d’Land: Herr Schiltz, der FNR-Jahresbericht 2018 beginnt mit dem Satz: „Excellence and long-term socio-economic benefit. These are the two cardinal values that must guide the path of Luxembourg’s public research.“ Warum kommuniziert der Forschungsfonds ausschließlich auf Englisch?
Marc Schiltz: Das ist eine Effizienzfrage. Luxemburg ist ein internationaler Forschungsstandort, vier Fünftel der Forscher sind Nicht-Luxemburger, sie kommen aus allen Teilen der Welt. Förderanträge lässt der FNR von internationalen Experten begutachten, deshalb müssen die Anträge auf Englisch eingereicht werden. Also nutzen wir generell Englisch, die lingua franca der Wissenschaft.
Dieses Jahr wird der FNR 20 Jahre alt. Wo steht die Luxemburger Forschung auf dem Weg in Richtung Exzellenz und sozio-ökonomischem Nutzen?
Exzellenz ist kein einfacher Begriff, sprechen wir von Qualität. Für hochwertige Forschung zu sorgen, ist eine Hauptrolle des FNR. Vor 20 Jahren gab es hier fast nichts an öffentlicher Forschung. Das ist heute ganz anders, aber Luxemburg ist ein kleines Land mit einer Universität und drei öffentlichen Forschungszentren mit sehr spezifischen Tätigkeitsbereichen. Zwangsläufig gibt es wenig Wettbewerb, in größeren Ländern dagegen treibt er automatisch die Qualität hoch. Trotzdem ist es gelungen, auch in unserem Land Forschungsaktivitäten aufzubauen, die international mithalten können. Dazu hat der FNR beigetragen – indem wir die Evaluation von Projektanträgen international angelegt haben und den Gutachtern immer sagen: Messt die Forschung hier an denselben Maßstäben wie in euren Ländern.
Für jedes Projekt gibt es internationale Gutachter?
In unseren größeren Förderprogrammen wird jeder Antrag von drei Experten begutachtet, die ganz nah an dem jeweiligen Thema dran sind. Das ist die erste Evaluationsphase, da schreibt jeder Experte einen Bericht. Wir sorgen natürlich dafür, dass es keine Interessenkonflikte gibt. In Phase zwei werden die Anträge sowie die Gutachten aus Phase eins von Panels durchgesehen. Die Panels hat der FNR nach großen Themenbereichen aufgestellt; es gibt ein Panel für Biomedizin, eines für Human- und Sozialwissenschaften, eines für Umweltwissenschaften, eines für die Materialwissenschaften und eines für die Informatik. Panel-Mitglieder sind wiederum internationale Professoren und Experten. Sie kommen hierher und bewerten jeweils mehrere Projekte, daraus stellen sie ein Klassement auf. Die endgültige Finanzierungsentscheidung wird je nach der Höhe des Förderbetrags vom FNR-Verwaltungsrat oder von mir getroffen, aber immer in strikter Einhaltung der Gutachter-Empfehlungen.
285 Millionen Euro Forschungsförderung vergab der FNR zwischen 2014 und 2018, davon 99 Millionen in seinem wichtigsten Programm, Core, das für die „prioritären“ Forschungsbereiche besteht. 36 Prozent der Core-Anträge wurden akzeptiert. Wenn einer abgelehnt wird – liegt das vor allem an mangelnder Qualität oder weil zu wenig sozio-ökonomischer Nutzen in Aussicht steht?
Für Core fragen die Gutachter vier Punkte ab. Erstens: Ist das Projekt klar definiert, gibt es eine klare Forschungsfrage? Zweitens: Wie soll es angegangen werden; ist der Ansatz kreativ und originell? Dritte Frage: Ist das Forscherteam für das Vorhaben kompetent genug; besteht die gegebenenfalls nötige technische Ausrüstung? Viertens schließlich wird nach einem über den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn eventuell hinausgehenden Nutzen gefragt, doch der ist für Core nicht zentral. Abgelehnt werden Anträge oft, weil die Forschungsfrage nicht klar genug formuliert wurde oder man sich zu viel auf einmal vorgenommen hat. Oder der Ansatz enthält methodologische Schwächen. Dass er als nicht originell genug eingeschätzt wird, kommt ebenfalls vor, aber seltener.
36 Prozent Erfolgsrate klingt nach strenger Selektion.
Aber wie wir evaluieren, ist hilfreich. Der FNR geht transparent vor. Jeder Antragsteller erhält die kompletten Evaluationsberichte, nicht nur eine Zusammenfassung, wie bei vielen anderen Förderagenturen üblich. Dass Forscher nicht froh sind über einen ablehnenden Bescheid, weiß ich aus eigener Erfahrung. Wir stellen aber fest, dass das Feedback von uns hilft und vielleicht im Jahr danach ein Antrag eingereicht wird, der Erfolg hat. Dieser Prozess steigert die Qualität der Luxemburger Forschung kontinuierlich.
