Albert Einstein war dort, aber auch der Mathematiker Kurt Gödel und John von Neumann, der Computer-Pionier. Die Archäologin Hetty Goldman, der Kunsthistoriker Erwin Panofsky und J. Robert Oppenheimer, der Vater der amerikanischen Atombombe. Das 1930 mit einer privaten Millionenspende gegründete Institute for Advanced Study in Princeton/New Jersey sollte sich ganz der von Neugier getriebenen Grundlagenforschung widmen können. „I am not unaware of the fact that I have sketched an educational Utopia“, schrieb sein Gründungsdirektor, der Pädagoge Abraham Flexner. „I have deliberately hitched the Institute to a star; it would be wrong to begin with any other ambition or aspiration.“ Entsprechend imposant ist die Liste der Preise, die seine Wissenschaftler errangen: 34 Nobelpreise, 42 der 60 bisher vergebenen Field-Medaillen und 18 der 20 Abelpreise; Field und Abel sind die bedeutendsten Mathematik-Preise.
Das Vorbild in Princeton fand international einige Nachahmer: Grundlagenforschungsinstitute, die von Universitäten unabhängig sind. Andere Institutes for Advanced Studies entstanden an Universitäten. Nächstes Jahr soll auch die Universität Luxemburg eines erhalten.
Die Idee geht auf Jens Kreisel zurück, den Vizerektor für Forschung der Uni. Während eines Sabbatical am Institute for Advanced Study der University of Warwick in Großbritannien sei er „außerordentlich inspiriert“ worden, erzählt er. Das Institut in Warwick bringe nicht nur Wissenschaftler aller Fachrichtungen der dortigen Uni in Austausch miteinander, sondern auch Künstler; Tänzer zum Beispiel. So viele Ideen auf einmal wie in diesem Umfeld seien ihm lange nicht in den Kopf gekommen, schwärmt der Professor für Materialwissenschaften. Die eigene Fachdisziplin hinter sich zu lassen und sich fremdem Terrain auszusetzen, tut offenbar gut.
Das gleiche in Luxemburg einzurichten, stellt Jens Kreisel sich dennoch nicht vor, oder besser: nicht sofort. Sein Ansatz ist pragmatisch und hat vielleicht deshalb bereits sämtliche Instanzen der Uni passiert. Das Luxemburger Institute for Advanced Study soll die interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern wie das in Warwick. Das in Princeton beschreibt sich selber auch als „an institution that crosses disciplinary boundaries“. Jens Kreisels Plan sieht vor, das Institut als „virtuelles Projekthaus“ starten zu lassen. Es würde im uni-internen Netz Forschungsdisziplinen übergreifende Themen ausschreiben. „Mutige Vorschläge“ erhofft Kreisel sich von der Wissenschaftlergemeinschaft anschließend; gerne solche, „die noch nicht so ausgegoren sind, dass der nationale Forschungsfonds sie finanzieren könnte“. Stattdessen soll das Geld für die Vorhaben, die am Ende ausgewählt werden, von der Universität kommen. Alles sei „bottom-up“ gedacht, betont Kreisel. „Wir stellen die Plattform unserer Community zur Verfügung.“ Die Endauswahl soll ein Komitee vornehmen, das ebenfalls „bottom-up“ aus der Forschergemeinschaft gebildet würde. Hinzu kämen ein Vertreter „von draußen“ sowie ein Beobachter des Rektors, der aber lediglich über die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen zu wachen hätte.
„Das ist eine tolle Idee!“, sei ihm in E-Mails geschrieben worden, als der Plan die Runde an der Universität zu machen begann, sagt Kreisel, und von den Gremien der Uni sei er „extrem gut aufgenommen“ worden. Beeindruckt hat ihn, wie rasch darüber entschieden wurde: „Die Diskussionen begannen im März, sechs Monate später waren wir quasi durch.“ Doch neben der offensichtlichen Begeisterung für kreative Unruhe verbindet der Forschungs-Vizerektor wie die Uni-Leitung mit dem Institut auch strategische Ziele. Dass die Uni „interdisziplinär“ forschen soll, ist ihr im Universitätsgesetz aufgetragen. Drei interdisziplinäre Forschungszentren hat sie schon, doch bei deren Gründung spielten äußere Umstände die Hauptrolle: Das Luxembourg Centre for Systems-Biomedicine (LCSB) und das Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) einzurichten, war 2008 und 2014 eine politische Entscheidung der jeweiligen Regierung. Das Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust (SNT) entstand auf Wunsch der Luxemburger Industrie. So dass das Institute for Advanced Study zeigen soll, was aus der Uni selbst an Fachgrenzen überschreitenden Forschungsfragen und Ideen hervorzugehen vermag, und ob aus einzelnen Projekten, die es schon gibt, ein kontinuierlicher Fluss werden kann – wenn mit Geld strukturierend nachgeholfen wird.
Vizerektor Kreisel selber fallen mehrere Gründe ein, weshalb interdisziplinäres Forschen sich lohnt. Zum einen sei es spannend, sich in Grenzregionen von Fächern zu begeben; allein schon pure Neugier könne dazu verleiten. Oder sei es, weil man einer Anregung aus der Praxis folgt, deren Probleme im Grunde immer interdisziplinärer Natur sind. Oder auch, weil große Menschheitsprobleme wie der Klimawandel oder Gesellschaftsfragen wie die Nutzung von Künstlicher Intelligenz „sich nur beantworten lassen, wenn man fachübergreifend herangeht. Da steht eine Universität regelrecht in der Verantwortung, denn wer könnte das besser als Universitäten?“ Andererseits ist Jens Kreisel der Meinung, dass die Disziplinen „die Grundfesten der Wissenschaft“ sind und dass wer interdisziplinär forschen will, das zunächst disziplinär getan haben muss. Wohin das virtuelle Institut tatsächlich führt, muss sich also zeigen. Zu entscheiden bleibt auch noch, welche „Enveloppe“ die Uni aus ihrer Grundfinanzierung vom Staat für die interdisziplinären Projekte abzweigen wird.
In den kommenden Monaten soll alles nach und nach konkreter werden. „Wir werden schriftlich festhalten, wie das virtuelle Institut geführt werden soll.“ Vier Projekte, deren Finanzierung der Aufsichtsrat der Uni schon genehmigt hat, sollen als „Kick-off-Initiativen“ dienen. In einem dieser vier Projekte, lässt Jens Kreisel durchblicken, würden die Ökonomin Conchita d’Ambrosio und der Physiker Alexander Tkatchenko mit neu entwickelten Algorithmen Datensätze aus der Volkswirtschafts-Forschung untersuchen. „Oft führen gerade die Datenwissenschaften zu neuen Forschungsmethoden und bringen Disziplinen zueinander.“ Im März findet ein Workshop statt, der allen Uni-Forschern erläutert, wie Institut und Interdisziplinarität gemeint sind. Kreisel unterstreicht, dass den Workshop wiederum die Wissenschaftlergemeinschaft organisiert. „Im Idealfall könnte die virtuelle Plattform anschließend starten und schon die ersten Ideen entgegennehmen.“