Evaluation der Uni fest, es sei nicht leicht zu unterscheiden, welche Forschungsarbeiten auf das SNT zurückgehen und welche auf die Abteilung Computerwissenschaft (CSC) der Fakultät für Natur- und Ingenieurwissenschaften. Wie kommt das?
Die Top-Forscher der CSC arbeiten auch am SNT, sowohl auf Grundlagen- wie auch auf sehr angewandten Projekten. In Europa machen wir manchmal den Fehler, Universitäten für die Grundlagenforschung zuständig zu erklären, Forschungsinstitute für die angewandte Forschung und Innovationsagenturen für die Innovation. So schafft man Grenzen, das macht alles nur schwieriger. Wir versuchen, das unter ein Dach zu bringen. Wer ein Projekt am SNT verfolgen will, kann das tun. Verpflichtet ist niemand dazu.
Das SNT wird viel gelobt. Wirtschaftskreise sehen in ihm sogar ein Rollenmodell für die Universität. Zieht das SNT die Uni in Richtung angewandter, oder: durch Probleme in der Praxis inspirierter Forschung?
So würde ich das nicht ausdrücken. Der Europäische Forschungsrat hat dem SNT drei Advanced Grants zuerkannt, das sind die prestigeträchtigsten Grants für Grundlagenforschung in Europa. Andererseits hat die Universität laut Gesetz drei Missionen: Forschung, Lehre und Impakt für die Gesellschaft. Letzteren betonen wir sehr, für uns ist das Technologietransfer und Wissenstransfer. Die meisten Universitäten ignorieren diesen Aspekt oder nehmen ihn nicht ernst genug. Ich sage: Wir sind hier für die Gesellschaft. Wir sind nicht hier, um ein bequemes Umfeld für Professoren zu schaffen. Das ist generell nicht der Zweck einer Universität. Zu fragen, worin der Impakt für die Gesellschaft besteht, ist eine sehr faire Frage. Jeder Forscher sollte in der Lage sein, sich ihr zu stellen und sie zu beantworten.
Beteiligen sich die Professoren des SNT an der Lehre der Fakultät? Inwiefern die interdisziplinären Zentren beteiligt sein sollten, war Thema in der Diskussion zum neuen Universitätsgesetz, und anscheinend so dringend, dass ein Minimum an Lehreinheiten ins Gesetz geschrieben wurde.
Dass so ein Detail gesetzlich geregelt wurde, finde ich seltsam. Zumal Mindestanforderungen an Forschung und Impakt nicht im Gesetz stehen. Selbstverständlich ist die Lehre wichtig, aber als das SNT gegründet wurde, erhielt es Forschung und Technologietransfer zum Auftrag. Das heißt nicht, das wir nicht lehren. Im neu geschaffenen Space-Masterstudiengang werden wir eine wesentlich aktivere Rolle spielen als in den bisherigen Mastern. Wir machen bei weitem die meiste Weltraum-Forschung an der Uni, da ist es sehr natürlich, den Studiengang damit zu verlinken.
Wäre es nicht auch einfach schade, das wertvolle Wissen des SNT nicht an junge Studenten zu vermitteln?
Mit Ausnahme der Professoren, die sehr große Research Grants haben, lehren quasi alle. Aber prinzipiell stellt die Frage sich: Soll die Lehre oder soll die Forschung unsere Universität vorantreiben? Falls sie vor allem der Luxemburger Gesellschaft ausgebildete Menschen liefern soll, wird sie sich sehr schnell in eine Regional-Uni verwandeln. Denn in Luxemburg besteht eine Tradition, dass die Studenten ins Ausland gehen und dann wiederkommen, und noch immer sind die Förderprogramme für Studien im Ausland großzügig. Eine Forschungsuniversität kann natürlich auch lehren, aber nur in bestimmten Gebieten. Also: Lehre ist sehr wichtig. Aber wichtig ist auch eine Diskussion, was eigentlich der Zweck unserer Universität ist.