2015 wurde der FNR evaluiert und bekam bescheinigt, transparent, neutral und fair zu agieren. In dem Bericht stand auch, dass rund die Hälfte der befragten Forscher fand, der FNR ermögliche Grundlagenforschung, während ungefähr ebenso viele meinten, er bevorzuge angewandte Forschung.
Worin sich vermutlich ausdrückt, dass wir beide fördern! Hinzu kommt, dass die Trennung oft nicht leicht ist: Ein Projekt aus der Theoretischen Physik zielt immer in Richtung Grundlagenforschung, während zum Beispiel in der Biomedizin potenzielle Anwendungen viel näher liegen. Ich würde meinen, dass der FNR über die Jahre ein diversifiziertes Portfolio von Förderprogrammen aufgebaut hat – was mir sehr wichtig war. Im Core-Programm finanzieren wir ganz klar auch Grundlagenforschung. In anderen Programmen dagegen verlangen wir sogar, dass ein Unternehmen mitbeteiligt wird.
2013 gab der FNR das Motto „Research with impact“ aus. Steht dahinter der Wunsch von Wirtschaft und Politik nach rascher Anwendbarkeit von Forschungsresultaten? Er existiert ja spätestens seit 2005, als die damalige Regierung sich von der OECD das Luxemburger „Innovationssystem“ analysieren ließ.
Natürlich entstand dieses Motto nicht zufällig. Man muss es aber genau betrachten. Vor 20 Jahren befand die öffentliche Forschung in Luxemburg sich im Embryonalstadium. Da sagte der öffentliche Geldgeber: In diesen Sektor investieren wir jetzt massiv. Wer das tun will, muss wissen, warum. Mehrere Antworten sind möglich. Eine könnte sein, dass Forschung an sich intrinsischen Wert hat und Luxemburg an der internationalen Unternehmung Wissenschaft teilnehmen soll. Das ist eine absolut respektable Auffassung, die man haben kann und die man damals hätte haben können. Vermutlich aber reicht sie für ein kleines Land nicht aus, in dem sich zwischen 2000 und 2018 die Zuwendungen an die öffentliche Forschung mehr als verzwölffacht haben. Die Antwort, die wir mit „Research with impact“ geben, lautet, dass mit den hohen Zuwendungen die Erwartung auf längerfristigen Nutzen einhergeht. Sei es in Form eines Beitrags zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung, etwa der des Schulwesens durch die Bildungsforschung. Sei es ein Beitrag zur Beantwortung großer Menschheitsfragen, wie dem Klimaschutz, oder sei es ein Beitrag zur ökonomischen Diversifizierung. Ich verstehe das aber nicht so, dass der FNR bei jedem Projekt, das er finanziert, schauen muss, ob es einen sofortigen sozio-ökonomischen Impakt verspricht. Ich wehre mich auch gegen eine solche Sicht. Doch wir müssen dem Land und dem Steuerzahler gegenüber begründen können, weshalb wir so viel für die Forschung ausgeben. Dass wir auch im wirtschaftlichen Interesse des Landes nicht an der Wissensgesellschaft vorbeikommen, ist ein wichtiges Argument.
Es wird immer wieder festgestellt, dass die öffentlichen Forschungsausgaben steigen, während sie im Privatsektor gesunken sind. Oft wird dann erklärt, die öffentliche Forschung könne im Privatsektor etwas katalysieren. Wie wird der FNR da gefordert, vielleicht auch von politischer Seite?
Die Forderung von politischer Seite ist gar nicht so laut, aber es handelt sich um eine Problematik, der wir uns stellen. Für den Trend, den Sie anführen, gibt es eine Reihe Erklärungen, auch solche, die zeigen, dass die Lage nicht so dramatisch ist, wie die nackten Zahlen suggerieren. Doch der Trend besteht. Als FNR haben wir Programme aufgelegt, um öffentliche und private Forschung kooperieren zu lassen. Vielleicht besteht unser Beitrag vor allem darin, die bestehende kulturelle Trennung zu überbrücken, Forschungseinrichtungen und Unternehmen dazu zu bringen, miteinander zu sprechen, damit jeder erfährt, was der andere kann. Daraus können gemeinsame Projekte erwachsen.
Werden die FNR-Programme für Public-private partnerships in erster Linie von den forschungsintensiven Unternehmen genutzt?
Anfangs waren es „die Üblichen“, ich muss sie nicht nennen. Es kommen aber immer neue Firmen hinzu, darunter solche, die gerade aus dem Startup-Alter heraus sind. Das muss aber gepflegt werden. Oft ist eine Brücke im Vokabular zur Verständigung nötig. Ein weiteres Thema ist im Moment das geistige Eigentum, die Frage, welchen Anteil daran jede Seite im Rahmen eines PPP erhalten soll. Dazu ist ein „Luxemburger Modell“ in Ausarbeitung. Andere Länder haben diese Frage für sich schon gelöst.
Wie attraktiv ist Luxemburg für ausländische Wissenschaftler? Einerseits haben Sie festgestellt, dass 80 Prozent der Forscher aus dem Ausland stammen. Andererseits sind die Zeitverträge für junge Wissenschaftler offenbar noch immer ein Problem, denn die Regierung hat sich im Koalitionsprogramm vorgenommen, es zu analysieren.
Luxemburg ist attraktiv, weil der Forschungssektor international ist und die öffentliche Hand konsequent in ihn investiert. Vor fünf Jahren war das Schulsystem noch ein ernstes Problem für den Forschungsstandort, beziehungsweise für Kinder, die weder Deutsch noch Französisch sprechen. Das entschärft sich aber zusehends dank der Eröffnung öffentlicher Europaschulen. Weiterhin problematisch ist der Wohnungsmangel.
Was die ewig befristeten Stellen angeht – ich denke, dass wir ein intelligenteres Modell entwickeln müssten. Ich kenne nicht viele Sektoren, in denen man nach fünf Jahren noch immer nicht sagen kann, ob ein Mitarbeiter so kompetent ist, dass man ihn halten will. Darüber hinaus fürchte ich, dass die nächste Generation von Forschern die heutigen Karrierestrukturen an Universitäten unattraktiv finden könnte. Das ist nicht nur ein Luxemburger Problem, sondern mindestens ein europäisches, und ich selber habe keine Paradeformel zur Lösung zur Hand. Zu bedenken geben möchte ich aber Folgendes: Vor drei Wochen gelang ein Durchbruch bei den Quanten-Computern. Es wurde bewiesen, dass sie imstande sind, Berechnungen vorzunehmen, an denen ein herkömmlicher Computer scheitert. Demonstriert wurde das weder an einer Uni noch an einem Forschungsinstitut, sondern bei Google. Nicht von Ingenieuren, sondern von Top-Wissenschaftlern. Da muss man sich fragen, weshalb solche Leute es attraktiver finden, dort zu arbeiten, als an einer Uni oder einem Forschungszentrum. Bestimmt gibt es viele Gründe dafür, aber ich finde, es ist ein Signal, das ernstgenommen werden muss.
Die Regierung ist dabei, neue nationale Forschungsprioritäten aufzustellen. Der FNR wirkt daran mit und hat dazu im Frühjahr Vorschläge gemacht. Ein Geschichtsprofessor der Universität warf dem FNR vor, nicht nur die Geschichts-, sondern die Humanwissenschaften insgesamt nur noch mit dem Interdisziplinären Zentrum für Zeitgeschichte (C2DH) der Uni in Verbindung zu bringen. Wie sind die neuen Prioritäten gemeint?
Es ist nicht unsere Absicht, die Humanwissenschaften einzuschränken. Wenn wir von Prioritäten sprechen, folgt daraus nicht, dass alles andere nicht unterstützt würde, sondern dass wir für die Prioritäten zusätzliche Mittel bereitstellen. Das ist bisher so, und so versteht es die Regierung, und so verstehen wir es auch für die Zukunft. Dass es mit dem C2DH ein drittes interdisziplinäres Zentrum an der Uni gibt, welches überdies gut funktioniert, verleiht ihm freilich einen besonderen Stellenwert. Aber ein exzellentes Projekt wurde vom FNR noch immer finanziert, ganz gleich wie prioritär der Bereich ist, aus dem der Antrag kommt. Das stelle ich jetzt einfach mal so pauschal in den Raum. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass nur ein Viertel des gesamten Luxemburger Forschungsbudgets kompetitiv über den FNR verteilt wird. Drei Viertel gehen als direkte Dotationen an die Institutionen. Und bei uns existiert sogar ein Förderprogramm speziell für Projekte aus nicht-prioritären Bereichen. Deshalb heißt es Open.
Allerdings ist Open nur mit 1,3 Millionen Euro pro Jahr ausgestattet. Der FNR sagt selber, das sei lediglich für zwei Projekte gut.
2018 finanzierten wir drei damit. Verglichen mit 36 Core-Projekten sieht das nach nicht viel aus, aber die drei Open-Projekte wurden aus sieben Anträgen ausgewählt, die 36 Core-Projekte aus 130 Anträgen. Die Erfolgsrate ist in beiden Programmen vergleichbar. Das sollte auch so sein, denn die Maßstäbe bei der Begutachtung sind für beide Programme hoch. Wie der Finanzierungsbedarf sich entwickelt, verfolgen wir sehr genau. Falls die Nachfrage nach Open deutlich steigt, könnten wir die Dotation erhöhen. Letzten Endes äußert sich in den Prioritätensetzungen keine Vorliebe für die eine oder andere Disziplin, sondern das Dilemma eines kleinen Landes: Wir können nicht in allen Gebieten Exzellenz anstreben. Wir müssen uns fokussieren und kritische Massen bilden.